SONGWRITER: Lou-lu

Lou Reed macht seit fast fünfzig Jahren das, was ihm passt. Wo es aber hinpasst, ob in die Charts, auf Theaterbühnen oder vielleicht auch nirgendwo hin, ist ihm herzlich egal.

Lou Reed ist wohl einer der Rockmusiker die am meisten provozieren und inspirieren und das seit über 50 Jahren.

Es ist seine erfolgsverschmähende Attitüde, die ihn zu einer Ikone der Rockgeschichte gemacht hat. Der Sänger, Musiker und Songwriter wurde Mitte der sechziger Jahre mit der New Yorker Rockband The Velvet Underground bekannt, war aber, gemessen an den Plattenverkäufen, nur mäßig erfolgreich. Nach dem Ausscheiden seines Bandkollegen John Cale verließ 1970 auch Reed die Band und widmete sich fortan Soloprojekten. Das von David Bowie koproduzierte Album „Transformer“ von 1972 enthält einige seiner bis heute bekanntesten Songs, wie „Walk on the Wild Side“ und „Perfect Day“, und wurde zu seinem kommerziell erfolgreichsten Album.

Doch Erfolg war Reed nie besonders wichtig. Schon immer eckte der heute Siebzigjährige an und experimentierte beständig mit neuartiger Musik, die ihn meist selbst in unbekannte Gefilde katapultierte. Oft wurde seine Musik von den Kritikern verrissen, woran aber auch seine notorisch schlechte Beziehung zu den Medien nicht ganz schuldlos war. Seit jeher ist Reed als Journalisten-Schreck verrufen, der sich, wenn er mal etwas sagt, meist um Kopf und Kragen redet oder Unterstellungen sieht, wo es keine gibt. Trotzdem scheinen sein Verhalten und seine nicht-konforme Musik weniger von kindlicher Rebellion herzurühren als von seinem unstillbaren Verlangen, seine Ideen in die Welt hinauszutragen.

Denn für Reed ist Rock`n`Roll nicht ein Lifestyle, sondern ein Medium, durch das Konzepte und Gedanken übermittelt werden können. Mit seiner Musik schafft er die Kommunikation, die er in regulären zwischenmenschlichen Situationen, wie etwa Interviews, nicht zustande bringt. Er sieht sich selbst als Avantgardist und kombiniert in seinen Werken verschiedenste kulturelle Genres. So zum Beispiel in der Rock-Oper „Berlin“, in der einem modernen Melodrama um Drogensucht und Depression eine klassische musikalische Erzählform unterlegt ist, oder in „Raven“, einem Projekt, das Interpretationen von Edgar Alan Poes Texten mit Musik verbindet. Nicht ohne Überheblichkeit sagte Reed einmal, er hege die Hoffnung, die Intelligenz, die einst Romanen und Filmen innewohnte, werde in den Rock übergehen.

Und mit jedem weiteren Projekt tut Lou Reed sein Möglichstes, diesen Prozess voranzutreiben. Sein jüngstes Album, 2011 veröffentlicht, ist aus einer Zusammenarbeit mit der Heavy-Metal-Band Metallica hervorgegangen. „Lulu“ basiert auf einer Figur von Frank Wedekind, die die Männer unwiderstehlich anzieht und in den Wahnsinn treibt, selber aber nie die Liebe und Anerkennung findet, nach der sie sich sehnt. In dem 95-minütigen Werk vereinen sich die Egos zweier Rock-Größen, die sich gegenseitig antreiben. Metallicas ausufernder, dröhnender Metal interagiert gekonnt mit Reed-typischen avantgardistischen Texten. Man versucht hier so zu provozieren, wie es das zugrundeliegende Theaterstück zur Zeit seiner Uraufführung Anfang des 20. Jahrhunderts getan haben muss.

Live bietet Lou Reed nicht gerade eine Explosion an Emotionen. Entweder will er seine Gefühle nicht öffentlich zeigen oder er kann es nicht. Aber vielleicht ist es das, was ihn für viele Menschen so faszinierend macht: Die Ungewissheit, was wohl in seinem Kopf vor sich geht, das Mysteriöse, das dem Zuhörer gleichzeitig Raum für eigene Interpretationen der oftmals poetisch, manchmal sogar philosophisch anmutenden Texte lässt. Insofern hat er etwas gemeinsam mit Lulu, über die er folgende Liedzeile geschrieben hat: „I have no real feelings in my soul/ Where most have passion I have a hole“.

In der Rockhal, am 6. Juni.


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