Das Verbot von Cannabis hat nichts bewirkt: Der Konsum besonders unter Jugendlichen nahm in den vergangenen Jahren stetig zu. BefürworterInnen einer Legalisierung fordern einen verantwortlicheren Umgang mit der Droge.
„Großherzogtum an der Nadel“ – so titelte vergangene Woche das Lëtzebuerger Journal seinen Aufmacher über den Jahresbericht 2003 der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen- und Drogensucht (EBDD). Derweil schrieb La Voix: „Etat des lieux, état d’urgence“. Ursache des Aufschreis im Blätterwald: Luxemburg nimmt in puncto Drogenkonsum neben Portugal und Großbritannien einen Spitzenplatz ein.
In dem EBBD-Bericht heißt es unter anderem, der Rauschgiftgebrauch bei jungen Menschen habe in den 15 EU-Mitgliedstaaten innerhalb der vergangenen zehn Jahre stetig zugenommen. Doch während die Beobachtungsstelle gründlich differenziert, läuten in Luxemburg pauschal die Alarmglocken. Eine nuancierte Ursachenforschung fehlt. Stattdessen wird die prozentual hohe Zahl von Drogentoten im Großherzogtum als Drohbild aufgebaut. Und das Tageblatt legt am vergangenen Freitag mit einem Artikel nach: „Kiffen in der Pubertät ist besonders gefährlich.“
Schizophren durch Kiffen
In dem Artikel wird Bezug genommen auf eine Studie, der zufolge der Konsum von Cannabis in der Pubertät zu langfristigen Veränderungen im Gehirn führt. Regelmäßiger Cannabis-Konsum verstärke nicht nur Schizophrenie-Symptome, sondern bringe die Krankheit auch im Schnitt sieben Jahre früher zum Ausbruch. Dies ergab eine Untersuchung des Bremer Instituts für Hirnforschung der Universität Bremen. Dort hatte man Ratten in der Pubertät – im Alter von 40 bis 65 Tagen – regelmäßig Cannabis-Stoffe verabreicht und deren Langzeitwirkung auf die Tiere getestet: Jene Ratten, die als Teenager lange Zeit berauscht waren, konnten sich als Erwachsene keine Gegenstände merken, überhörten Töne und waren wenig ehrgeizig, einem Automaten so viel Käse wie möglich zu entlocken. Die Forscher zogen daraus den Schluss, dass es auch für Menschen schädlich ist, bereits in jungen Jahren zu kiffen.
Nicht nur die Übertragbarkeit einer Studie von „pubertären“ Ratten auf Menschen im Teenager-Alter, sondern auch die These, dass Kiffen dumm mache, ist fragwürdig. Dabei liegt sie durchaus im Trend: Bereits im Januar hatte der Spiegel von einer Vergleichsstudie an Zwillingen in Australien berichtet. Deren Ergebnis: Wer früh mit dem Kiffen beginnt, verfalle leichter dem Alkohol oder harten Drogen. Der Artikel war Wasser auf die Mühlen der konservativen Hardliner im Streit um die Legalisierung leichter Drogen. Die hatten nämlich stets behauptet, dass Haschisch und Marihuana Einstiegsdrogen für härteren Stoff seien.
Dagegen hatten andere Nachforschungen belegt, dass nur zwei bis fünf Prozent der CannabiskonsumentInnen später harte Drogen nehmen. Und dass die Verwendung von Cannabis keine andauernden Hirnschäden verursacht, fanden zum Beispiel Forscher der Universität von Kalifornien in San Diego unlängst heraus. Andere Drogen, inklusive Alkohol, könnten durchaus Hirnschäden verursachen, so die US-Wissenschaftler. Sie hatten Daten von 15 früher veröffentlichten Studien zum Einfluss langzeitigen Cannabiskonsums auf neurokognitive Fähigkeiten von Erwachsenen analysiert. Die Ergebnisse, die in der Juli-Ausgabe des Journal of the International Neuropsychological Society veröffentlicht wurden, belegen die geringe schädliche Langzeitwirkung von Marihuana auf Lernfähigkeit und Gedächtnis. Einen Effekt auf Reaktionszeit, Aufmerksamkeit, Sprachfertigkeit, logische Argumentation, Wahrnehmungsfähigkeit und motorische Geschicklichkeit gibt es nach Angaben des Instituts in San Diego überhaupt nicht.
Mittlerweile gehört es zu den Allgemeinplätzen, dass Cannabis sogar Schmerzen lindern kann. Wenn die Schulmedizin nicht mehr wirkt, ist es manchmal die letzte Möglichkeit, zum Beispiel Aids- oder KrebspatientInnen zu helfen. „Lassen wir Schwerkranke doch Cannabis rauchen“, fordert deshalb Kirsten Müller-Vahl. Die Wissenschaftlerin an der Medizinischen Hochschule Hannover untersuchte die Wirkung des Cannabis-Wirkstoffs Dronabinol. Das Medikament wird bei Aids-PatientInnen gegen Appetitlosigkeit und bei Krebskranken gegen Übelkeit eingesetzt. Bisher weigern sich jedoch die Krankenkassen, die Kosten zu erstatten: Die juristische Grundlage sei nicht geklärt, wiegeln sie ab. Die hohen Preise haben deshalb zur Folge, dass Kranke, die auf das Medikament angewiesen sind, schon mal selbst illegal Cannabis anpflanzen.
Marihuana auf Rezept
Ein Bahn brechendes Urteil in der Diskussion um die Anwendung von Cannabis in der Medizin fällte im Juli das Amtsgericht Mannheim. Es sprach einen 40-Jährigen frei, der an Multipler Sklerose leidet und aus medizinischen Gründen Marihuana angebaut hatte. Der Cannabis-Konsum ermögliche es ihm, „ein annähernd erträgliches Dasein zu führen“, so das Gericht. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2000 können Schwerkranke beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte eine Sondererlaubnis für Cannabis beantragen. Das Institut hat aber bisher keinen Antrag genehmigt.
In den Niederlanden ist Cannabis auf Rezept vom Hausarzt erhältlich (ähnliche Versuche, bei denen Cannabis als Arzneimittel in Kliniken erlaubt wurde, gibt es auch in Großbritannien und Australien). Allgemein gilt die niederländische Drogenpolitik als eine der liberalsten. Seit 1976 wird der Besitz von bis zu 30 Gramm Cannabis nicht mehr verfolgt, obwohl er noch als Straftat gilt. In den Coffee Shops kann man Mengen bis zu fünf Gramm erwerben. Dies ist auch die Höchstmenge, die in Belgien seit 2001 für den persönlichen Gebrauch erlaubt ist. In Italien gilt dies bereits seit 1998. Dort droht bei Besitz höchstens eine Verwarnung, der Kleinhandel wird mit Ordnungsgeldern bestraft. Wenn man jedoch wiederholt beim Kiffen erwischt wird, droht der Führerscheinentzug – eine Praxis, die in Deutschland übrigens das Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig erklärt hat. Dort hat sich – entgegen der Erwartungen, mit dem Regierungswechsel 1998 würde sich die Drogenpolitik ändern – auch unter der rot-grünen Bundesregierung hinsichtlich der Entkriminalisierung von Cannabiskonsumenten nicht viel getan, bei steigendem Konsum, während sich in Großbritannien, dem Land mit den prozentual meisten Konsumenten in Europa, in den vergangenen Jahren die Stimmen für eine Entkriminalisierung mehrten.
Einen unverändert harten Kurs fährt Frankreich: Allein die öffentliche Abbildung eines Hanfblattes kann zu Geldstrafen führen, für das Rauchen eines Joints droht der Gesetzgeber mit bis zu einem Jahr Gefängnis, bei Besitz geringer Mengen sogar mit mehreren Jahren. Trotzdem ist der Cannabiskonsum in Frankreich weit verbreitet – für die Befürworter einer liberaleren Politik ebenso ein Beweis dafür, dass der Grad der Repressivität keinen wesentlichen Einfluss auf den Konsum hat, wie die relativ geringe Zahl von Konsumenten in den Niederlanden zeigt. Dort gaben 9,8 Prozent der 15- bis 34-Jährigen an, in den vergangenen zwölf Monaten gekifft zu haben, im repressiven Frankreich dagegen 17 Prozent. Nicht zuletzt wird auch das Argument, Cannabis sei eine Einstiegsdroge, durch die „Null Toleranz“-Drogenpolitik in Schweden ad absurdum geführt: Dort gibt es zwar relativ wenig KifferInnen, dafür aber umso mehr KonsumentInnen harter Drogen.
Banalisierter Konsum
Und in Luxemburg? Hierzulande wird der Konsum und der Besitz kleiner Mengen von Cannabis seit der Änderung des Drogengesetzes im Jahr 2001 nur noch mit Geldstrafen zwischen 250 und 2.500 Euro und nicht mehr mit Gefängnis bestraft. „Wir befinden uns damit eher auf der Seite der liberaleren Länder“, so Alain Origer vom Gesundheitsministerium. Schritte hin zu einer Legalisierung sieht er jedoch erst „in weiter Ferne“. Die Freigabe von Cannabis fordern die AktivistInnen von Life auf ihrer Internetsite www.act4cannabis.lu: Dazu gehöre auch, CannabiskonsumentInnen nicht mehr als Kriminelle zu betrachten, eine bestimmte Menge straffrei zu stellen und ein kontrollierter Verkauf an Erwachsene. Den Konsum und Besitz lediglich zu entkriminalisieren, ändere nichts. „Anbau und Handel bleiben im kriminellen Milieu.“
Dabei sind sich die LegalisierungsbefürworterInnen durchaus der Gefahr der „leichten“ Droge bewusst. „Cannabis ist absolut nicht harmlos. Aber man sollte es auch nicht verteufeln“, so ein Life-Aktivist, der sich selbst als psychisch abhängig bezeichnet: „Ich kiffe seit etwa acht Jahren fast jeden Tag. Nach vier Jahren fand ich heraus, dass ich süchtig bin.“
Mehr als ein Drittel der Jugendlichen im Großherzogtum geben zu, einmal gekifft zu haben. Cannabis sei mittlerweile stark banalisiert, so Alain Origer. Dass es gefährlicher als Alkohol ist, konnte bislang nicht bewiesen werden, dass man physisch abhängig wird, gilt als widerlegt. Und dass das Cannabisverbot in Hinblick auf die hohe Zahl von KonsumentInnen nichts bewirkt habe, stellt die „Initiativ fir eng eierlech Suchtpräventioun“ auf ihrer Homepage fest: „Die Prohibition funktioniert nicht.“