SOMALIA: Spielball der Interessen

Die internationale Hungerhilfe für Somalia läuft nur langsam an. Wieder einmal rächt sich, dass seit vielen Jahren versäumt wird, die Entwicklungspolitik in Afrika jenseits von Katastrophen zu organisieren.

Keine Wasser-, sondern Erdlöcher sind die meisten Brunnen in vielen Regionen am Horn von Afrika. Die Gründe dafür sind sowohl ökologischer als auch politischer Natur.

„Es ist abwegig, dass die Hungersnot am Horn von Afrika als plötzlich neues Phänomen erscheint, das eine dringende Mobilisierung verlangt. Ohne jedoch jemals den eigentlichen Ursachen dieses Horrors auf den Grund zu gehen“, kritisiert David Foka von der „Maison d’afrique“, die eine Reihe in Luxemburg aktiver Afrikaorganisationen umfasst. Das Afrika-Haus hatte letzte Woche zu einem Rundtischgespräch geladen. Vertreter verschiedener Hilfsorganisationen wie Caritas, Médecins Sans Frontières, SOS Villages d`Enfants und der Croix-rouge Luxembourgeoise waren der Einladung gefolgt. Sie informierten über die aktuelle Situation in Somalia und seinen Nachbarländern, stellten die aktuellen Hilfsprojekte vor Ort vor und diskutierten künftige nachhaltige Strategien zur Verhinderung von Hungerkatastrophen. Im Vordergrund der Veranstaltung stand jedoch die Sensibilisierung der Öffentlichkeit und die Notwendigkeit, ihre Spendenbereitschaft anzuregen.

Bei der Hungersnot in der Grenzregion zwischen Somalia, Äthiopien und Kenia handelt es sich laut Uno um die schlimmste seit 60 Jahren. Am ärgsten betroffen ist Somalia. Der UNO zufolge benötigen fast die Hälfte der rund 7,5 Millionen Somalier dringend Soforthilfe zum Überleben. Nach Schätzungen sind schon Zehntausende auf der Flucht vor der Trockenheit und den bürgerkriegsähnlichen Zuständen gestorben, bevor sie die Hilfslager erreichen konnten. Das Lager Dadaab an der kenianisch-somalischen Grenze ist bereits hoffnungslos überfüllt: Es fehlt an Nahrung, schützenden Unterkünften und sanitären Einrichtungen, und zwar nicht nur für eine kurze Übergangszeit. Gänzlich unklar ist, was auf lange Sicht mit den Flüchtlingen aus Somalia geschehen soll: Sie sind aus einem Land geflohen, in dem es keinen wirklichen Staat mehr gibt.

Wer hätte gedacht, dass es Bilder ausgemergelter Kinder, von Todesmärschen durch die Wüste, überfüllter Flüchtlingslager und verendeten Viehs im 21. Jahrhundert immer noch geben würde? Was wurde aus den Versprechen des Jahres 2000, den Milleniums-Entwicklungszielen der Uno, denen zufolge der Hunger bis 2015 um die Hälfte reduziert werden könnte?

Mit der Not und den Bildern von dem Desaster haben sich unsere gewohnten Erwartungen – Afrika als Kontinent der Katastrophen und des Hungers zu sehen – ein weiteres Mal erfüllt. Die Meldungen von der Hungerkatastrophe sollten jedoch den Blick auf die vielschichtigen Realitäten Afrikas nicht verstellen. Verschiedene Faktoren haben erst durch ihr Zusammenwirken die Katastrophe ausgelöst, vor allem die oft ausbleibenden Regenzeiten und die gravierenden politischen Konflikte der Region.

Wer hätte gedacht, dass es Bilder ausgemergelter Kinder, von Todesmärschen durch die Wüste, überfüllter Flüchtlingslager und verendeten Viehs im 21. Jahrhundert noch geben würde?

Statt dies anzuerkennen, ist in der europäischen Öffentlichkeit jedoch eine zunehmende Spendenverdrossenheit festzustellen. So begegnet man im Internet immer häufiger Äußerungen wie „Ich bin der Meinung, wir helfen zu viel, und vor allen Dingen falsch, und das schon seit Jahrzehnten“ oder „Wir zahlen nicht für eure Krise“. Belegen lässt sich diese Haltung auch an konkreten Zahlen. So hat etwa die französische nichtstaatliche Organisation « Action contre la faim » (ACF) einen Monat, nachdem in Frankreich die ersten Spendenappelle lanciert wurden, rund 4,2 Millionen Euro im Nachbarland aufgebracht. 2005 hatte die Organisation während des gleichen Zeitraums jedoch rund 16 Millionen Euro für die Opfer des Tsunami gesammelt. Woran liegt diese Zurückhaltung?

Einerseits sicher daran, dass viele Bürger mittlerweile von eigenen Geldsorgen geplagt sind und die Bankenkrise eine allgemeine Unsicherheit schafft. Andererseits scheint aber gerade Afrika weithin als hoffnungsloser Fall zu gelten – viele Spender erinnern sich noch an die Hungersnöte der vergangenen Jahrzehnte. Nicht wenigen Geldgebern erscheint die Aufbauarbeit in Katastrophenregionen wie Haiti konkreter als in Afrika, wo die Hilfe oft nur einen Tropfen auf den heißen Stein darstellt. Dazu trägt die politisch unstabile Situation in einigen afrikanischen Ländern bei: Die politischen Rahmenbedingungen sind zum Teil derart chaotisch und korrupt, dass Aufbauprojekte an zahllose Hindernisse stoßen und selbst Hilfsgüter häufig nicht zu den Notleidenden gelangen. Infolgedessen haben viele potentielle Spender das Gefühl, mit ihrem Geld nur die unmittelbaren Folgen der Katastrophe zu lindern, aber nichts an deren Ursachen bewirken zu können.

In Somalia sind die Umstände besonders problematisch; Seit rund zwanzig Jahren ist hier eine vom Westen installierte schwache und offenbar korrupte Übergangsregierung am Ruder, die nicht einmal die eigene Hauptstadt Mogadischu kontrolliert. Die somalische Rechnungsprüfbehörde, die die Staatsfinanzen 2009 und 2010 prüfte, wirft ihr in einem Bericht vor, einen Großteil der ihr bisher zur Verfügung gestellten Hilfsgelder veruntreut zu haben. Der Militärchef wurde kürzlich zum Rücktritt gezwungen, da ihm vorgeworfen wurde, Waffen aus militärischen Einrichtungen an regierungsfeindliche Gruppen verkauft zu haben. In Somalia gibt es keinerlei Strukturen mehr, die für die Bevölkerung sorgen. Seit einigen Jahren ist die militante Bewegung „Harakat al-Shabaab“, kurz al-Shabaab genannt, was so viel wie „Jugend“ bedeutet, aktiv. Sie kontrolliert mittlerweile weite Teile des Südens und versucht, eine strenge Auslegung der Scharia durchzusetzen.

Die politischen Rahmenbedingungen sind zum Teil derart chaotisch, die Logistik dementsprechend schwer zu organisieren, dass Aufbauprojekte an viele Hindernisse stoßen.

Ihr Ziel ist die Errichtung eines islamischen Staates am Horn von Afrika. Die al-Shabaab rekrutiert vor allem Jugendliche. Sie bietet den jungen Kämpfern Lohn – in einem Staat, in dem es keinen formalen Arbeitsmarkt mehr gibt. In Misskredit geriet die Organisation durch öffentlich vollzogene blutige Strafen, die sie für angebliche Straftaten verhängt. Journalisten werden drangsaliert und können ihre Arbeit nicht frei ausüben. Manche Zellen der al-Shabaab sollen Hilfsgüter geplündert und Landsleute angegriffen haben, die für ausländische humanitäre Organisationen arbeiten – aus Sicherheitsgründen haben sich daher viele internationale Helfer zurückgezogen. Zudem verhindert die al-Shabaab zum Teil den Zugang der Hilfsorganisationen in die von der Hungersnot betroffenen Gebiete mit dem Argument, die Uno sowie gewisse Hilfsorganisationen verfolgten vor Ort nur eine politische Agenda.

Die hoffnungslose Situation, in der sich zahlreiche Menschen in diesem Land befinden, zeigt sich vor allem am Aufkommen der Piraterie vor der somalischen Küste. Die Seeräuberei tangiert auch die Interessen der führenden Industrienationen, die daher oft mehr Sorge auf die Absicherung der Schifffahrtswege verwenden als auf diplomatische Interventionen, die dem Land aus der Anarchie helfen könnten.

Zudem haben viele Somalier die verfehlte militärische Intervention der Uno unter Führung der USA vor etwa 20 Jahren, bei der viele Zivilisten ums Leben kamen, nicht vergessen: Nach dem Scheitern der Mission zogen die Eingreiftruppen ab, Somalia verschwand von der politischen Landkarte, das Land fiel zusehends in die Hände zersplitterter Interessengruppen. Seither verfolgen die USA vor allem das Ziel, ein Erstarken islamistischer Kräfte zu verhindern. Andere Länder sind mehr um die illegale Einwanderung besorgt oder haben ausschließlich den reibungslosen Warentransport entlang der somalischen Küste im Auge. Diese Konzentration auf einige beschränkte Interessen ist einer der Gründe für die Desintegration des somalischen Staates. Die politischen und wirtschaftlchen Ziele des Westens und der USA werden zudem mit zum Teil fragwürdigen Methoden verfolgt. So wird nicht nur den islamistischen Milizen vorgeworfen, einen schmutzigen Krieg zu führen. Wie in Afghanistan leisten offenbar auch in Somalia private Sicherheitsfirmen – angeheuert von der von außen eingesetzten Übergangsregierung – logistische Unterstützung und bilden Soldaten aus. Es heißt, dass diese Firmen dabei auch im eigenen Interesse vor Ort Waffen testen, die nach humanitärem Kriegsvölkerrecht verboten sind.

Die Seeräuberei tangiert die Interessen der führenden Industrie-nationen, die daher oft mehr Sorge auf die Absicherung der Schiff-fahrtswege verwenden als auf diplomatische Interventionen, die dem Land aus der Anarchie helfen könnten.

Zudem soll die im Auftrag der international anerkannten somalischen Übergangsregierung agierende „Mission der Afrikanischen Union in Somalia“ (AMISOM), eine Friedenstruppe der Afrikanischen Union, die den See- und den Flughafen bewacht, mehrere zivile Wohngebiete in Mogadischu unter Beschuss genommen haben – angeblich zum Schutz der Hilfslieferungen. Es besteht die Befürchtung, dass diese Kriegshandlungen nicht nur zu mehr zivilen Opfern führen und weitere Fluchtbewegungen auslösen könnten, sondern dass ein militärisches Eingreifen letztlich den militanten Gruppen vor Ort in die Hände spielt.

Zu diesen Schwierigkeiten gesellen sich am Horn von Afrika neue Probleme, die der durch die westlichen Industrienationen verursachte Klimawandel erzeugt. Zwar waren diese Regionen auch früher von Dürren heimgesucht, aber nicht mit der Häufigkeit, wie heute. Wie aber können sich die Betroffenen noch selbst helfen, wenn die Ernten ausfallen, das Vieh verendet, der Baumbestand durch seine Verwendung als Brennmaterial vernichtet wird, und nicht nur die Wasser-, sondern auch die Lebensmittelpreise aufgrund von weltweiten Spekulationen dramatisch steigen? Wie kann sich ein Agrarland unter diesen Bedingungen aus der Misere herauswinden?

Insgesamt wird deutlich, dass es im 21. Jahrhundert immer schwieriger wird, humanitären Einsatz von politischen und ökologischen Fragen zu trennen. Es ist klar, dass es für die Menschen am Horn von Afrika erst einmal um direkte humanitäre Hilfe in Form von Wasser, Nahrung und Unterkunft geht. Aber dann muss der Wiederaufbau einsetzen, die Anlage von Lebensmittelvorräten, die Verteilung von Saatgut, der Bau von Bewässerungssystemen usw. Hierzu ist es unerlässlich, die Entwicklungspolitik in Afrika jenseits der Katastrophen besser zu organisieren. Dazu gehört auch eine engere Kooperation der einzelnen Hilfsorganisationen vor Ort – das gemeinsame Rundtischgespräch in Luxemburg zwischen den verschiedenen NGO’s hat in dieser Hinsicht immerhin ein Zeichen gesetzt. Auch die Zusammenarbeit mit den staatlichen Stellen ist verbesserungsbedürftig. Zudem muss ein Weg gefunden werden, damit zivile Hilfe wirklich uneigennützig garantiert werden kann.

Es müssten Instrumente geschaffen werden, etwa ein internationaler Fonds, der unabhängig vom Wohlwollen der Spender in Katastrophensituationen kontinuierliche Geldflüsse ermöglicht. Mit solchen Geldern ließen sich längerfristig angelegte Programme realisieren, die auf die Nutzung von im Lande vorhandenen Ressourcen abzielen ? in Ostafrika etwa die Sonnenenergie.

Aber ohne lokalen Frieden geht es nicht. Hier stellt sich die Frage, ob Somalia seinen Weg nicht ohne Einmischung finden kann ? statt noch mehr US- oder EU-finanziertes Militär aufmarschieren zu lassen, das ja auch im Irak und in Afghanistan nur bedingt für Ordnung sorgen konnte. Denn mit der durch diese Einmischung geschaffenen Abhängigkeit wird das Land auf unabsehbare Zeit ein Spielball globaler Mächte bleiben.

Zu reformieren sind schließlich auch die Märkte. Es mehren sich die Stimmen, die der in den 90er Jahren gestarteten Liberalisierung der Märkte – als der Internationale Währungsfonds und die Weltbank den Rückzug des Staates aus der Wirtschaft forderten – eine Mitschuld an der Tragödie geben. Arme Länder seien gezwungen worden, funktionierende staatliche Subventionssysteme abzubauen, wodurch sich die lokale Versorgung stark verschlechtert habe.

Insgesamt wird deutlich, dass es im 21. Jahrhundert immer schwieriger wird humanitären Einsatz von politischen und ökologischen Fragen zu trennen.

Viele Kleinbauern hätten unter dem Druck der Konkurrenz aufgeben müssen. Erst letzte Woche setzte sich in diesem Sinne der Luxemburger UN-Botschafter in Genf, Jean Feyder, in einem Wort-Interview für eine Wiederentdeckung der kleinen Landwirtschaft in Entwicklungsländern, für gerechte Preise für Produzenten, intelligente Zölle zum Schutz der Kleinbauern und eine Abkehr vom neoliberalen Dogma der Weltbank und IWF ein. „Große Teile der Politik denken nur kurzfristig von Wahl zu Wahl“, kritisierte Feyder die Verantwortlichen. Der internationale Währungsfond nehme mehr zurück, als die Kooperationspolitik gebe. Zudem habe der IWF den Entwicklungsländern geraten, lebenswichtige Nahrungsmittel zu importieren, statt selbst welche zu produzieren, urteilte Feyder, Autor des Buches „Mordshunger“ im Interview. Aber die Potenziale privatwirtschaftlicher Elemente müssten nicht nur in der Landwirtschaft gestärkt werden.

Gerade in Ländern, die wegen des Klimawandels wohl noch öfter unter einer Dürre leiden werden, sei die Differenzierung der Wirtschaft enorm wichtig. Auch müssten die afrikanischen Länder die infolge der Liberalisierung der Wirtschaft expandierenden Rohstoffexporte stärker kontrollieren – ein großer Abnehmer in diesem Bereich ist China. Das ist insofern problematisch, als es nicht nur die Umweltverschmutzung, sondern auch die Nutzung dieser Ressourcen durch die lokale Bevölkerung anbelangt.

Und last, but not least müsste endlich der weltweiten Spekulation mit Nahrungsmitteln ein Riegel vorgeschoben werden. Die G20-Finanzminister wollen bis zum Gipfel in Cannes im November 2011 über Maßnahmen in diesem Bereich entscheiden. Ob endlich gehandelt wird, wird sich zeigen.


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