DENKMALPFLEGE: Ungeliebte Nachkriegsjahre

Der „Kolléisch“, die älteste Sekundarschule Luxemburgs, zog Mitte der 1960er Jahre an den süd-westlichen Rand der Stadt in ein neues Gebäude um, das jetzt den aktuellen Bedürfnissen angepasst werden soll.

Weitläufige Korridore mit charakteristischen Mosaikböden und maßgefertigten Einbaumöbeln. Was wird die Totalentkernung des Athénée grand-ducal davon übriglassen?

Als der wirtschaftliche Boom der späten 1950er-Jahre auch Luxemburg erreichte, entstanden vor allem am Rande der Hauptstadt einige Gebäude, die ein wenig an das am Reißbrett entstandene Brasilia erinnern. Die neue brasilianische Hauptstadt war am Ende des Jahrzehnts in nur wenigen Jahren aus dem Boden gestampft worden und führte alles vor, was moderne Architektur damals zu bieten hatte.

In Luxemburg war es das gerade für die „Europahauptstadt“ reservierte Areal des Kirchberg im Osten, an dem sich Städteplaner und Architekten mit mehr oder weniger Erfolg austobten. Im Westen der Stadt wurde der „Geesseknäppchen“ als künftiger Schulcampus auserkoren. Mit dem „Athénée grand-ducal“ entstand in der weniger rekordverdächtigen Zeit von sechs Jahren ein für damalige Verhältnisse revolutionärer Schulkomplex, der auch international große Beachtung fand.

Im Zeitalter des billigen Öls blieben freilich auch beim „neie Kolléisch“ die bekannten architektonischen Sünden hinsichtlich der energetischen Isolierung nicht aus. Auch Asbest kam, wenn auch eher in bescheidenem Umfang, zum Einsatz. Und als behindertengerecht kann der 1964 abgeschlossene Bau der Architekten Laurent Schmit, Pierre Grach und Nicolas Schmit-Noesen ebenfalls kaum bezeichnet werden – heutigen Standards der Barrierefreiheit genügt er in keiner Weise.

Immerhin: Als erstes Schulgebäude überhaupt verfügte der Kolléisch über ein hausinternes Schulfernsehen, mit einem Anschluss in jedem Klassensaal. Mit der heute bekannten Internet-Interaktivität hatte diese Neuerung aber noch so gut wie nichts gemein. Sie diente vor allem dazu, die regelmäßigen Standpauken von „Big Brother“ zu verbreiten, wenn etwa wieder einmal über Nacht das hauseigene Wahrzeichen „Datzemischi“ mit Klopapier eingewickelt worden war oder klassenkämpferische Flugzettel die hohen Fenster des so charakteristischen Préau verunzierten.

Geplant war das Gebäude zunächst für 800 Schüler – Schülerinnen sollten, nach der landesweiten Einführung der Koedukation, wenig später dazu stoßen – und 80 Lehrkräfte. Im gegenwärtigen Schuljahr besuchen etwa 1.500 SchülerInnen das Athénée, betreut von gut 200 LehrerInnen. Diese Verdoppelung wurde seither durch einen Pavillon-Anbau und durch zusätzliche Klassensäle unterhalb der ursprünglich auf Betonpfosten ruhenden und frei stehenden Flügel ermöglicht. Diese Umbauten haben an manchen Stellen das ursprüngliche Aussehen des Gebäudes nicht unerheblich verändert.

„Als langjähriger Schüler und später als Prof war ich mir der architektonischen Besonderheiten dieses Gebäudes gar nicht so richtig bewusst“, teilte am 23. April der Minister für nachhaltige Entwicklung und Infrastrukturen, Claude Wiseler, mit, als er anlässlich einer Pressekonferenz die Vorhaben zur Renovierung des Athénée vorstellte. Er habe sich aber sehr schnell von seinen Dienststellen überzeugen lassen, dass ein Abriss und kompletter Neubau des Gebäudes nicht in Frage komme, dazu sei seine ehemalige Schule ein zu wichtiger Zeitzeuge.

Tatsächlich steht das Athénée schon seit längerem auf der Liste jener Schulgebäude, die als chronisch überbevölkert registriert sind, für die ein einfacher Ausbau mangels Baufläche aber nicht möglich ist. Für solche Gebäude gilt in der Regel, dass sie abgerissen und durch einen Neubau am selben Ort ersetzt werden, der durch eine kompaktere Bauweise den veränderten Erfordernissen besser entspricht.

Personal und SchülerInnen des Athénée sollen ab der nächsten Rentrée in einem, modernen Energie- und Sicherheitsstandards genügenden, provisorischen Gebäude untergebracht werden, das nur wenige Meter entfernt in Rekordzeit errichtet wurde. Dies erlaubt eine komplette Renovierung des alten Gebäudes in einem Drittel der Zeit, die bei einer Weiterführung des Lehrbetriebs im Gebäude selbst nötig wäre. Geht alles nach Plan, soll schon 2015 der Lehrbetrieb im alten Stammgebäude wieder aufgenommen werden.

Weil der provisorische Bau für mehrere Jahrzehnte ausgelegt ist und somit ähnliche Umbau- und Renovierungsarbeiten für die anderen auf dem Campus entstandenen Gebäude erlaubt, wird dieses Verfahren am Ende sogar helfen, Geld zu sparen – behauptet zumindest, in seiner gewohnt optimistischen Art, Minister Wiseler. Trotzdem wird die Renovierung des Athénée mit 89 Millionen Euro – nicht eingerechnet die Kosten für den provisorischen Zwischenbau – fast soviel kosten wie ein Neubau ähnlichen Umfangs.

Dass Gebäude aus den 1960er Jahren erhalten bleiben sollen und der Staat dafür eine ganze Stange Geld bereit hält, überrascht, wenn man die denkmalpflegerische Debatte der letzten Zeit betrachtet. Sollte tatsächlich ein Umdenken bei der staatlichen Bauverwaltung stattgefunden haben?

Totalentkernung

Ein Blick in das Gesetzesprojekt 6385 stimmt aber eher nachdenklich, denn bei diesem Vorhaben geht es weniger um Restaurierung als um Renovierung. Was ansteht, ist ein „démantèlement“ bis zur tragenden Struktur des Gebäudes. Das ist nach Aussagen der Verantwortlichen unumgänglich: Um das Gebäude energetisch auf den Stand der aktuellen Technik zu bringen, müsse die Art der Verankerung der Fenster komplett verändert werden. Aber auch die Zwischendecken, Türen, Böden usw. sollen herausgerissen und sogar die Maße der Klassensäle im Nordflügel modernen Normen angepasst werden. Damit werden die charakteristischen breiten Gänge verschwinden, ein Element des ursprünglichen Athénée-Konzepts, das sich durch eine gewisse Weitläufigkeit und große Gemeinschaftsbereiche auszeichnete.

„Vieles im Athénée ist in liebevoller handwerklicher Kleinarbeit im Geist der damaligen Zeit speziell für dieses Gebäude hergestellt worden“, weiß Romain Modert zu berichten. Sein Verein Luxembourg-Patrimoine konnte sich unlängst vor Ort ein Bild vom Zustand des Gebäudes machen. Anders, als man vermuten könnte, begeistern sich die Denkmalschützer vor allem an den funktionellen Teilen des Gebäudes, doch machen gerade diese ihnen auch die größte Sorge.

„Der repräsentative Teil, also der Parvis, der verglaste Préau und die großen Mosaike, wurden damals so gestaltet, dass sie dem allgemeinen eher konservativen Publikum zusagen konnten. In den weniger bekannten funktionellen Bereichen konnten sich die Architekten aber voll austoben“, berichtet Modert. Diese Teile des Gebäudes hätten zudem seit den 1960er Jahren kaum eine Veränderung erfahren – die farbigen Mosaikböden zum Beispiel befänden sich noch im Originalzustand. Erwähnenswert seien auch die Täfelungen und die auf Maß eingebauten Wandschränke.

Doch genau hier liege die Gefahr, wie auf ähnliche Weise auch die Restaurierung des Cercle-Gebäudes im Stadtzentrum gezeigt habe. Dort wurde der historizistisch gestaltete große Festsaal in relativ authentischer Art wieder hergestellt. Doch von den weiteren Bereichen des Gebäudes, teilweise in Art-Nouveau-Stil gehalten, sei nichts mehr übrig: Treppen, Handläufe, spezielle Armaturen seien auf ewig verschwunden.

Romain Modert ist aber zuversichtlich, dass derartige Fehler im Falle des Athénée nicht zu befürchten seien, da inzwischen die staatlichen Stellen eine gewisse Sensibilität für diese Belange entwickelt hätten.

Ähnlich optimistisch gibt sich auch der Chef der Denkmalpflegeamtes „Sites et Monuments“, Patrick Sanavia. Zwar war seine Behörde bislang nicht in das Vorhaben der Renovierung des Athénée einbezogen worden, doch ist für die nächsten Wochen ein Treffen zwischen den Verantwortlichen der staatlichen Bauverwaltung und den Denkmalpflegern anberaumt.

„Spät aber nicht zu spät“ sei seine Behörde einbezogen worden, meint Sanavia, der allerdings einräumt, dass ihm das bereits im Januar deponierte Gesetzesprojekt und damit das genaue Vorhaben nicht zur Kenntnis gebracht wurde. Jetzt aber sind die parlamentarischen Arbeiten zum Gesetzesprojekt bereits in die Endphase getreten. Vor einigen Tagen hat der Staatsrat sein Gutachten abgegeben – und das Projekt fast kritiklos gutgeheißen. Denkmalpflegerische Fragestellungen sind in dem Avis jedenfalls nicht enthalten.

Der zum Rapporteur bestimmte Fernand Boden dürfte in der nächsten Kommissionssitzung am 6. Juni auf einen schnellen Abschluss drängen: Die Vorbereitungen für die Bauarbeiten am Athénée sollen beginnen, sobald der Schulbetrieb Mitte Juli zu Ende ist. Über das Gesetz müsste also noch vor der Sommerpause abgestimmt werden.

Sollte „Sites et Monuments“ tatsächlich bei diesem Vorhaben intervenieren und versuchen, die eine oder andere Katastrophe zu verhindern, dann dürften Veränderungen an der Ausschreibung und eventuell Mehrkosten die Folge sein. Änderungsanträge zum Gesetzesvorhaben bedeuten aber unweigerlich eine Vertagung der Abstimmung im Parlament, da ja dann auch der Staatsrat noch einmal gehört werde müsste.

Ist der Zug also womöglich längst abgefahren? Der Frust der Denkmalpfleger, die oft erst dann zum Ort des Geschehens gerufen werden, wenn der Bagger bereits gewütet hat, dürfte umso größer sein, als es sich hier um ein staatliches Gebäude handelt, dessen Instandsetzung nicht rein wirtschaftlichen Kriterien unterworfen ist.

Bislang galt die Regel, dass der Staat seine eigenen Gebäude nicht auf die Inventarliste schützenswerter Objekte setzt, da eine solche Absicherung überflüssig sei. Die Inventarliste ist das Instrument, mit dem denkmalpflegerische Katastrophen verhindert werden sollen, da sie die Eigentümer verpflichtet, jede bauliche Veränderung vorab zu melden. Doch wie das Beispiel Athénée jetzt zeigt, klappt weder die staatliche Selbstkontrolle, noch scheint bei der staatlichen Bauverwaltung der Reflex besonders ausgeprägt zu sein, sich bei Renovierungsarbeiten der Existenz eines zuständigen Denkmalpflegeamtes zu erinnern.


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