Früher von vielen hofiert, heute von allen gejagt. Die Art, wie sich die Nato mit Hilfe der heimischen Rebellen Gaddafis entledigt hat, dürfte auf ähnliche Situationen kaum anwendbar sein.
Auch wenn sich die Informationslage bezüglich des Verbleibs von Gaddafi und seiner AnhängerInnen fast stündlich ändert, so scheint der Siegeszug der libyschen Rebellen doch tatsächlich stattgefunden zu haben. Im Satelliten-TV-Zeitalter reicht ja eine Kleinstkamera, um weltweit den Eindruck zu erzeugen, man sei schon an der Macht oder halte sie immer noch in den Händen. Die vor Ort im Rixos-Hotel eingesperrten JournalistInnen wussten wohl am wenigsten, was in Tripolis in den letzten Tagen tatsächlich vorging. Und die Massenmedien konnten sich herauspicken, was ihrer jeweiligen Sicht der Dinge am nächsten kam.
Dass es beim Sturz Gaddafis um mehr ging als darum, einem friedliebenden Volk bei seiner Befreiung vom verhassten Diktator zu Hilfe zu kommen, wurde hinlänglich klar, als die Betreiber des Nato-Einsatzes, Cameron und Sarkozy, ihren Völkern nach langem endlich wieder einmal „gute Nachrichten“ übermitteln konnten. Der deutsche Außenminister hingegen machte ein noch miesepetrigeres Gesicht als sonst und konnte als Nachzügler nur darauf verweisen, dass Deutschland den Nato-Einsatz zumindest logistisch unterstützt habe. Ob das aber reicht, um bei der Verteilung der Beute – sprich: den lukrativen Wiederaufbauverträgen und der Ausbeutung der Öl- und Gasvorkommen ? berücksichtigt zu werden, erscheint als einigermaßen ungewiss.
Es ist wie stets bei militärischen Auseinandersetzungen: Recht hat, wer gewinnt. Daher müssen auch die KritikerInnen am Nato-Einsatz sich die Frage gefallen lassen, ob sie nicht komplett falsch lagen. Die Frage lässt sich allerdings leicht verneinen, zumindest bezüglich jener, die nie an den Erfolgsaussichten des Libyeneinsatzes der Nato zweifelten.
Sie mögen sich über den tatsächlichen Rückhalt in der Bevölkerung für Gaddafi, und damit über dessen Resistenzfähigkeit, getäuscht haben oder hinsichtlich der Möglichkeit einer Vermittlerrolle arabischer oder afrikanischer Drittstaaten einer Fehleinschätzung erlegen sein. Das ändert jedoch nichts an der Feststellung, dass die teilnehmenden Nato-Staaten, unter klarer Missachtung der Resolution des UN-Sicherheitsrates, mit rein militärischen Mitteln in den internen Konflikt eines anderen Landes eingegriffen haben. Ob die materiellen und menschlichen Schäden ohne den Nato-Einsatz größer gewesen wären, ist unmöglich zu ergründen.
Die Intensivierung der Einsätze gegen Ende zeigt aber, dass die Nato-Koalition schließlich doch eine rasche Wende in der Lage benötigte, um den eigenen Zusammenhalt nicht zu gefährden. Auch die jetzt eingestandene Tatsache, dass operative Einsätze von Nato-Kommandotruppen auf libyschem Gebiet durchgeführt wurden, belegt, dass die UN-Resolution eigentlich nie ernst genommen wurde. Ob die Intervention der betroffenen libyschen Bevölkerung tatsächlich Freiheit und Wohlstand bringen wird, ist angesichts der Erfahrungen der letzten beiden Dekaden mit solcherart durchgeführten „Befriedungen“ mehr als fraglich.
In dem Fall, dass der Einsatz in Libyen Modellcharakter gewinnt, dürfte es in Zukunft noch schwieriger werden, Beschlüsse wie diesen im UN-Sicherheitsrat durchzusetzen. Dass das Vetorecht (von dem ja auch die ehemaligen Westmächte in der Vergangenheit zur Genüge Gebrauch gemacht haben) obsolet ist, ist dabei nur ein Teil des Problems.
Sollte tatsächlich einmal ein noch mächtigerer Despot den Groll der Weltgemeinschaft auf sich ziehen, weil er seine eigenen Landsleute ins Verderben schickt, wäre ein glaubwürdig funktionierender Sicherheitsrat unverzichtbar für die Legitimierung unumgänglicher Interventionen. Der Fall Libyen jedenfalls dürfte für alle, die Konfliktlösungen mit friedlichen Mitteln den Vorrang geben, eine große Enttäuschung sein.