MUSIKTHEATER: Konzert für Tribun und Blaskapelle

Um Politik und Rhetorik geht es bei der Aufführung auf dem Knuedler, die das Rainy-Days-Festival einläutet. Das zeitgenössische Werk von Mauricio Kagel wurde speziell für Luxemburg neu inszeniert.

Konnte gut mit den Tasten: Mauricio Kagel.

„Mein Volk … Liebes Volk … Volk. Ich habe euch für immer … Nein. Ich werde euch immer in meinem Herzen … einschließen. Ihr seid eine große Nation … Na-zi-on …“ So oder ähnlich wird es am 25. November über die Plëss hallen, wenn dort zum Auftakt des Rainy-Days-Festivals das Stück „Der Tribun“ von Mauricio Kagel aufgeführt wird. Und nein, es handelt sich nicht um politisches Kabarett, sondern um sogenannte zeitgenössische Musik – neben dem Sprecher Steve Karier ist auch die Harmonie municipale aus Düdelingen mit von der Partie.

Kagel (1931-2008) war ein atypischer moderner Komponist, der unter anderem die Grenzen der Musik in Richtung Theater auslotete. Aus jüdischer Familie, in Argentinien geboren und nach Deutschland ausgewandert, war Kagel gewiss qualifiziert, 1979 ein Stück über politische Leader-Figuren zu schreiben. „Der Tribun“ versucht, eine normalerweise im Kabarett benutzte Form der Kritik in die Welt der zeitlosen Kunst zu übertragen, sich also nicht nur auf Peron, Hitler oder Honecker zu beziehen.

Dass dies ein schwieriges Unterfangen ist, davon zeugen die Kritiken rezenter Aufführungen: „arg abgestanden“, befand zum Beispiel die Neue Musikzeitung über das Stück als es 2010 in Nürnberg auf dem Programm stand. Hört man sich die von und mit Kagel selbst eingespielte Fassung an, so bleibt bei allem Spaß an den absurd-tiefsinnigen Wortspielen der Eindruck, dass das Europa von 2011 sehr weit entfernt ist von dem politischen Kontext, auf den sich der Komponist bezieht.

Für die Aufführung im Kleinstaat Luxemburg -, so klein, dass es nicht einmal mitreißende rechtspopulistische Redner gibt – stellt sich das Problem der Aktualisierung eines solchen Werkes in besonderem Maße. Andererseits, angesichts verunsicherter Bankbeamter, protestierender Indignés und demokratieverdrossener Politiker ist es auch eine spannende Herausforderung für den Regisseur Franz-Josef Heumannskämper. Dass der „Tribun“ auf dem Knuedler auftritt und das Stück als „Etat de la Nation“ beworben wird, zeugt vom Willen, nicht nur Musik-Archäologen anzulocken.

„Dieser Staat wird bedroht. Unser Vertrag wird bedroht. Aber wir hassen nicht. Wir wissen noch nicht, was Hass ist. Der Vertrag wird bedroht, und es ist für mich notwendig, heute zu fragen, ob ich untätig bleiben soll.“ Per Knopfdruck wird ein entrüstetes Raunen des Publikums eingeblendet. „Soll ich untätig bleiben?“, übertönt der Tribun das Raunen. Die Lautstärke der ablehnenden Rufe wird heraufgedreht. „Der Vertrag ist lebensnotendig, und alle andern sollen wissen, dass unsere Notwendigkeiten verteidigt werden können!“

Obwohl es in der Rede heißt, „seit 28 Jahren begleite ich euch“, denkt man vielleicht weniger an den Regierungschef als an einen seiner möglichen Nachfolger, der nicht ungerne finanzpolitische „Sachzwänge“ mit moralischen Prinzipien verquickt, und fleißig Verträge zum Schutz des Bankgeheimnisses abschließt. Es fehlt ihm allerdings die Fähigkeit, oder vielleicht auch nur der Wille, auf Populismus pur zu setzen.

Aber vielleicht sollte man den „Tribun“ nicht zu sehr als realistisch-ironische Bloßstellung einer gewissen Redekunst interpretieren. Neben dem Applaus per Knopfdruck bietet uns der Tonkünstler Kagel bitterböse musikalische Kommentare durch die Blaskapelle. Vor allem aber klingt die Rede über weite Strecken eher wie ein entlarvendes Selbstgespräch.

Ob Charakterstudie eines Alleinherrschers oder Sprachanalyse eines politischen Leaders, das Stück hat Potenzial. Man darf gespannt sein wie es sich anfühlt, auf dem Knuedler als Teil der luxemburgischen Nation verbal umgarnt und umarmt zu werden.

Der Tribun, Place Guillaume II,
am 25. November, 18h.
Mehr zum Festival, das auch Thema in unserer Musikbeilage musixx war: www.rainydays.lu


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