Woanders werden Arbeitsplätze vernichtet, im Handwerk entstehen welche. Doch SchulabgängerInnen interessieren sich nur wenig für eine Ausbildung in dem Boomsektor.
Sie kommen zu spät, erzeugen Lärm und Schmutz, sind zu teuer, und dann machen sie auch noch ihre Arbeit nicht so, wie die KundInnen sich es wünschen – die Liste der Vorwürfe ist lang, denen HandwerkerInnen ausgesetzt sind. Ob gerechtfertigt oder nicht, ohne HandwerkerInnen geht es nicht, vor allem nicht für in der luxemburgischen Wirtschaft.
Stellenabbau, Firmenpleiten, steigende Arbeitslosigkeit – Luxemburg ist in den Sog des europaweiten Konjunkturtiefs geraten. Angesichts des schwachen Wirtschaftswachstums sieht Zentralbank-Chef Yves Mersch sogar den Ruf des Landes in Gefahr. Das soziale Klima ist rauer geworden. EisenbahnerInnen, MetallerInnen, Krankenhauspersonal: Überall ist von Streik die Rede oder gab es bereits Warnstreiks. Das Wort „Sozialabbau“ ist in aller Munde.
Überall? Nicht im Handwerk. Das geht zumindest aus der Bilanz 2003 hervor, die von der Chambre des Metiers am Dienstag vorgestellt wurde. Das Handwerk stehe auf „goldenem Boden“, meint ihr Präsident Paul Reckinger. Der Sektor habe sich als Arbeitsplatz-Maschine und bedeutender Pfeiler der luxemburgischen Wirtschaft bewährt, verkündet er stolz.
In der Tat: Wo andernorts Stellen vernichtet werden oder verloren gehen, werden im Handwerk welche geschaffen. Allein im vergangenen Jahr entstanden dort 1.919 zusätzliche Arbeitsplätze. In nicht einmal einem Vierteljahrhundert hat sich die Zahl der Beschäftigten im Sektor mehr als verdoppelt: Sie stieg kontinuierlich von 24.032 im Jahr 1980 auf 54.532 im vergangenen Jahr. Der mit Abstand größte Teil davon (68 Prozent) arbeitet im Baugewerbe.
Boom bei erneuerbaren Energien
Der Beitrag des Handwerks zum Luxemburger Bruttosozialprodukt beträgt nach Angaben von Michel Brachmond mittlerweile zehn Prozent des Bruttoinlandprodukts. Damit hat es mit dem Dienstleistungsbereich als Zugpferd für die hiesige Wirtschaft gleichgezogen, meint der stellvertretende Direktor der Handelskammer. Dies sei nicht zuletzt auf die Steuersenkungen für Betriebe und Staatshaushalte zurückzuführen.
Die 4.179 Handwerksbetriebe erwirtschafteten im vergangenen Jahr ungefähr so viel wie die Industrie. Dabei ist die Zahl der Firmen fast gleich geblieben. Die meisten von ihnen sind kleine Betriebe mit unter zehn Beschäftigten. Die einzige Branche, wo es einen nennenswerten Anstieg an Firmen gab, war die der erneuerbaren Energien. Im vergangenen Jahr entstanden dort durch die Gründung von 20 Betrieben rund 300 Arbeitsplätze.
Vor allem im Tiefbau zeichnet sich jedoch eine Krise ab. Die öffentlichen Aufträge für Straßen- und Brückenbau werden im Laufe des Jahres weniger – nicht zuletzt wegen der anstehenden Chamber-Wahlen. Großbaustellen wie zum Beispiel die Saarautobahn sind abgeschlossen. Damit stünden etwa 2.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel – wenn die Betroffenen nicht schleunigst umgeschult werden, befürchtet Reckinger.
Der Kammerpräsident nennt auch das Hauptproblem im Handwerk: Es fehlt an gut ausgebildeten Fachkräften. Der Mangel könne durch Importe aus dem nahen Ausland oder aus Portugal allein nicht ausgeglichen werden. Die Nicht-LuxemburgerInnen machen 83 Prozent der Beschäftigten aus. Mehr als 16.000 stammen aus Portugal, gefolgt von den Franzosen, von denen 13.456 für luxemburgische Handwerksbetriebe arbeiten. Das Fazit von Paul Reckinger entspricht demnach auch der Schlussfolgerung, die der CSV-Politiker Marcel Glesener am Donnerstag zog, als er im Arbeitsministerium seinen Bericht „Interrelations entre immigration et marché de l’emploi au Luxembourg“ vorstellte: Luxemburg braucht auch in Zukunft die Immigration.
Wachsende Bedeutung ist in den vergangenen zehn Jahren den GrenzgängerInnen zugekommen. Deren Anteil liegt bei über einem Drittel der Beschäftigten, die meisten (55 Prozent) aus Frankreich. Ebenso pendeln zunehmend HandwerkerInnen aus Deutschland angesichts der dortigen schlechten Arbeitsmarktsituation über Mosel und Sauer. „Es kommen immer mehr auf mich zu, die sich für eine Arbeit in Luxemburg interessieren“, sagt Thomas Jacobi vom Arbeitsamt Trier. „Dass wir aber von uns aus, Arbeitskräfte über die Grenze vermitteln, trifft nicht zu.“ Hier gilt immer noch das Monopol des jeweiligen Arbeitsamtes.
Ganze Handwerksbetriebe folgen dem Sog der Nachfrage aus Luxemburg, so dass auch die deutsche Wirtschaft profitiert. Die Exportquote des deutschen Handwerks liegt bei vier Prozent, die der Region Trier sogar bei 11,5 Prozent. Fast die Hälfte der Trierer Betriebe sind auch im Ausland tätig.
Vergebliche Suche nach Nachwuchs
Derweil bleiben hier zu Lande, so die Bilanz der Handwerkskammer, zahlreiche Stellen unbesetzt. Und das bei steigender Arbeitslosigkeit. Viele LuxemburgerInnen zögen es vor, in den gut bezahlten Staatsdienst zu gehen, meint der Kammerpräsident. „Die Betriebe in der öffentlichen Hand nehmen dem Handwerk die Leute weg“, klagt Reckinger und sieht Luxemburg in eine Zwei-Klassen-Gesellschaft abdriften: „Die einen arbeiten fleißig. Das sind vorwiegend Ausländer. Und die anderen machen es sich im Staatsdienst bequem.“ In Privatbetrieben ausgebildete HandwerkerInnen wechseln nicht selten zum Staat, wo höhere Löhne locken. „Das ist unlauterer Wettbewerb“, schimpft Paul Reckinger.
Der Kammerpräsident kritisiert auch die mangelnde Risikobereitschaft der LuxemburgerInnen. In keinem anderen Land Europas wagen Menschen so selten den Weg in die Selbstständigkeit wie in Luxemburg. „Diese Vollkasko-Mentalität und die Aussicht auf eine lukrative Anstellung beim Staat lähmen die Kreativität“, meint Michel Brachmond. Weitere Hindernisse für die Betriebe seien vor allem die bürokratischen Hürden und die hohen Lohnstückkosten.
Den Handwerksbetrieben fehlt es nicht zuletzt an geeignetem Nachwuchs. „Was wir bekommen, ist meistens nur von schlechter Qualität“, meint Reckinger. Die 603 abgeschlossenen Lehrverträge verteilen sich im laufenden Ausbildungsjahr auf 40 Berufe, mehr als ein Jahr zuvor.
Insgesamt beläuft sich die Zahl der Lehrlinge auf 1.315, der niedrigste Stand seit acht Jahren. Trotzdem blieben 43 Lehrstellen unbesetzt. In Wirklichkeit seien dies mehr als 500, sagt der Kammerpräsident und erklärt: „Viele Handwerksmeister haben die Suche inzwischen aufgegeben.“ Die manuellen Berufe seien eben härter, fügt er hinzu. „Viele Eltern sehen ihre Kinder lieber in einem Büro sitzen.“ Dagegen suche man besonders im Baugewerbe und im Lebensmittelbereich dringend Nachwuchs. Bei Frisören und KFZ-Mechanikern sei die Nachfrage nach Auszubildenden hingegen gedeckt.
Die zuletzt genannten Berufe zeigen übrigens deutlich die ungleiche Geschlechterverteilung in den meisten Handwerksberufen: Während die Bereiche Mode, Gesundheit und Hygiene, wozu auch der Frisör-Beruf gehört, weibliche Domänen sind, gibt es fast sechs Mal mehr Mechaniker als Mechanikerinnen. Ähnlich verhält es sich im Baugewerbe.
Das Baugewerbe gehört zudem noch zu den Spitzenreitern bei der Schwarzarbeit. Davon ist jedoch der gesamte Handwerksbereich betroffen, was Lohndumping und mangelnde Sicherheitsvorkehrungen am Arbeitsplatz mit sich bringt. Niedrige Löhne, harte Arbeit – das ist die andere Seite der Vorurteile, denen sich die Handwerker ausgesetzt sehen. Und die zu ihrem Imageproblem beitragen.