VORWAHL-TRIPARTITE: Kaufkraft statt Krise

Wird der Index abgeschafft? Kommt es zur Koalitionskrise? Weder noch. Warum die Tripartite der nächsten Woche wenig Neues bringen wird.

Erhalt der Kaufkraft! Damit mobilisierten die Gewerkschaften bereits im Vorfeld der Parlamentswahlen 2009.

„Es darf keine Index-Tripartite werden“, so ist das Kommuniqué überschrieben, das der OGBL zu seinem im Vorfeld der Verhandlungen vom kommenden Donnerstag abgehaltenen Treffen mit der LSAP an die Presse gegeben hat. Ein unbedarfter Beobachter könnte freilich den Eindruck gewinnen, dass die Tripartite im Gegenteil einzig und allein wegen der automatischen Lohnanpassung veranstaltet wird. Nachdem im April 2010 die Dreierverhandlungen an der Index-Frage gescheitert waren, wurde vier Monate später eine einmalige Aussetzung des Lohnausgleichs vereinbart – damit war eine Neuauflage der Diskussion unvermeidlich (woxx 1078). Mittlerweile ist klar, dass aufgrund der Inflationsrate zwischen Oktober 2011 und Oktober 2012 mehr als nur eine Index-Tranche fällig werden wird. Es muss deshalb, so die Abmachung vom vergangenen Jahr, erneut über die Option einer Modulation, Aussetzung oder Reform des Indexmechanismus verhandelt werden. Weil aber bereits am 5. Oktober das Gesetz zum Staatshaushalt 2012 in der Chamber eingebracht wird, wäre es logisch, zuvor die Index-Angelegenheit zu klären, da das Für und Wider in dieser Frage einen Unterschied von mehreren Hundert Millionen ausmacht.

Allerdings glaubt wohl niemand, dass sich so etwas binnen einer Woche erledigen lässt, noch dazu so knapp vor den Gemeindewahlen am 9. Oktober Dass Jean-Claude Juncker eine Tripartite zu genau diesem Zeitpunkt einberufen hat, geschah wohl kaum ohne Hintergedanken. Und obwohl die Argumente für und gegen diverse Modulationen des Index-Mechanismus komplex sind, dürften sich diejenigen, die nicht daran rühren möchten, durchsetzen ? zumindest vorläufig.

Index forever

Luxemburg müsse seine Kreditwürdigkeit und seine Wettbewerbsfähigkeit erhalten, heißt es immer wieder von Seiten der Regierungs-Hardliner und der Arbeitgebervertreter. Index-Modulationen helfen, sowohl die Staatsausgaben als auch die Lohnkosten zu senken – seit 2006 wurde dies zweimal durchexerziert. Jedesmal waren es Prognosen zu bevorstehenden Haushaltsdefiziten und Exportschwierigkeiten, mit denen argumentiert wurde, und jedesmal erwiesen sich die Prognosen als viel zu pessimistisch. So lagen die Staatseinnahmen 2010 und 2011 weit über den Zahlen, mit denen die Aussetzung des Index seinerzeit begründet worden war. Im Frühjahr dieses Jahres konnte man meinen, die Weltwirtschaft habe die Krise überwunden und der Wirtschaftsstandort Luxemburg werde zu Wachstumsraten von vier Prozent und mehr zurückfinden. Doch seit einem Monat gibt es wieder einen Grund, sich in Pessimismus zu üben: Die europäische Schuldenkrise hat im August eine Talfahrt der Börsen ausgelöst, und die weiteren Entwicklungen sind schwer abzuschätzen. Die Möglichkeit, dass sich dies auf den Luxemburger Finanzplatz, und damit auf die Steuereinnahmen, auswirken wird, ist nicht von der Hand zu weisen.

„In der Tripartite geben wir uns mit den kurzfristigen Auswirkungen der internationalen Situation ab.“ Jean-Claude Reding, Präsident des OGBL, gab sich bei der Pressekonferenz vom vergangenen Dienstag Mühe, solche Überlegungen abzuwehren. Mittelfristige Prognosen zu wagen, sei „ziemlich vermessen“, meinte er in Anspielung auf die Schwarzmalerei seiner Gegenspieler in den vergangenen Jahren. Man stelle fest, so Reding weiter, dass in Luxemburg für 2011 eine ordentliche Wachstumsrate und nur ein geringes Staatsdefizit zu erwarten seien. Grundsätzlich habe die internationale Gewerkschaftsbewegung immer vor einer verfrühten Sparpolitik gewarnt ? dass nun eine Rezession drohe, sei die Folge dieser verfehlten Politik.

Was die Inflation angeht, so zeige eine Studie der Salariatskammer, dass diese zu einem guten Teil von Erhöhungen der „prix administrés“, wie dem Wasserpreis oder den Eigenbeteiligungen im Gesundheitswesen, herrührt. Die Regierung solle dort handeln, wo sie einen Einfluss hat, „statt das Thermometer zu zerbrechen, ohne das Fieber senken zu können“. Außerdem zeige die Studie, dass die Preisentwicklung in Luxemburg, über zehn Jahre betrachtet, durchaus in der Norm liegt. Wenn die Inflation die der Nachbarländer übersteige, dann auch deshalb, weil das Wachstum höher sei, und nicht, weil der Index die Löhne zu schnell wachsen lasse. „Man sagt uns, die Löhne dürften nicht schneller steigen als die Produktivität. Die Zahlen zeigen, dass das in Wirklichkeit gar nicht der Fall ist, ganz im Gegenteil“, so Reding herausfordernd.

Vox populi

Auf dieser Grundlage wies der Gewerkschaftspräsident nicht nur die Kritik am Index zurück, sondern forderte ebenfalls eine Neubewertung der Krisenmaßnahmen. Insbesondere die Krisensteuer möchte Reding abgeschafft sehen, was ja auch die Regierung bereits in Aussicht gestellt hatte. Die Unternehmen hätten immerhin Staatsgelder in Höhe von einer Milliarde kassiert, die Bürger dagegen nur 470 Millionen, von denen sodann volle 400 Millionen den Krisenmaßnahmen zum Opfer gefallen seien. Wenn man aber die Kaufkraft der Bevölkerung erhalte, unterstütze man die nicht vom Export abhängigen Wirtschaftssektoren, statt die Krise zu verschärfen. Diese Vorschläge lege man öffentlich vor, denn, so Reding „solche Diskussionen sollen nicht im stillen Kämmerlein geführt werden“.

Sollte der am Abend des 29. verkündete Beschluss lauten, dass der Index unangetastet bleibt, so wird die Ursache dafür wohl nicht in erster Linie bei Redings Argumenten zu suchen sein. Der OGBL kann sich bei seiner „Lieber Kaufkraft als Krise“-Strategie auf den Beifall der breiten Öffentlichkeit stützen. In einer am Mittwoch veröffentlichten TNS-Ilres-Umfrage bewerten 90 Prozent der Befragten ihre persönliche finanzielle und materielle Situation als „gut“ oder „eher gut“. Wie bei einem „Volk von Autofahrern“ nicht anders zu erwarten, findet sich auch keine Mehrheit für die Option, das Benzin bei der Inflationsberechnung wegzulassen. Immerhin denken 50 Prozent der Befragten, mehr als eine Tranche pro Jahr sei zu viel ? 46 Prozent sehen dies aber anders.

Was genau das bedeutet, ist allerdings unklar. Im oben erwähnten Kommuniqué gibt die LSAP zu Protokoll, man müsse „nach wettbewerbsverträglichen Lösungen suchen“, wenn es mehrere Indextranchen in einem Jahr geben sollte. Dies sei, so heißt es weiter, „zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht der Fall“. Zur Erinnerung: Die Inflation liegt derzeit bei 2,9 Prozent, was etwa 1,15 Indextranchen pro Jahr entspricht … Politik geht vor Mathematik.

„Die Parteien halten sich bedeckt“, so lautete denn auch Jean-Claude Redings Fazit aus den Sondierungsgeprächen. Wie man aus den jeweiligen Kommuniqués ersieht, betonen auch die Grünen und die DP ihre Gemeinsamkeiten mit der mächtigen Gewerkschaft. Sogar die CSV legte Reding zufolge wenig Wert darauf, den Index zum Tripartite-Thema zu machen. Beim Treffen habe die Partei auf große interne Meinungsunterschiede in dieser Frage verwiesen.

Was Jean-Claude Juncker plante, als er die Sitzung vom 29. ankündigte, wissen wir nicht. Doch mittlerweile ist es sehr unwahrscheilich, dass er als Mr. Hyde dem Großherzogtum die bittere Medizin einer Index-Modulation verschreiben wird. Möglicherweise wird er die Tripartite einfach dazu nutzen, die Abschaffung der Solidaritätssteuer zu verkünden ? und uns mit dieser schwarzen Praline den Urnengang vom 9. Oktober versüßen.


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