ARBEITSLOSIGKEIT: Weiblich, alt und lang andauernd

Im Januar 2008 war die Zahl der Arbeitslosen etwas niedriger als ein Jahr zuvor. Eine gute Nachricht, die allerdings nicht darüber hinweg täuschen sollte, dass der Sockel der Arbeitslosigkeit weiterhin sehr hoch liegt.

Erstmals seit Oktober 2001 steigt die Arbeitslosigkeit nicht weiter an. Doch der Graben zwischen kurzfristig vermittelbaren Arbeitssuchenden und Langzeitarbeitslosen wird tiefer.

Die guten Nachrichten, die von der Direktion der „Administration de l’Emploi“ (Adem) und Arbeitsminister Biltgen am vergangenen Montag vermeldet werden konnten, stammten nicht aus dem eigenen Hause. Zur alljährlichen Pressekonferenz waren die Bilanzen vom statistischen Amt Statec aufbereitet worden. Wichtigste Nachricht: Der Luxemburger Arbeitsmarkt boomt. So wurden 2007, nach provisorischen Schätzungen, etwa 316.400 Arbeitsstellen in Luxemburg gezählt. Das waren fast 14.000 mehr als noch im Jahr zuvor. Dieser Zuwachs von 4,6 Prozent kontrastiert mit Werten, wie sie nach 2001 gemessen wurden. So machte etwa im Jahr 2003 der Zuwachs „nur“ zwei Prozent aus. Fast drei Viertel der nun neu geschaffenen Arbeitsplätze wurden von GrenzgängerInnen eingenommen. Damit verstärkt sich ein Trend, der seit einigen Jahren in Luxemburg festgestellt werden kann: Die einheimischen Arbeitslosen profitieren nur eingeschränkt vom expandierenden Luxemburger Arbeitsmarkt.

Über einen längeren Zeitraum betrachtet wird dieses spezifische Element des hiesigen Arbeitsmarktes besonders deutlich: Seit 1975 hat sich die Zahl der Arbeitsstellen um den Faktor 2,4 erhöht. Der Zuwachs um 185.000 Einheiten in etwas mehr als drei Jahrzehnten, erklärt sich vor allem aus dem Grenzgängerphänomen: Sind 1975 täglich etwa 10.000 Menschen aus dem nahen Ausland nach Luxemburg, um dort einer Arbeit nachzugehen, so waren es Ende 2007 136.300, also dreizehn mal soviel.

Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass nur mehr drei von zehn Stellen durch ArbeitnehmerInnen mit Luxemburger Pass besetzt sind. Die restlichen siebzig Prozent verteilen sich zu gut einem Drittel auf in Luxemburg wohnende AusländerInnen und zu zwei Dritteln auf GrenzgängerInnen. 51 Prozent der GrenzgängerInnen kommen aus Frankreich, 23 aus Belgien und 26 aus dem deutschen Grenzgebiet ? wobei der Anteil der letzten Gruppe schneller wächst als jener der beiden frankophonen Nachbarregionen. In puncto Arbeitslosigkeit fallen die GrenzgängerInnen aber nicht ins Gewicht: Als Luxemburger Arbeitsloser gilt nach europäischen Regelungen nur, wer in Luxemburg lebt und nach Arbeit sucht. „Frontaliers“, die ihren Job in Luxemburg verlieren, gelten als Arbeitslose in ihrem jeweiligen Herkunftsland.

Weniger Neueinschreibungen

2007 meldeten sich 1.560 Personen bei der Adem arbeitslos. Damit ging zum ersten Mal im laufenden Jahrzehnt die Zahl der Neueinschreibungen zurück. Parallel dazu stieg die Zahl der als offen gemeldeten Stellen mit 1.983 erstmals wieder über die Zahl der neu gemeldeten Arbeitslosen. Allerdings fällt auf, dass nur ein Bruchteil der neu geschaffenen Stellen überhaupt an die Adem herangetragen werden.

Immerhin war der allgemeine wirtschaftliche Aufschwung im letzten Jahr so stark, dass der kontinuierliche Anstieg der Arbeitslosigkeit, der seit Oktober 2001 zu vermelden war, erstmals abgebremst wurde (siehe Grafik). Dennoch gibt es keine Entwarnung: Die Gesamtzahl der als arbeitslos Gemeldeten hat sich von 4.549 im Jahre 2001 auf 9.623 im letzten Jahr mehr als verdoppelt. Dazu kommen noch rund 3.900 Personen, die in einer staatlich finanzierten Beschäftigungsmaßnahme eingeschrieben sind und nicht als arbeitslos gelten.

Entspannt hat sich laut Arbeitsminister François Biltgen die Lage bei der Jugendarbeitslosigkeit: In den letzten drei Jahren ging der Anteil der bis 30-Jährigen an der Gesamtzahl der Arbeitslosen kontinuierlich zurück. Inwieweit die im „5611“-Gesetz vorgesehenen Maßnahmen diesen Trend beeinflusst haben, lässt sich freilich noch nicht sagen, denn sie laufen erst seit Juli 2007.

Rechnet man die alten, nach und nach auslaufenden CAT-Programme mit den neuen, vor allem im Privatsektor angesiedelten, Spezialmaßnahmen für junge ArbeitnehmerInnen zusammen, geht die Zahl der Jugendlichen, die in Beschäftigungsmaßnahmen „unterkommen“, jedoch zurück.

Dennoch bleibt die Entwicklung bei den jungen Arbeitslosen besorgniserregend: Während über die Hälfte der in Luxemburg geschaffenen Arbeitsplätze AbiturientInnen oder HochschulabsolventInnen zugedacht sind, schafft in Luxemburg nicht einmal ein Viertel der SchülerInnen ein solches Ausbildungsniveau. Laut OECD-Vorgaben sollten fünf von sechs Kindern die Hochschulreife erlangen – davon ist Luxemburg weiter entfernt denn je.

Bildungsfalle klappt zu

Betrachtet man die Arbeitslosenstatistik aus einem soziologischen Blickwinkel, fällt auf, dass Alte, Frauen und Nicht-Luxemburger sind, die vom Phänomen Arbeitslosigkeit am stärksten betroffen sind. Während die – gut ausgebildeten – ausländischen GrenzgängerInnen am meisten vom boomenden Luxemburger Arbeitsmarkt zu profitieren scheinen, sind es vor allem die in Luxemburg lebenden Ausländer, die zusehends Probleme bei der Jobsuche bekommen. Am deutlichsten wird das bei den Portugiesen, die nur 20,2 Prozent der hiesigen Bevölkerung, aber rund 30 Prozent der Arbeitslosen stellen. Die Luxemburger, die mit 54 Prozent noch die Mehrheit der hier ansässigen Bevölkerung ausmachen, stellen „nur“ 34,7 Prozent des Arbeitslosenheeres. Das Ausbildungsdefizit, das Luxemburg insgesamt kennzeichnet, ist bei nicht-luxemburgischen Bevölkerungsgruppen noch ausgeprägter: Neben den arbeitslos gewordenen Zuwanderern drücken jetzt auch ihre schlecht ausgebildeten Kinder auf die Statistik – ein Trend, vor dem Ausländerorganisationen seit Jahrzehnten gewarnt haben.

Auf den ersten Blick ist die Arbeitslosigkeit „geschlechtsneutral“, denn 2007 standen durch sämtliche Altersgruppen hindurch 53 arbeitslose Männer 47 arbeitslosen Frauen gegenüber. Doch diese Zahlen trügen, denn – auch das eine Spezifität der Luxemburger Gesellschaft ? es stehen wesentlich mehr Männer als Frauen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung: 2007 waren 41 Prozent der Beschäftigten Frauen, demnach ist ihr Risiko, arbeitslos zu werden, um einiges höher als das der Männer.

Der insgesamt positive Trend auf dem Arbeitsmarkt verschärft die Situation einiger „Randgruppen“ aus der Adem-Klientel. Da insbesondere die schwerer vermittelbaren Fälle der Agentur erhalten bleiben, steigt deren Gewicht in der Gesamtstatistik: In den letzten Jahren hat sich der Anteil der über 50-Jährigen von 16,4 auf 21,1 Prozent hochgeschraubt. Diese Altersarbeitslosigkeit geht einher mit einer Zunahme der Langzeitarbeitslosen: Inzwischen sind über ein Drittel der bei der Adem eingeschriebenen Arbeitssuchenden länger als zwölf Monate ohne Job – Tendenz steigend. Weil die Zahlung von Arbeitslosengeld in Luxemburg auf zwölf beziehungsweise 18 Monate begrenzt ist, nimmt die Zahl der Arbeitslosen ohne Entschädigung trotz fallender Arbeitslosigkeit zu und bereichert somit die Masse der RMG-EmpfängerInnen – die Armut im Boomland Luxemburg wächst.


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