Staatliche Internet-Zensur versucht, die freie Meinungsäußerung einzuschränken. Autoritäre Regierungen scheuen bei den Kontrollmaßnahmen keinen Aufwand, doch Blogger und Dissidenten lassen sich nicht den Mund verbieten.
„Reporter ohne Grenzen“ bezeichnet derzeit zwölf Länder sehr plakativ als „Feinde des Internet“: China, Kuba, Iran, Myanmar (Birma), Nordkorea, Saudi-Arabien, Bahrain, Syrien, Belarus (Weißrussland), Turkmenistan, Usbekistan und Vietnam. Tunesien und Ägypten gehören seit dem „arabischen Frühing“ nicht mehr zu dieser ersten Kategorie. Sie haben den Status „unter Beobachtung“, so wie zwölf andere Nationen: Eritrea, Russland oder die Türkei, aber auch Frankreich und Australien.
China ist die unbestrittene Nummer Eins unter den Zensur-Staaten. Das Land hat eine „Great Firewall“ um sich herum aufgebaut, 30.000 Personen sollen in den Zensurapparat eingebunden sein. Zu diesem gehört auch ein bezahltes Heer von Kommentatoren, die bei kritischen Blog-Einträgen staatskonforme „Gegendarstellungen“ schreiben. Im übrigen wird auf Einschüchterung gesetzt: Hin und wieder erscheinen Cyber-Polizisten auf Webseiten und halten Nutzer zu „harmonischem“ Verhalten an.
Harmonisch und sauber
Unliebsame Seiten werden angegriffen und lahmgelegt (Denial of Service). Oder man versucht, in die Server einzubrechen – auch im Ausland. Anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises an den Systemkritiker und Menschenrechtler Liu Xiaobo im Oktober 2010 zum Beispiel. Nach seiner Ernennung wurde die Webseite des Preises gehackt und allen Besuchern Schadcode untergejubelt. Mit der aufwändigen Zensur werden aber nicht nur politische Absichten verfolgt. Es geht auch schlicht und einfach um Geld. Durch die Sperrung von „großen“ westlichen Seiten steigt die Popularität der chinesischen Facebook- oder YouTube-Ableger – und damit ihr Umsatz.
Nicht selten kaufen autoritäre Staaten Zensursysteme von westlichen Herstellern und lassen sie auch von westlichen Ingenieuren warten. Auch in Iran wird ein importiertes Filtersystem genutzt. Der Staatsapparat in Teheran betreibt eine Dämonisierung des Netzes. Im September 2010 erklärte das Staatsfernsehen Facebook und Twitter zu „Feinden“ des Landes. Sie seien ein Werkzeug westlicher Geheimdienste, mit dem Mitglieder rekrutiert und Informationen gesammelt würden. Ein „Expertenkomitee“ brütete eine Liste von Internetdelikten aus. Verboten sind Inhalte, welche gegen die „Gesellschaftsmoral“ verstoßen, „religiöse Werte“ verletzen oder den „sozialen Frieden“ gefährden – allesamt willkürlich auslegbare Begriffe.
Große Teile des Netzes sind den iranischen Nutzern verschlossen, etwa die Videoplattformen YouTube und Flickr. Selbstredend sind auch Webseiten mit israelischer Endung (.il) nicht aufrufbar. Seit 2010 wird sogar eine „Cyberarmee“ in den Kampf gegen die freie Meinung geschickt. Todesstrafe für Blogger? Auch das, und zwar wegen „Beleidigung des heiligen Islam“. Das Regime will sogar noch einen Schritt weiter gehen: Ein geschlossenes, „sauberes“ Iran-Intranet soll entstehen, abgekoppelt vom Rest der Netzwelt.
Trostlos ist die Situation in Nordkorea, wo es erst seit kurzem Zugang zum Internet gibt – ein Privileg weniger Diplomaten. Auch in Myanmar wird das Internet vom Volk ferngehalten: Bei einer Stichprobe waren gerade einmal 118 von 12.284 IP-Adressen mit der Endung .mm nicht blockiert. Dennoch gibt es schätzungsweise 1.500 Blogger – auch sie werden als „Feinde des Landes“ behandelt und eingesperrt. Wer in Saudi-Arabien sensible Themen anspricht, muss ebenfalls mit Repressionen rechnen. Frauen lässt das Internet allerdings Freiräume, die sie in der Gesellschaft sonst nicht haben. Daher ist es kein Wunder, dass die meisten saudischen Blogger weiblich sind. Auf Facebook protestierte eine Frau dagegen, dass sie nicht in einem Damenunterwäscheläden arbeiten darf. 10.000 Nutzerinnen schlossen sich an.
Bit für Bit umschiffen
Und der „arabische Frühling“? Es ist sicher nicht so, dass die Revolutionen in Tunesien oder Ägypten allein von sozialen Netzwerken vorangetrieben wurden. Dennoch: Unterdrücker haben gehörigen Respekt vor der Macht des Internets, unterschätzen wird es niemand mehr. Auch nicht in Syrien, wo Präsident Assad weiterhin Blut vergießen lässt. Dort sind die Menschen zwar noch nicht so vernetzt wie anderswo, doch die staatliche Willkür erstreckt sich auch auf den virtuellen Raum. Wer sich etwa in ein Internet-Café setzt, gerät leicht in eine
Polizeirazzia und muss mit den Beamten „Kaffee trinken gehen“ – eine Verniedlichung des folgenden Verhörs.
Auf die Unruhen in Tunesien und Ägypten reagierte der Staatsapparat mit den üblichen Mitteln: Internet abschalten und Menschen verhaften. Hinter Gittern landete zum Beispiel ein Cybernaut, der ein Video von den gewaltsam niedergeschlagenen Demonstrationen in Damaskus bei YouTube hochgeladen hatte. Besonders viele Schlagzeilen machte der Fall der 19-jährigen Bloggerin Tal al-Mallouhi, die zuerst monatelang an unbekanntem Ort festgehalten und dann zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde.
An vielen Orten scheint die Lage aussichtslos. Aber manchmal sind die Filter nicht perfekt eingestellt, wie Jens Kubieziel vom Chaos Computer Club erklärt. Dann lässt sich die Zensur mit einfachen Tricks umgehen, zum Beispiel durch das Weglassen des „www“ bei der Adresse. Auch das Einsetzen von Großbuchstaben (wWw.Beispiel.org statt www.beispiel.org) kann zum Erfolg führen. „Es lohnt sich immer wieder, auf die Fehler der Zensoren zu setzen“, meint Kubieziel. Auch wenn diese leicht behoben werden können.
Um an Informationen zu gelangen, machen Internet-Aktivisten auch Umwege und geben die eigentlich gesperrte Seite bei einem Übersetzungsprogramm ein. Manchmal kommt Hilfe von außen: Nichtregierungsorganisationen bringen Bloggern und Dissidenten vor Ort bei, wie Programme zur Umgehung von Zensur einzusetzen sind. Die internationale Netzaktivistengruppe Telecomix etwa unterstützt derzeit die Nutzer in Syrien. Je nachdem, in welchem Land sie sich befinden, müssen die Helfer auch „undercover“ arbeiten, erklärt Kubieziel, der selbst Schulungen im Jemen durchführte. Es gelte weiterhin ein alter Spruch des US-Bürgerrechtlers John Gilmore: „Das Internet behandelt Zensur als Fehler und umschifft sie einfach.“
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