Mittlerweile rechnet keiner mehr mit einer Einigung auf ein Klimaabkommen vor 2015, weil Industrie- und Schwellenländer immer noch über eine gerechte Lastenverteilung streiten. Langweilig wird es in Durban deshalb aber nicht unbedingt.
Auf einen fairen, ambitionierten und verbindlichen Klimaschutz-Deal wollten die 192 Unterzeichnerstaaten der UN-Klimakonvention sich bereits vor zwei Jahren in Kopenhagen einigen. Der Versuch, ein Nachfolgeabkommen für das Ende 2012 auslaufende Kyoto-Protokoll zu beschließen, scheiterte und blieb auch beim folgenden Gipfel im mexikanischen Cancún erfolglos. Nicht, dass das Problem sich inzwischen von selbst gelöst hätte ? im Gegenteil. Anfang November berichtete das amerikanische Energiedepartment, dass die Treibhausgasemissionen im Jahr 2010 im Vergleich zum Vorjahr um 6% angestiegen sind. Das ist der stärkste Jahresanstieg, der je gemessen wurde.
Trotz der Rezession wurde also mancherorts (der Anstieg geht vor allem auf China, Indien und die USA zurück) wieder mehr produziert und konsumiert. Wo dies nicht der Fall ist, so der Tenor beim G20-Treffen Anfang November in Cannes, soll alles getan werden um der Wirtschaft überall wieder zu neuem Wachstum zu verhelfen. Zur gleichen Zeit boomt weltweit die Förderung unkonventioneller fossiler Brennstoffe: Die erwartete Ölknappheit wird mit europäischem Schiefergas und Öl aus kanadischen Teersänden abgefedert. Derweil erwägt Russland, das Madrid-Protokoll zum Schutz der Antarktis zu ignorieren und dort nach Öl zu suchen.
„Komm, wir gehen!“
Hiermit ist ein Widerspruch benannt, der die UN-Klimaverhandlungen seit jeher begleitet: Die Industriestaaten verfolgen eine hauptsächlich auf fossilen Brennstoffen basierende Wachstumsstrategie ? Entwürfe für das von ihnen in der Klimapolitik als Patentrezept gerühmte „grüne Wachstum“ bleiben in der Schublade. So werden Fakten geschaffen: Dem diesjährigen Energiebericht der Internationalen Energieagentur zufolge reichen die bis 2015 geplanten Infrastrukturprojekte aus, um in den darauffolgenden Jahrzehnten 90 Prozent jenes Emissionsbudgets zu beanspruchen, das eine Begrenzung der Erderwärmung auf 2 Grad Celsius ermöglichen könnte. Von den weniger entwickelten Ländern wird ein technologischer Quantensprung erwartet, wenn sie ihre Entwicklung in Zukunft ohne Risiken für das Klima bewältigen wollen ? ein Sprung, den die reichen Länder selber nicht wagen.
Die Weigerung der Industriestaaten, sich zu drastischen Emissionssenkungen zu verpflichten, hat in Kopenhagen zum diplomatischen Eklat geführt. Seither drehen die Verhandlungen sich im Kern um die künftige Auslegung des im Kyoto-Protokoll festgeschriebenen Prinzips der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung. Bisher sollte dieser Grundsatz gewährleisten, dass die 37 am stärksten industrialisierten Staaten im Klimaschutz vorangehen und den ärmeren Ländern beim nötigen Technologiesprung helfen. 2009 hatten die USA (die das Kyoto-Protokoll nie ratifiziert haben) und die EU diese Abmachung aufgekündigt und mit dem Finger auf die Schwellenländer gezeigt. Besonders das boomende China müsse in Zukunft ebenfalls auf der Seite der Verantwortlichen stehen; einseitige Klimaziele für die alten Industriestaaten bedeuteten ein untragbares wirtschaftliches Risiko. Das Resultat, der „Copenhagen Accord“, auf den sich USA, EU und Schwellenländer dann einigten, brüskierte die anderen UN-Mitglieder und enthielt nur Absichtserklärungen zur Emissionsreduktion, auf die keine Taten folgten.
Mittlerweile haben die UN-Klimaverhandlungen wieder auf den Weg zurückgefunden, den sie in Kopenhagen verlassen hatten. EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard meinte im vergangenen April nach der Zusammenkunft des „Major Economies Forum on Energy and Climate“: „Die gute Nachricht ist, dass die Notwendigkeit eines verbindlichen Abkommens allgemein anerkannt wird. Die schlechte, dass eine solche Einigung in Durban nicht gefunden wird.“ Was sie nicht sagte: Es dauert so lange, weil immer noch nicht klar ist, für wen genau das Abkommen verpflichtende Emissionsziele vorschreiben soll. Was kann also vom Gipfel in Durban erwartet werden?
„Wir können nicht.“
Hauptsächlicher Verhandlungspunkt wird der geplante Klimafonds sein. Ab 2012 sollen die ärmsten Länder jährlich 30 Milliarden, und ab 2020 100 Mia. Dollar für Klimaschutzprojekte und zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels erhalten. Woher das Geld kommen soll, ist aber noch ungewiss. Letzte Woche legte eine Arbeitsgruppe Vorschläge für die Finanzierungsmodalitäten als Diskussionsgrundlage für Durban vor. In letzter Minute distanzierten die USA und Saudi-Arabien sich jedoch von dem Papier und trübten damit die Aussichten auf eine Einigung. Andere, wesentlich technischere Punkte auf der Verhandlungsagenda werden die Regelung möglicher Technologietransfers von Vorreitern im Klimaschutz an andere Länder sein und die Einigung auf weltweit vergleichbare Messmethoden für Treibhausgas-Emissionen.
„Warum nicht?“
Welche Fortschritte der Gipfel beim Einigungsprozess auf Emissionsziele bringen kann, hängt weitgehend vom Verhalten der großen Schwellenländer China, Brasilien, Indien und Südafrika ab. Zumindest sind sie die einzigen, von denen noch eine Überraschung erwartet werden könnte. Der grüne Europaabgeordnete Claude Turmes meint, die EU sollte eine „strategische Allianz“ mit China eingehen, um ein Einlenken der Schwellenländer zu beschleunigen. Auf die USA solle man in den nächsten Jahren besser keine Hoffnungen setzten: „Klimapolitisch sind die ein „failed state“.
Aber wird China sich auf verbindliche Emissionsziele einlassen? Ein Rückblick auf die bisherige Entwicklung der Volksrepublik zeigt widersprüchliche Indizien: China hat die Energieeffizienz pro BIP-Einheit seit 2005 um 20 Prozent reduzieren können und mehr als jedes andere Land in erneuerbare Energien investiert. Trotzdem setzen die Chinesen bei ihrem Wachstum weiterhin vor allem auf Kohle. Seit 2000 sind die chinesischen Treibhausgasemissionen um sagenhafte 171% angestiegen, so dass die Pro-Kopf-Emissionen das Niveau Italiens erreicht haben (6,8 Tonnen pro Jahr) und die USA als größter Emittent längst abgelöst sind.
Die politischen Signale sind auch kaum deutlicher: Bis 2020 hat China sich eine Reduktion der CO2-Intensität seines Wirtschaftswachstums um 45 Prozent vorgenommen, und 2015 soll aus sechs Pilotprojekten auf regionaler Ebene ein nationales Emissionshandelssystem entstehen ? das größte weltweit. Chinas Klimaverhandlungsführer, Xie Zenhua, signalisierte kürzlich in einem Interview im Guardian, dass er an der Forderung nach einer differenzierten Lastenverteilung ohne verpflichtende Emissionsziele für die Schwellenländer festhalten werde. Anstelle der Verpflichung fordert Xie Zenhua, dass sowohl Entwicklungs- als auch Schwellenländer freiwillige Klimaziele bekanntgeben und diese in einem Sonderabschnitt des Folgeabkommens dokumentieren lassen. Kurzum: Keiner willens zu handeln, wenn nicht auch alle anderen zum Handeln verpflichtet werden.
„Wir warten auf Godot.“
Aber hat es für die EU Sinn, auf ein Einlenken Chinas zu warten? Ja, denn es gibt Hinweise darauf, dass die Produktion CO2-intensiver Güter sich in die Schwellenländer verlagert. Diese Produkte werden dann in die Indus-triestaaten exportiert, was die europäische Klimapolitik ad absurdum führt: Rechnete man diese Importe ein, läge beispielsweise die französische Emissionsbilanz zwischen 1990 und 2008 nicht bei minus zehn, sondern bei plus 25 Prozent! Auch wenn die europäische Klimapolitik wahrscheinlich gar nicht die Ursache für eine solche Verlagerung ist, reicht die Angst vor dem „carbon leakage“, um sie unter Druck zu setzen. Besonders in Zeiten der Wirtschaftskrise, wo sich Europa Sorgen über die Folgen der Deindustrialisierung macht, hat die mögliche Abwanderung CO2-intensiver Industriesektoren beträchtliches Drohpotential und die EU daher gute Gründe, die Schwellenländer mit ins Boot zu holen.
Diesem Argument widersprechen die Umweltorganisationen jedoch zum Teil. Greenpeace beispielsweise fordert durchaus, dass auch die Schwellenländer sich zu Emissionssenkungen verpflichten. Doch bedeute dies nicht, dass die EU nur unter dieser Voraussetzung eine ambitionierte Klimapolitik betreiben könne. Abwarten bringe nichts, besonders, weil die EU kaum Einfluss auf die Entscheidungsprozesse der anderen Staaten habe. Schon in Kopenhagen habe die EU vergeblich mit dem Angebot gelockt, das eigene Reduktionsziel von 20 auf 30 Prozent zu erhöhen, falls China und die USA sich ebenfalls verpflichteten. Wolle die EU wieder Gewicht in den Verhandlungen haben, müsse sie ihre Vorreiterrolle wieder wahrnehmen: „Wir haben schon 16 Prozent erreicht und könnten von einem ambitionierten Ziel für 2020 profitieren“, so Martina Holbach von Greenpeace Luxemburg. Sie meint: „Die EU importiert jährlich fossile Brennstoffe im Wert von fast 500 Milliarden Euro. Investitionen in Energieeffizienz und erneuerbare Energien wären eine wesentlich günstigere Lösung.“ Und jenen CO2-intensiven Industrien, die dann wirklich einen Wettbewerbsnachteil haben, könnte gezielt mit Investitionen in saubere Technologien geholfen werden – „worauf warten wir also?“