PRESSEFREIHEIT: Ungern Ungarn

Der wegen ihres Mediengesetzes kritisierten neuen ungarischen Regierung gibt der halbjährige EU-Vorsitz die Möglichkeit zur Imagepflege. Aber auch die EU bietet in puncto Pressefreiheit Anlass zur Kritik.

„Gemessen an den ungarischen Plänen war Jörg Haider ein Messdiener“, meinte Außenminister Jean Asselborn vor kurzem in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters. So wie heute stand die EU auch schon in der Vergangenheit vor dem Problem, wie sie mit einem Land umgehen soll, das zentrale Werte der Union missachtet. Damals handelte es sich um Österreich, das wegen der Regierungsbeteiligung des Rechtspopulisten Jörg Haider in die Kritik geraten war. Nun steht Ungarn, das zum Jahreswechsel turnusgemäß die sechsmonatige Ratspräsidentschaft in der EU übernimmt, vor allem wegen massiver Einschränkungen der Pressefreiheit am Pranger. „Hier wird die Meinungsbildung unter die Kontrolle des Staates gestellt“, so Asselborn. Etwas Schlimmeres könne es in einer Demokratie nicht geben.

Inzwischen hat der ungarische Ministerpräsident Orbán die internationale Kritik in scharfen Worten zurückgewiesen. In dem neuen Mediengesetz gebe es keinen Passus, der nicht der Mediengesetzgebung eines EU-Landes entspräche, sagte er im regierungsnahen Privatsender Hir TV. Was war passiert? Die Fakten sind bekannt: Bei der Wahl im vergangenen April errang die nationalkonservative „Fidesz-Partei“ zwei Drittel der Parlamentssitze – genug, um die Verfassung jederzeit ohne Mitwirkung einer anderen Partei ändern zu können. Der überwältigende Sieg der ungarischen Rechten war zu allererst ein Votum gegen die seit acht Jahren regierenden Sozialisten, die das Land an den Rand des finanziellen Abgrunds geführt hatten. Noch in der Wahlnacht sprach der neu gewählte Präsident Viktor Orbán von einem Systemwandel und einer nationalen Revolution.

Diese „Revolution“ wird nun in einer Vielzahl von Einzelmaßnahmen zur Realität gemacht: So wurden in rascher Folge ein halbes Dutzend von Gesetzen neu formuliert und die Arbeit an einer Neugestaltung der Verfassung aufgenommen. Viktor Orbán marschierte durch die Institutionen: In den meisten staatlichen Behörden wurde das Führungspersonal ausgetauscht – vor allem bei der Polizei, den Steuer- und Zollbehörden und in der Armee. Laut Medien wurde ein Gesetz verabschiedet, wonach alle Staatsbediensteten ohne Begründung entlassen bzw. ersetzt werden können. Vor wenigen Monaten verärgerte die Regierung mit Sondersteuern gerade ausländische Unternehmen. Im Kulturbereich wurden in erheblichem Umfang Gelder gestrichen. „Das erinnert mich stark an 1933, als die NSDAP mit einer Wahlmehrheit unter scheinbar demokratischen Bedingungen an die Macht kam“, meinte der liberale ungarische Schriftsteller György Konrád gegenüber der „Berliner Zeitung“. Laut Medienberichten wurden alle staatlichen Institutionen und öffentlichen Gebäude angewiesen, ihre Wände mit dem grundsätzlichen Bekenntnis des neuen Regimes zu zieren – der „Erklärung zur Nationalen Kooperation“. Diese nationale Kooperation ist insofern auch eine nationalistische, als Treuebekundungen zu nationalen Werten um sich greifen, so dass Kritiker fürchten müssen, mit dem zum Ausschlusskriterium gemachten Begriff des Nationalen diffamiert zu werden.

Gesetzliches Vakuum

So die politisch-ideologische Lage, die kurz vor Jahresende das neue Mediengesetz hervorgebracht hat. Dieses Gesetz, das am 1. Januar 2011 in Kraft getreten ist, erlaubt der Regierung eine offene politische Zensur der Medien, und zwar mit dem Mittel existenzbedrohender Geldstrafen für „unausgewogene Berichterstattung“. Alle Bereiche sind davon betroffen: Internet, Radio, Fernsehen, Zeitungen. Künftig wird eine mit Fidesz-Leuten besetzte Kontrollbehörde die Presse beaufsichtigen. Kritiker fürchten eine massive Einschränkung der Medienfreiheit, umso mehr, als die Präsidentin der Behörde ihr Amt volle neun Jahre innehaben wird. Erleichtert ist nun auch die Durchführung einer „positive Zensur“, die es dem Staat ermöglicht, Medien zur Verbreitung von Inhalten zu zwingen, die „Angelegenheiten von nationaler Bedeutung“ enthalten. Kritiker fürchten, dass Regierungschef Viktor Orbán die Medien damit auf die Linie seiner Fidesz-Partei zwingen will.

Ob man darauf hoffen kann, dass, wie manche Beobachter meinen, in Ungarn Gesetze nie so heiß gegessen, wie sie gekocht werden, muss die Zukunft zeigen.

Dass die Situation der Presse in Ungarn nie wirklich rosig war, zeigt ein Blick in die Vergangenheit. So hat sich die ungarische Presse erst in den achtziger Jahren in einem Prozess des Sich-Losringens von staatlicher Bevormundung befreit. Als der erste demokratisch gewählte Ministerpräsident József Antall nach 1989 mitbewirkte, dass Mediengesetze hinfort eine Zweidrittelmehrheit benötigten, gab es keine Chance mehr, vernünftige Gesetze zu verabschieden. Dieses gesetzliche Vakuum führte zum Parteienkampf um die Medien und brachte erhebliche Auswüchse hervor: Händler boten pornographische Hefte in den Budapester Straßen an, und Schriften mit rechtsextremem Gedankengut und diskriminierenden Inhalten konnten ungehindert zirkulieren. Ein Jugendschutzgesetz konnte sich nur schwer herausbilden. Auch der Umsatzeinbruch im Anzeigengeschäft infolge der wirtschaftlichen Schieflage machte die Unterhaltung eines Qualitätsjournalismus immer schwieriger. Ob das neue Mediengesetz diesen Missständen abhelfen kann, muss bezweifelt werden – wahrscheinlich ist eher, dass es sie begünstigt.

Bislang hat sich die EU-Kommission zu den Entwicklungen kaum geäußert. Gegen eine Einmischung der europäischen Institutionen spricht die Tatsache, dass die ungarische Regierung demokratisch gewählt wurde. Die Kommission kontrolliert zurzeit das neue Gesetz und geht der Frage nach, ob der neue Medienrat überhaupt unabhängig handeln kann. Auch prüft sie die Rechtmäßigkeit der Sondersteuer für ausländische Unternehmen. Dabei hat die EU verschiedene Möglichkeiten, auf vermutete Verstöße gegen die EU-Grundwerte vorzugehen, die in Artikel 2 des Lissabon-Vertrages aufgezählt sind – „Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte“: Zum Beispiel kann die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof einleiten. Hier drohen Ungarn im Extremfall Geldbußen oder gar der vollständige Entzug des Stimmrechtsentzug in der EU. (Artikel 7 des Lissabon-Vertrages).

Erst sprachlos, dann wehrlos

Ist die EU aber zu diesem äußersten Schritt wirklich bereit? Und wäre ein Ausschluss nicht eher kontraproduktiv? Ohne eine freie und qualitativ hochwertige Presse ist eine Gesellschaft erst sprachlos, dann wehrlos. Das hat sich in letzter Zeit nicht nur in Russland gezeigt, wo Journalisten wegen ihrer Arbeit Misshandlungen ausgesetzt waren oder sogar ermordet wurden – wie zum Beispiel die Reporterin und Aktivistin für Menschenrechte, Anna Stepanowna Politkowskaja. Dazu jedoch muss man nicht erst über die europäischen Grenzen hinweg sehen. Europas Institutionen sind in der Regel schnell da, wenn es darum geht, Defizite der Meinungsfreiheit in anderen Gegenden der Welt anzuprangern. Braucht es erst eine EU-Ratspräsidentschaft, um eine Öffentlichkeit zu schaffen, die sich das autoritäre Regime genauer ansieht – nicht jedoch in EU-Mitgliedsstaaten? Denn die Pressefreiheit ist nicht nur in Ungarn bedroht – eigentlich gibt es hier längst ein europäisches Problem.

Um Missstände im Pressewesen zu sehen, ist es jedoch nicht nötig, den Blick über die Grenzen der EU hinweg nach außen zu richten. Zwar sind Europas Institutionen in der Regel schnell bei der Hand, wenn es darum geht, Defizite der Meinungsfreiheit in anderen Gegenden der Welt anzuprangern. Fehlentwicklungen, die in Europa zu konstatieren sind, werden dagegen auf EU-Ebene offenbar erst dann zum Problem, wenn sie in den Lichtkreis eines Ereignisses wie des Wechsels der EU-Ratspräsidentschaft geraten. Denn nicht erst seit Ungarn ist die Gefährdung der Pressefreiheit auch ein europäisches Phänomen.

Wie sieht es etwa mit dem Italien des Cavaliere Silvio Berlusconi aus, der einfach die wichtigsten Medien seines Landes kaufte, um sie zu beherrschen? Oder in Polen? Dort haben Jahre hindurch Sicherheitsbehörden investigativ arbeitende Journalisten abgehört. In Deutschland kritisieren Journalisten die Vorratsdatenspeicherung und die Vorstöße zur Ausweitung staatlicher Online-Durchsuchungen. Wie steht es mit Frankreich? Hier werden die meisten Medienverlage von einigen wenigen Kapitaleignern kontrolliert. In der Ära Sarkozy hat das Ausmaß der Medienkontrolle eine neue Dimension erreicht, indem etwa zu Pressekonferenzen ausschließlich loyale Journalisten geladen werden. Journalisten, die über Fehlverhalten der französischen Staatsbürokratie berichten, müssen immer häufiger mit Hausdurchsuchungenn rechnen. Und Luxemburg? Noch in dieser Woche bekräftigte Premierminister Jean-Claude Juncker anlässlich des Neujahrsempfangs der Presse sein besonderes Verständnis von Pressefreiheit. „Ich bin dagegen, dass Denkprozesse der Verwaltungen und der Regierung öffentlich gemacht werden, wenn sie noch nicht zu einem konklusiven Ende gekommen sind“, so der Premier. Er habe bis heute noch keine Gesetzesgebung gefunden, wo dieser Zugang absolut sei. Auch beansprucht Juncker für sich das Recht, keine öffentlichen Stellungnahmen mehr abzugeben, solange seine Denkprozesse nicht abgeschlossen sind. Hier scheinen Politiker zu vergessen, dass sie gewählte Funktionsträger sind und dass jeder Bürger ein Recht auf Auskunft hat.

Gegen diese Sicht von Demokratie wehrte sich diese Woche auch der Syndicat des Journalistes (SJL) in einer Stellungnahme und wiederholte seine Forderung nach „wirksamem Informationszugang für alle Bürger als Mittel der demokratischen Kontrolle und der Mitgestaltung politischer Entscheidungsprozesse.“ Laut SJL ist Luxemburg neben Malta und Zypern das einzige Land in der EU, das keinen Informationszugang für seine Bürgerinnen und Bürger kennt. Auch bezüglich der Kritik Junckers an Ungarn wegen der dortigen pornografischen und rechtslastigen Berichterstattung genügt es, gewisse Boulevardblätter in Luxemburg aufzuschlagen, um zu sehen, dass auch die hiesige Presse schmutzig sein kann.

Somit geht es in den folgenden Tagen nicht nur darum, dass Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán seinen EU-Partnern beweist, dass er die Pressefreiheit und die Menschenrechte achtet – sondern es geht auch um die Glaubwürdigkeit der EU. Die Pressefreiheit steht zur Disposition – das sollten alle bedenken.


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