FAHRRADKONZEPT FÜR LUXEMBURG: Schwere Übersetzung

Startschuss für ein einheitliches Fahrradkonzept in der Hauptstadt. Neben topografischen, gilt es jetzt auch verwaltungstechnische Hürden zu nehmen. Das kann dauern.

„Radfahrten machen gerade mal ein Prozent des innerstädtischen Verkehrs in Luxemburg-Stadt aus“, so Bürgermeister Paul Helminger, bei der Pressevorstellung des Radverkehrskonzeptes für die Hauptstadt am Mittwoch dieser Woche. Zwar würde die Gemeinde das „Rad nicht neu erfinden“, immerhin gebe es ja bereits rund 70 km Radpisten in der Stadt, doch sei der Anteil der RadfahrerInnen am Gesamtverkehr, im Vergleich zu anderen Städten, doch sehr gering. „Es gibt ein enormes Potenzial“, meinte Helminger, schließlich seien zwei Drittel der innerhalb der Stadt mit dem Auto erledigten Fahrten nicht länger als fünf Kilometer, und damit am besten mit dem Fahrrad zu bewerkstelligen.

Selbst erklärtes Ziel der Stadtoberen ist es, den Anteil des Fahrradverkehrs auf zehn Prozent zu steigern – dies innerhalb von zehn Jahren. So lange wird auch die Umsetzung des von der „Planungsgemeinschaft Verkehr“ (PGV) aus Hannover erarbeiteten Konzeptes in Anspruch nehmen. „Zwar wird der detaillierte Finanzplan erst bis Weihnachten fertig sein, doch hat eine erste Grobschätzung ergeben, dass wir über diesen Zeitraum 10 bis 15 Millionen Euro veranschlagen müssen“, so Verkehrsschöffe François Bausch.

Während das Ziel eines zehnprozentigen Fahrradanteils eher ambitioniert klingt, erschrickt auf den ersten Blick die lange Umsetzungsphase, insbesondere da sich in der letzten Zeit ein erheblicher Nachholbedarf aufgetan hat. Zwar waren vor mehr als zehn Jahren eine ganze Reihe von Radwegen eingerichtet worden, doch wurden anschließend wichtige Verbindungsstücke nie verwirklicht. Allerdings verspricht der Verkehrsschöffe, die wichtigsten und größten Investitionen – wie etwa die Einrichtung eines zusätzlichen Liftes aus dem „Pafendall“ zum Stadtplateau, in der Nähe der Fondation Pescatore – schon in den ersten Jahren umsetzen zu wollen.

Die im Februar 2006 in Auftrag gegebene Konzeptstudie ist allerdings kein Planungsdokument, das die einzelnen Infrastrukturmaßnahmen auflistet. Vielmehr versucht die PGV, anhand diverser Analysedaten, Haupt- und Nebenverkehrsachsen für die FahrradnutzerInnen zu definieren. Zunächst entlang gedachter Ideallinien, dann entsprechend der vorhandenen Verkehrsrealität. „Grundsätzlich ist es meist besser, den Fahrradverkehr über weniger verkehrsintensive Nebenstraßen zu leiten“, so Detlev Gündel von der PGV. In verkehrsberuhigten 30-Kilometer-Zonen etwa ist es meist nicht nötig, sehr viel fahrradspezifische Infrastruktur bereitzustellen. Muss der Radverkehr allerdings über Hauptverkehrsachsen geführt werden, sind gesondert angelegte Radpisten oder Radwege unabdingbar.

Hier tut sich ein erster Konflikt des Radverkehrskonzeptes mit der Gesamtverkehrsplanung auf. Einige für das Fahrrad interessante Routen, wie zum Beispiel der Boulevard de la Pétrusse in Richtung Porte de Hollerich, sind als wichtige Nebenrouten für den Autoverkehr und damit grundsätzlich für Tempo 50 ausgewiesen. „In vielen dieser Haupt- und Nebenachsen ist die Fahrgeschwindigkeit der Autos sehr hoch“, so Detlev Gündel gegenüber der woxx, „diese hohe Grundgeschwindigkeit scheint mir eines der Hauptprobleme bei der Umsetzung des Fahrradkonzeptes zu sein.“ Ein Mittel könnte darin bestehen, durch bauliche Maßnahmen die Geschwindigkeit zu drosseln.

Eine weitere Hürde bei der Umsetzung sind die derzeit geltenden Regelungen zu den Busspuren. In der rue de Hollerich böte es sich zum Beispiel an, die RadfahrerInnen in Richtung Hauptbahnhof auf der Busspur fahren zu lassen. Doch verbietet das die aktuelle Gesetzgebung, wegen anscheinend zu hoher Busfrequenzen.

Sofortmaßnahmen

Bis unsere Gesetzgebung etwas gelockert wird, müssen sich die Verkehrsplaner allerdings andere Lösungen einfallen lassen. Für den oberen Teil der Avenue de la Liberté bedeutet dies, dass die RadfahrerInnen wie gehabt abseits der Hauptstraße, am Zithaspital vorbeigeführt werden. Damit diese „Umwege“ für Fahrradfans überhaupt attraktiv werden, bedarf es einiger Sofortmaßnahmen. Besonders die Verkehrsführung an wichtigen Knotenpunkten soll fahrradgerecht gestaltet werden

Auch das leidige Problem abrupter Übergänge zwischen Straßenraum und Radwegen soll in Angriff genommen werden. Detlev Gündel, der in den letzten Monaten alle geplanten Radrouten persönlich mehrfach abgefahren hat, gesteht ein, er verstehe nicht, wie Radrouten mit solch unpraktikablen Übergängen überhaupt gebaut werden konnten: „Das entspricht nicht dem Stand der Technik. Es gibt Möglichkeiten, Bordsteine abzusenken und trotzdem anderen Gruppen, wie etwa Blinden, das Ende eines sicheren Gehwegs zu signalisieren.“

Feintuning wird auch vom „Service de la circulation“ verlangt: Gesondert geschaltete Ampelanlagen für RadfahrerInnen sollen in Zukunft die Wartezeiten möglichst gering halten. Eine weitere von der PGV vorgeschlagene Maßnahme wurde bereits am vergangenen Montag als Pilotprojekt auf Limpertsberg gestartet: Dort sind die Einbahnstraßen in der 30-Kilometer-Zone grundsätzlich für Fahrräder in beide Richtungen freigegeben.

Der Gesamtplan, wie er jetzt vorliegt, sieht 14 Haupt- und 15 Ergänzungsrouten vor. Mit den Hauptrouten werden die größten Verkehrsströme zwischen Schulen, Freizeiteinrichtungen, Geschäftsvierteln und Wohnungsgebieten erfasst. Als erste Hauptroute wird die Verbindung „Stadtzentrum-Bahnhof-Bonneweg-Howald“ in Angriff genommen. Ein wichtiges Glied darin konnte sozusagen in letzter Sekunde für den Pressetermin am Mittwoch geschlossen werden: eine in beide Richtungen befahrbare Radfahrspur über die „Passerelle“. Zupass kam den städtischen Verkehrsplanern dabei die notwendig gewordene Baustelle an dieser viel befahrenen Brücke. Weil in den letzten Monaten abwechselnd immer mindestens eine Spur für den Verkehr gesperrt war, konnte der Beweis erbracht werden, dass der Verkehr auch über zwei Spuren zufriedenstellend abfließen kann. Bislang hatte sich die staatliche Straßenbauverwaltung geweigert, Straßenraum für das Anlegen eines Radweges auf der Passerelle freizugeben.

Auch die VertreterInnen der „Lëtzebuerger Velosinitiativ“, die von Anfang an in die Ausarbeitung des Radverkehrskonzeptes mit einbezogen wurden, zeigen sich sehr zufrieden mit der neu entstandenen Dynamik rund um das Radfahren in der Stadt. Was jetzt wichtig wäre, so LVI-Präsident Gust Muller, ist eine bessere Kontrolle über die Einhaltung der Regeln seitens aller VerkehrsteilnehmerInnen. Insbesondere das Einhalten der Höchstgeschwindigkeit in den von Fahrrädern und Autos gemeinsam benutzten Bereichen, müsste besser überwacht werden.

Neben der nun anstehenden Detailplanung und der Überzeugungsarbeit in den diversen Dienststellen, sieht Verkehrsplaner Gündel denn auch vor allem ein wichtiges Aufgabenfeld: die Öffentlichkeitsarbeit. Sie soll nicht nur potentielle RadfahrerInnen zum Benutzen der neuen Infrastrukturen animieren, sondern auch die anderen VerkehrsteilnehmerInnen auf die veränderte Verkehrssituation aufmerksam machen. Parken auf dem Radweg, auch wenn er ungenutzt scheint, ist ab sofort kein Kavaliersdelikt mehr.


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