Nach langen Verhandlungen wird ein Kompromisspapier zur Klimapolitik vorgelegt. Es versucht, niemandem weh zu tun, und geht darum nicht weit genug.
Am Morgen des 12. Mai, dem Tag, an dem sich die Bahnen der Planeten Venus und Jupiter kreuzten, stellte die Regierung ihr Klimapaket vor. Dabei handelte es sich sicher um einen Zufall. Kein Zufall dürfte dagegen sein, dass in den Wochen davor gleich mehrere NGOs anhand von Studien die Notwendigkeit und Machbarkeit einer Wende in der Klimapolitik darlegten.
War es bisher in der Luxemburger Klimadiskussion vor allem um die Frage gegangen, ob die Regierung ihre Kyoto-und EU-Verpflichtungen erfüllt, werden nun mit der Studie „Luxemburgs fairer Beitrag zum globalen Klimaschutz“ neue Maßstäbe gesetzt. Die am 27. April von „Action Solidarité Tiers Monde“ und Caritas vorgestellte Anwendung des „Greenhouse Development Rights“-Modells (GDR) auf das Großherzogtum führt zur Forderung einer CO2-Reduktion weit jenseits der jetzt angestrebten 20 Prozent bis 2020 (woxx 1108). Zwar soll ein Teil dieser historisch bedingten Verpflichtung mittels Projekten in den Ländern des Südens eingelöst werden, doch ist das Ziel selbst ungleich ehrgeiziger: Senkung der Emissionen auf Null bis 2022, eine Anstrengung, von der wohl weniger als die Hälfte im eigenen Land geleistet werden kann. Die GDR-Studie bezieht sowohl die Notwendigkeit einer globalen Reduktion um 80 Prozent bis 2050 als auch die besondere Verantwortung und Leistungsfähigkeit reicher Industrieländer ein. Jede künftige Luxemburger Klimastrategie muss an ihren Ergebnissen gemessen werden.
Gerade bei der Leistungsfähigkeit klaffen aber die Einschätzungen weit auseinander. So behauptete die Regierung bisher, der Anteil von einheimisch aus erneuerbaren Quellen erzeugtem Strom lasse sich bis 2020 auf 11 Prozent erhöhen. Einen Tag nach Veröffentlichung der GDR-Studie legte Eurosolar eine detaillierte Stellungnahme dazu vor, wie Luxemburg den einheimischen Ökostromanteil binnen zehn Jahren auf 20 Prozent und bis 2050 auf 100 Prozent steigern könnte.
Wenden ohne Steuern
Für den Transportsektor gibt es von seiten der NGOs noch keine vergleichbare Aufforderung zu einer Kurskorrektur, doch eine am 5. Mai von Greenpeace vorgestellte europäische Studie macht klare Aussagen zu den in Luxemburg herrschenden nie-
drigen Spritpreisen. „Treibstoffsteuer-Paradiese“ beeinträchtigen die Steuerpolitik der Nachbarländer und haben negative Auswirkungen auf die europäische Klimapolitik, so die NGO-Föderation „Transport and Environment“. Deshalb solle Luxemburg mit dem Ausstieg aus dem Tanktourismus Ernst machen und eine Angleichung der Mindeststeuersätze auf EU-Ebene unterstützen.
Die in den drei Studien angeführten Zahlen mögen neu sein, ihre allgemeine Ausrichtung aber entspricht langjährigen Forderungen der NGOs ? und hat zum Teil Eingang in das Klimapaket der Regierung gefunden. So wird im Synthesedokument das Ziel einer Begrenzung der Erderwärmung auf zwei Grad angeführt, das auch dem GDR-Modell zugrunde liegt. Luxemburgs Klimastrategie müsse daher in einer Langfristperspektive bis 2050 angelegt werden und dürfe nicht lediglich einer rein rechnerischen Erfüllung der CO2-Reduktionsverpflichtung dienen. Auch das Recht der Menschen im Süden auf Entwicklung, Kernpunkt der GDR-Methode, findet man im Synthesedokument in ein paar Nebensätzen vor.
Dass in den Verhandlungen über das Klimapaket neben den NGOs unter anderem auch die Industrie und das Finanzministerium am Tisch saßen, merkt man, sobald es in dem Synthesedokument konkret wird. Man müsse sich für 2020 auf ein Reduktionsziel von 30 Prozent einstellen, flexible Mechanismen einbegriffen, heißt es dort ? das GDR-Modell sieht 167 Prozent vor! Explizit als nicht konsensfähig gekennzeichnet sind die Positionen zur Nutzung der flexiblen Mechanismen (FM), also der Möglichkeit, die CO2-Verpflichtungen mittels Projekten im Ausland oder des Zukaufs von Zertifikaten zu erfüllen. Die NGOs halten einen übermäßigen Rückgriff auf die FM für völkerrrechtswidrig, während insbesondere Industrie und Finanzministerium die Kosteneffizienz als einen der Gründe anführten, die für die FM sprechen.
Der Kostenpunkt ist auch eines der Hauptargumente, das die Regierung gegen die Eurosolar-Vorschläge vorbringt. Am vergangenen Donnerstag verwies Wirtschafts- und Energieminister Jeannot Krecké auf die schlechte Akzeptanz der teuren Ökostrom-Erzeugung und der mit ihr verbundenen Windmühlen und Strommasten. Um dieses Hindernis zu überwinden, so Krecké, müssten alle Parteien an einem Strang ziehen … Doch ein solcher Appell ist unglaubwürdig, denn als Wirtschaftsminister vertritt Krecké auch die Interessen derer, die einen möglichst niedrigen Strompreis wollen. Im Synthesedokument findet sich zu erneuerbaren Energien nur wenig; immerhin wird die NGO-Kritik an Biokraftstoffen zur Kenntnis genommen – und aus ihr gefolgert, dass die Substitutionsziele für fossile Energien nach unten revidiert werden müssen …
Wasser predigen,
Benzin trinken
Zurückhaltend gibt sich das Klimapaket auch in der Frage des ? als „Treibstoffexport“ euphemisierten ? Tanktourismus. Zwar wird im Synthesedokument angeführt, dass man im Zuge des Ausstiegs aus den fossilen Energien sowieso vom Tanktourismus Abschied nehmen müsse, doch am alten Argument, eine Preiserhöhung in Luxemburg führe vor allem zu Verlagerung des Tankens ins Ausland, wird festgehalten. Diese Überzeugung widerspricht aber nicht nur dem gesunden Menschenverstand ? wenn der Preis steigt, sinkt auch der Verbrauch ? sondern auch der „Transport and Environment“-Studie, nach der eine EU-weite Steuererhöhung und ?Harmonisierung zu einer konsequenten Reduktion des CO2-Ausstoßes führen würde.
Interessant ist, dass in Luxemburg die Frage der Treibstoffbesteuerung mit Samthandschuhen angefasst wird, während im Bereich der Grundversorgung das Prinzip der drakonischen Internalisierung der Kosten gilt. Die Erhöhung der Wasserabgaben nach dem Grundsatz der „Preiswahrheit“ zum Beispiel ist nicht nur unsozial, sondern auch umweltpolitisch völlig ineffizient. Daran ändert auch ein Ausbau der Unterstützungszahlungen wenig, denn diese wirken stigmatisierend und desolidarisierend. Indem die Umwelt-NGOs solche Auswüchse der Marktideologie mittragen, bestätigen sie das in der Bevölkerung und den Gewerkschaften herrschende Vorurteil, Umweltschutz gehe zu Lasten der sozial Schwächeren.
Zwei Schwachpunkte charakterisierten die Klimapolitik der vergangenen Jahre. Zum einen wurden reihenweise Maßnahmen beschlossen, deren Umsetzung mit einem „so viel wie möglich“ quantifiziert wurde. Stellte sich heraus, dass dieses „möglich“ zu geringen oder gar keinen Ergebnissen führte, wurde ohne Einschränkung auf FM zurückgegriffen. In beiden Punkten bringt das neue Klimapaket keine entscheidenden Verbesserungen. Zwar wird, wie bisher, betont, man werde „vorrangig“ auf nationale Maßnahmen setzen, doch bei den konkreten Entscheidungen sollen Kosten und Nebeneffekte berücksichtigt werden. Was das bedeutet, wenn die Regierung CO2-Schnäppchen wie jüngst in Estland angeboten bekommt, kann sich jeder selbst zusammenreimen.
Obwohl die NGOs bei der Vorstellung des Klimapakets Kritik äußerten (siehe News-Teil), betrachten sie das Paket doch als ersten Schritt in einem positiven Prozess. In der Tat wäre das Synthesedokument anders ausgefallen, wenn es zum Beispiel in einer Tripartite erarbeitet worden wäre ? als 2004 der massive Rückgriff auf FM als kostengünstigste Lösung beschlossen wurde, enthielt das Protokoll keinen dissidenten Standpunkt. Andererseits legitimiert die starke Einbindung der NGOs auch das Endergebnis, obwohl es in entscheidenden Punkten nicht deren Forderungen entspricht. Was das für die Fortsetzung der klimapolitischen Diskussion bedeutet, wird sich zeigen.
Klar ist, dass den Forderungen der NGOs mächtige wirtschaftliche Interessen gegenüberstehen. Damit wird eine Klimapolitik im Konsens, wie sie von der Regierung angekündigt wurde, erschwert. Die VertreterInnen der beiden schwächeren Säulen der Nachhaltigkeit, der Umwelt und des Sozialen, scheinen derzeit eher gegeneinander als miteinander zu agieren: Mal bekennen sich die Gewerkschaften zum Wachstumsglauben, mal applaudieren die NGOs der „Preiswahrheit“. Sollte sich bestätigen, dass das Klimapaket beide Akteure als politische Verlierer zurücklässt, so könnte dies vielleicht ein Umdenken einleiten. Das ökosoziale Gegenmodell zum „Weiter wie bisher“ ist bekannt: der „Green New Deal“ auf globaler und nationaler Ebene.
„Luxemburgs fairer Beitrag zum globalen Klimaschutz“: http://astm.lu/?p=5903
„Luxemburg ist zu 100% erneuerbar!?: www.eurosolar.lu
„Fuelling Oil Demand: What happened
to fuel taxation in Europe?:
www.greenpeace.org/luxembourg/press/releases/la-restructuration-europeenne