Die Varroamilbe ist nicht das alleinige Übel, das den Bienenvölkern zusetzt, sondern ebenfalls die dauernde Belastung mit Pestiziden. Und die sind obendrein nicht alle meldepflichtig.
woxx: Es gibt Presseartikel, in denen behauptet wird, dass das vieldiskutierte Bienensterben übertrieben werde – Bienensterben habe es schließlich schon immer gegeben …
Roger Dammé: Beim Bienensterben handelt es sich sicherlich nicht nur um ein gefühltes Phänomen. Es gibt immer mal wieder Jahre, in denen mehr Bienen sterben als gewöhnlich. Bis zu 10 Prozent Verlust über den Winter ist normal, aber in den letzten 10 bis 15 Jahren hat das Bienensterben insgesamt zugenommen – das ist belegt. In jedem Land gibt es Institutionen oder Verwaltungen, die sich mit diesem Phänomen auseinandersetzen. Das Problem betrifft allerdings nicht nur die Honigbienen, sondern sämtliche bestäubenden Insekten.
In einer Mitteilung des „Landesverband fir Beienzuucht“ heißt es, dass Neonicotinoide einen Einfluss auf das Bienensterben haben?
Als Neonicotinoide wird eine Gruppe von hochwirksamen Insektiziden bezeichnet. Es sind synthetisch hergestellte nikotinartige Wirkstoffe, die als Nervengift wirken. Die Neonicotinoide gibt es erst seit kurzem, sie wirken als Kontakt- und auch als Fraßgift, das heißt sie werden über die Wurzeln aufgenommen und in die Blätter transportiert, die dann vor saugenden Insekten geschützt sind. Deshalb werden diese Stoffe auch als Saatgutbeizmittel verwendet. Da die Wirkstoffe in der Pflanze nur langsam abgebaut werden, hält die Wirkung längere Zeit an. Seit fünfzehn Jahren werden sie in großem Maßstab eingesetzt, vor allem als gebeizte Samenkörner. Zwar sind die verwendeten Quantitäten gering – auf ein Rapsfeld, kommen rund 20 bis 30 Gramm pro Hektar, beim Mais können es bis zu 130 Gramm sein – aber sie sind extrem toxisch.
Wie können Sie sicher sein, dass es gerade dieser Stoff ist, der den Bienen zusetzt?
Neonicotinoide gehören zu den Insektiziden. Die ersten, die auf das Problem der Neonicotinoide hingewiesen haben, waren die französischen Imker. Mitte der neunziger Jahre hatten sie plötzlich – vor allem bei den Bienenvölkern, die die Sonnenblumen bestäubten – sehr hohe Verluste zu verzeichnen. Es wurden erste Untersuchungen auf den Feldern gemacht die zeigten, dass die Bienen auf den Sonnenblumen selbst verendet waren. Erst allmählich wurden dann auch Wissenschaftler aufmerksam, und Anfang 2000 setzte die französische Regierung eine Kommission ein, die der Sache auf den Grund gehen sollte. Sie stellte fest, dass verschiedene Pestizide als Verursacher in Frage kommen. Die chemische Industrie, die die Produkte herstellt, wies diesen Befund mit dem Argument zurück, dass die Insekten gar nicht mit dem gebeiztem Saatgut in Kontakt kämen – das sei bereits in dem Zulassungsverfahren festgestellt worden. Als daraufhin die französischen Imker unabhängige Institute damit beauftragten, diese These zu überprüfen, zeigte sich, das die Pollenproben sehr wohl Spuren des Beizmittels enthielten. Damit war bewiesen, dass diese Substanzen auch bis zur Blüte vordringen können und die Bienen folglich mit ihnen in Kontakt geraten. Im Nachhinein haben wir zusammen mit anderen Imkerverbänden herausgefunden, dass die Industrie über diese Fakten durchaus im Bilde war.
Der Einsatz der Neonicotinoide ist nicht meldepflichtig?
Diese Substanzen werden mittlerweile weltweit eingesetzt. Es ist praktisch zum Standard geworden, dass Saatgut – gleichgültig, ob Mais, Raps, Sonnenblumen, Weizen oder Hafer – gebeizt ist. Ein Bauer oder Winzer muss über den Einsatz der Spritzmittel Buch führen. Bei den Neonicotinoiden ist das nicht der Fall. Das gebeizte Saatgut darf in der EU frei zirkulieren. Schon Anfang Januar, als eine Delegation der Fédération des Unions d`Apiculteurs au Luxembourg (FUAL) von der Chamberkommission Landwirtschaft unter Vorsitz von Roger Negri empfangen wurde, haben wir das Verfahren kritisiert, dass die Neonicotinoide flächendeckend zum Einsatz kommen, jedoch nicht meldepflichtig sind. Wir haben klargemacht, dass in unseren Augen das Thema Pestizide in Luxemburg offenbar ein Tabu ist. Es kann doch nicht sein, dass der Service d’économie rurale eimal im Jahr landwirtschaftliche Statistiken erhebt, dabei auch errechnet, wieviel Geld im Durchschnitt pro Jahr auf Pflanzenschutzmittel verwendet wird, hier eine fallende Tendenz ausmacht – aber die Beizmittel dabei unberücksichtigt lässt! Uns wird vorgegaukelt, dass die Menge der Pestizide sinkt – in Wirklichkeit ist das gar nicht der Fall. Substanzen wie Neonicotinoide werden in keiner Statistik beim Ministerium aufgeführt. Dabei wird seit Jahren kritisch über diese Beizmittel geredet. 2008 gab es in Deutschland massive Probleme in einem Maisanbaugebiet, wo rund 10.000 bis 15.000 Bienenvölker geschädigt wurden. Als Ursache wurde schließlich der giftige Staub ausgemacht, der sich auf alle Blüten gelegt hatte, als die gebeizten Maiskörner von pneumatischen Maschinen in die trockene Erde geblasen wurden. Als Reaktion darauf hat die EU neue Richtlinien zu einem Umbau der Maschinen erlassen. Wir sind jedoch der Meinung, dass das nicht viel nutzen wird.
Können Sie eine konkrete Einwirkung auf die Bienenvölker feststellen?
Es sind kürzlich zwei weitere Studien herausgekommen, die ganz konkret nachweisen, dass die Substanzen schädlich sind. Bei diesen haben Wissenschaftler Bienen mit normalen Bienenkrankheiten infiziert und zusätzlich mit einem Sirup gefüttert, in dem minimale Mengen von Neonicotinoiden enthalten waren. Es zeigte sich, dass bis zu dreißig Prozent dieser Bienen den Weg in den Bienenstock nicht mehr zurückfanden. Verglichen mit normalen Völkern ist dieser Prozentsatz sehr hoch. Zudem wurde festgestellt, dass die Bienen Rückstände des Beizmittels in Pollenform in den Bienenstock einführten, ihre Larven mit ihnen fütterten und diese sich daraufhin nicht mehr entwickelten. Das bemerken wir auch als Bienenzüchter, nämlich wenn die Bienen ihre eigenen Larven plötzlich aus dem Stock entfernen. Die Bienen bekommen es mit, wenn ihre Larven erkranken. Aber diese Zusammenhänge eindeutig zu belegen, ist extrem schwer, da die Substanzen bereits in so winzigen Mengen schädigend wirken, dass sie sich kaum mehr nachweisen lassen. Erwiesen ist allein, dass die Bienen mit Pestiziden in Kontakt kommen. Und von diesen gibt es nur eine Sorte, die sich in den letzten 15 Jahren weltweit verbreitet hat, eben die Neonicotinoide. Natürlich hat auch der Klimawandel weltweite Auswirkungen, aber die sind nicht überall gleich.
Wird die Kritik ernst genommen?
Es gibt die politische Ebene und die Ebene, auf der wir als Verband aktiv sind. Im nationalen Rahmen informieren wir seit ein paar Jahren über das Problem. Auf EU-Ebene sind Pestizide mittlerweile ein großes Thema. Letztes Jahr wurden zwei Resolutionen erlassen, in denen die Pestizide erstmals als Faktor des Bienensterbens genannt wurden. Als Bienenverbände haben wir uns EU-weit zusammengeschlossen und beschäftigen gemeinsam eine fachkundige Person, die die ganzen legislativen Prozeduren verfolgt. Vor einigen Jahren noch wurden wir von der Industrie nicht ernst genommen, das hat man auch an verschiedenen Homologationsdossiers bemerkt. Gemäß denen werden Pestizide auf EU-Niveau zugelassen, indem nationale Hersteller einen entsprechenden Antrag stellen, der dann von der EU-Kommission geprüft wird. Das Problem mit den Homologationen ist, dass Bienen und andere Bestäuber oft mit mehreren Substanzen gleichzeitig in Kontakt kommen. Beim Bienensterben in Amerika wurden in einem Bienenvolk 10 bis 20 verschiedene chemische Substanzen gefunden. Unklar ist, wie stark diese verschiedenen Pestizidrückstände zusammenwirken. Das zu klären, ist fast unmöglich.
Gibt es in Luxemburg Forschung im Bereich der Bienen?
Von der Administration des Services Techniques de l’Agriculture bekommen wir eine finanzielle Unterstützung, und seit einigen Jahren unterhalten wir gute Kontakte zum Centre de recherche public Gabriel Lippmann. 2007 hatten wir eine gemeinsame Konferenz zum Thema, im letzten Jahr haben wir ein reduziertes Monitoringprojekt gestartet, bei dem an fünf verschiedenen Plätzen im Land der Einfluss der Agrarstruktur auf die Bienen untersucht wird. Es wurden Pollenanalysen durchgeführt, wobei wir aber noch auf die Resultate warten. Zusätzlich haben wir an sämtliche Imker Formulare geschickt, um hier Rückmeldungen zu bekommen. Wir versuchen zu erreichen, dass über das Problem stärker geredet wird. Vor einigen Jahren wurde auf den Internetseiten von Versis und der Lëtzebuerger Saatbaugenossenschaft das Beizen als Premium-Zusatz angepriesen. Damit ist wohl klar, dass diese Mittel auch hier zum Einsatz kommen. Leider wird das heute nicht mehr explizit vermerkt. Früher konnte der Bauer noch wählen, mit welchem Mittel er seine Körner gebeizt haben wollte, heute ist das Beizen Standard.
Ein Imker meinte einmal, der wichtigste Schadensfaktor bei den Bienen sei die „Varroa, der zweitwichtigste die Varroa, dann komme die Varroa…“
Die Varroamilbe ist seit dreißig Jahren, als sie nach Europa eingeschleppt wurde, ein Problem, und das mittlerweile weltweit. Sie ist ein Parasit, der sich an der Honigbiene festbeißt und sich in ihrer Brut vermehrt. Aber es ist eigentlich nicht das Saugen der Milbe – ähnlich wie beim Säugetier der Blutegel -, das die Biene schädigt, sondern eher die Tatsache, dass die Milbe Viruskrankheiten überträgt. Hätten wir eine Landschaft ohne Pestizide, wäre Varroa ein kleineres Problem. Die Bienen sind verschiedenen Umwelteinflüssen ausgesetzt: Sie brauchen bis in den Herbst hinein viele verschiedene Pollenarten. Ein geschwächtes Volk ist anfälliger für Krankheiten. Die Biene ist durch die dauernde Pestizidbelastung auf niedrigem Niveau mittlerweile so geschädigt, dass sie anfälliger auf andere Faktoren reagiert, also etwa auf die durch die Varroamilben übertragenen Viruserkrankungen. Vor 15 Jahren konnte man Varroa in den Völkern haben, ohne dass dies unmittelbar ein Problem darstellte. Mittlerweile müssen wir viel früher gegen die Varroa behandeln. Am Schluss geht dann ein Bienenvolk an der Varroa zugrunde – die Frage jedoch, warum die Bienenvölker so schwach sind, ist damit nicht beantwortet.
Roger Dammé, seiner Ausbildung nach Informatiker, arbeitet hauptberuflich als Verantwortlicher der Administration du personnel im Centre Hospitalier Emile Mayrisch. Seit fünfzehn Jahren ist er daneben als Imker aktiv und betreut 20 bis 30 Bienenstöcke. Sein Honig ist bio-zertifiziert, was bedeutet, dass er seine Bienen nach ökologischen Kriterien halten muss, also z. B. keine synthetischen Medikamente einsetzen darf. Seinen Honig verkauft er an private Interessenten und auf Hobbymärkten. Als Präsident des „Landesverband fir Beienzuucht“ engagiert er sich für die Belange der Imker. Die Anzahl der in Luxemburg tätigen Imker liegt bei 350 und ist seit einigen Jahren konstant.
Mehr Infos zum Thema finden sich unter: http://apis.lu/node/797 und http://apis.lu/node/783.