LUXEMBOURG GOES UNO: Bescheiden, aber entschieden

Hello, world!
Jean Asselborn schüttelt Ban Ki-moon, dem UN-Generalsekretär, die Hand. Wenn alles klappt, werden sie sich demnächst etwas öfter sehen. Über Luxemburgs VertreterInnen in New York wird der Außenminister im Weltsicherheitsrat mitstreiten, vermitteln und manchmal ein bisschen Geschichte schreiben.
Bereits von 1982 bis 2004 schrieb Asselborn als Steinforter Bürgermeister Lokalgeschichte. 2004 wurde er Außenminister und Vize-premier. Der heute 63-Jährige war auch sieben Jahre lang Präsident der LSAP, sicher nicht die schlechteste Vorbereitung auf das Streiten und Vermitteln.

woxx: Luxemburg will für zwei Jahre Mitglied im UN-Sicherheitsrat werden. Warum dieser Aufwand für eine Institution wie die Uno, die fast 70 Jahre alt ist und keine Zähne mehr hat – und eigentlich noch nie welche hatte?

Jean Asselborn: Die Uno wurde nach dem zweiten Weltkrieg gegründet, um innerhalb der Weltgemeinschaft Kriege zu verhindern, und sie ist die einzige weltweite Institution dieser Art. Es stimmt, ihre Strukturen kann man kritisieren. Die Generalversammlung, in der 193 Staaten vertreten sind, tut sich schwer damit, Entscheidungen zu treffen. Deshalb wurde der Sicherheitsrat mit fünfzehn Mitgliedern eingesetzt. Seine fünf permanenten Mitglieder verfügen über ein Vetorecht. Es sind, grob gesagt, die Mächte, die über Atomwaffen verfügen: die USA, Russland, Großbritannien, Frankreich und China. Wenn man in der heutigen Welt nicht mehr eine einzelne Macht als Weltgendarm haben will, dann gibt es nur ein Instrument, das diese Rolle übernehmen kann: den Weltsicherheitsrat. Gut wäre aber, ihn zu reformieren, denn seine Zusammensetzung und Funktionsweise geht ja auf die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg zurück.

Es gab schon zahlreiche Reformvorschläge und -versuche …

2005 waren wir ziemlich nahe dran, auf Initiative vor allem Joschka Fischers. Es gab eine verbreitete Bereitschaft für die Aufnahme des wiedervereinigten Deutschlands – immerhin zweitgrößter UN-Beitragszahler – als permanentes Mitglied. Der so genannte G4-Plan sah ebenfalls vor, Japan, Indien, Brasilien und zwei afrikanischen Ländern dieses Statut zu verleihen. Doch zwischen Ägypten, Südafrika und Nigeria konnte keine Einigung gefunden werden, und auch auf anderen Kontinenten gab es Widerstand gegen die genannten Staaten.

Was ist die Position Luxemburgs in dieser Frage?

Wir sind dafür, den Sicherheitsrat zu erweitern, und zwar sowohl bei den nicht-ständigen als auch bei den ständigen Mitgliedern, bei denen jeder Kontinent vertreten sein sollte. Ob mit Vetorecht oder ohne, ist eine andere Frage. Wir hatten seinerzeit unser Einverständnis für den G4-Plan gegeben … anders als gewisse andere europäische Länder.

Es gibt ja auch den Vorschlag, einen gemeinsamen ständigen EU-Sitz im Sicherheitsrat zu schaffen – anstelle der Sitze von Großbritannien, Frankreich und eventuell Deutschland.

Ehrlich gesagt, ich glaube, es gibt erst dann eine europäische Außenpolitik, wenn die EU einen solchen gemeinsamen Sitz hat. Ein solcher Sitz ist erstrebenswert, aber ich sehe nicht, wie wir einen Konsens darüber erreichen könnten. Die beiden jetzigen permanenten Mitglieder werden nicht auf ihre Sitze verzichten wollen. Anders als in manchen anderen Gremien vertritt im Sicherheitsrat jedes Land nationale Positionen, und Luxemburg wird das gegebenenfalls auch tun. Dabei muss es selbstverständlich eine europäische Koordination geben. Wenn die Positionen der EU-Staaten widersprüchlich sind, ist das für die gemeinsame Außenpolitik dramatisch, wie sich 2003 im Falle des Irak gezeigt hat.

In Sachen Handlungsfähigkeit der Uno gibt es seit 2005 das Konzept der „Responsibility to protect“. Manche sehen darin eine leere Hülse, andere eine Ermächtigung für militärische Interventionen. Wie steht Luxemburg dazu?

2005 wurde auch eine weitere wichtige Komponente geschaffen: die Peacebuilding Commission. Zum Beispiel hat derzeit die Luxemburger UN-Botschafterin den Vorsitz der für Guinea zuständigen Struktur übernommen. „Responsibility to protect“ ist natürlich ein politisch hochsensibles Thema, wie man im Fall von Libyen sehen konnte. Ich erinnere mich an ein europäisches Außenministertreffen, bei dem alle sagten: Die Arabische Liga wird bestimmt keinen Antrag für eine No-Fly-Zone stellen. Der kam dann aber doch. Danach dachte man, Russland und China wären nie einverstanden damit ? tatsächlich haben sie sich im Sicherheitsrat enthalten, also kein Veto eingelegt! So kam es zu einem militärischen Eingreifen. Man könnte stundenlang diskutieren, ob das richtig oder falsch war. Schaut man sich an, was dabei herauskam, so konnte man nach den Wahlen einen positiven Eindruck haben. Mittlerweile erkennt man, dass vieles schwierig ist.

Unter dem Gesichtspunkt der „Responsibility to protect“ war angesichts der vielen Toten das Eingreifen kein großer Erfolg. Und dieses Konzept sollte auch nicht für einen Regimewechsel instrumentalisiert werden.

Das ist tatsächlich eine schwierige Diskussion. Irgendwann wurde klar, dass, um die Bevölkerung zu schützen, Gaddaffi weg musste.

Hat das eine Vorbildfunktion für die Lösung der Syrienkrise?

Die „Responsibility to protect“ rein militärisch durchzusetzen, ist nicht im Sinne der UN-Charta. Meine Einschätzung, auf der Grundlage all dessen, was ich höre und sehe, ist, dass eine militärische Intervention in Syrien eine Katastrophe wäre. Fakt ist allerdings, dass das, was jetzt passiert, für die Menschen dort auch eine Katastrophe ist. Die EU hat es fertiggebracht, Sanktionen und ein Waffenembargo zu beschließen. Hätte der Sicherheitsrat einen ähnlichen Beschluss gefasst, so wäre die Lage eine andere. Wenn es in einem Fall wie Syrien nicht möglich ist, auf der Ebene des Sicherheitsrats eine Position zu finden, die die Menschen vor dem Morden schützt, dann muss man fragen ob der Sicherheitsrat nicht dras-tisch versagt.

Ist das nicht auch die Quittung für eine Libyen-Resolution, die viel weiter ging und bei der Russland und China sozusagen über den Tisch gezogen wurden?

Der russische Außenminister hat so argumentiert und im September 2011 angekündigt, das werde sich nicht wiederholen. Aber ich frage mich, was die russische Strategie in dieser Angelegenheit ist. Mit seinem Veto, und der Unterstützung Syriens schlägt Russland gegenüber der gesamten arabischen Welt einen Kollisionskurs ein. Es müsste doch möglich sein, dass Russland und China zumindest eine Geste machen im Sinne eines humanitären Schutzes: mittels einer UN-Resolution Krankenhäuser schützen, Korridore zur Evakuierung von Verletzten schaffen …

Ende September hatte Deutschland den Vorsitz des Sicherheitsrates inne und berief eine Syrien-Sondersitzung ein. Würde Luxemburg das auch tun, oder müssten wir uns als kleines Land eher bedeckt halten?

Selbstverständlich könnte Luxemburg eine solche Initiative ergreifen. Die Außenpolitik des 21. Jahrhunderts ist nicht die des zwanzigsten. 1989 sagte Gilbert Trausch bei der Unabhängigkeitsfeier, es sei unvorstellbar, dass Luxemburg Paris oder Berlin kritisieren könne. Mittlerweile gibt es eine demokratische Entwicklung, die es erlaubt, dass Luxemburg durchaus seine Meinung zum Ausdruck bringt. Ich fände es auch dramatisch, wenn ein souveränes Land außenpolitisch keine eigenen Positionen beziehen würde. Positionen machen ein Land sichtbarer. Dabei müssen wir allerdings auf die europäische Solidarität Rücksicht nehmen. Und nie vergessen, dass wir ein kleines Land sind – immer bescheiden und realistisch bleiben.

Luxemburg unterhält gute wirtschaftliche Beziehungen zu Russland und China. Im Sicherheitsrat stehen beide Länder in der Kritik. Kommt es da für Luxemburg nicht zu einem Interessenkonflikt?

Als der Dalai Lama 2007 in Deutschland empfangen wurde, gab es vonseiten Chinas sehr heftige Reaktionen. Mittelfristig blieb das aber ohne Konsequenzen: Die wirtschaftlichen Beziehungen sind so intensiv wie nie zuvor. Luxemburg hat zu Russland und China ebenfalls wirtschaftliche Beziehungen aufgebaut – und politische. Das ist wichtig in der Außenpolitik: Um mit jemandem zu kommunizieren, auch um eine problematische Botschaft zu überbringen, muss man „on speaking terms“ sein. Das bedeutet nicht, dass man alles mitträgt und billigt, was in diesen Ländern passiert. Als Außenminister versucht man unter vier Augen – anders geht es nicht – auf Menschenrechtsprobleme aufmerksam zu machen. Beim jüngsten Treffen mit meinem Kollegen in Peking haben wir während des Essens fast eine Stunde über die Frage der Todesstrafe diskutiert. Auch in außenpolitischen Fragen vertreten wir eine eigene Position. Obwohl uns vieles mit den USA verbindet, hatte ich zum Beispiel seinerzeit Verständnis dafür, dass Russland empfindlich auf die amerikanischen Pläne für einen Raketenschirm reagierte. Ich habe aber heute Schwierigkeiten, die Position Moskaus im Syrien-Konflikt richtig zu verstehen.

Syrien und die Blockadehaltung von Russland und China sind nicht das einzige Thema, das den Sicherheitsrat spaltet. Auch beim Israel-Palästina-Konflikt spielt das Vetorecht eine Rolle.

In der Tat, die USA nutzen ihr Vetorecht vor allem, um die Interessen und Positionen Israels zu verteidigen. Ich verstehe, dass man als Amerikaner, oder auch als Deutscher, ein spezifisches Verhältnis zum israelischen Volk und zu seinem Staat hat. Doch kann man das nicht einfach auf eine israelische Regierung übertragen, die meiner Meinung nach das Gegenteil von dem tut, was langfristig im Interesse des israelischen Volks wäre. Ich habe Hochachtung vor Israel. Aber ich verstehe wirklich nicht, warum man die Siedlungspolitik fortführt, mit der man die Westbank so durchlöchert, dass dort kein Staat mehr entstehen kann. Das ist Gift für die Sicherheit Israels. Ich kenne die palästinensischen Leader, Abbas, Fayyad, Erekat ? die israelische Regierung wird nie wieder so gemäßigte Gesprächspartner finden. Und die Siedlungspolitik hilft denen, die verhindern wollen, dass die arabischen Länder Israel anerkennen.

Wie würde sich Luxemburg im Sicherheitsrat positionieren?

Unsere Politik fortführen, das heißt, positiv ausgedrückt, Israel ermutigen, die Siedlungspolitik aufzugeben und mit den Palästinensern über eine Zwei-Staaten-Lösung zu verhandeln. Das israelische Volk ist nur sicher, wenn die Palästinenser einen eigenen Staat haben.

Die Welt ist groß, Luxemburg klein. Reichen die Ressourcen unseres Staatsapparats überhaupt aus, um die Aufgaben im Sicherheitsrat korrekt wahrzunehmen?

Luxemburg zählt zu den Gründungsmitgliedern der Vereinten Nationen und hat diese Aufgabe noch nie wahrgenommen. Wir betrachten unsere Kandidatur nicht nur als ein Recht, sondern auch als eine Pflicht. Wir haben seit langem unsere Entwicklungshilfe ausgebaut, nicht erst, seit wir unsere Kandidatur angemeldet haben. Als reiches Land zeigen wir, dass wir auch teilen können. Diese Einstellung verschafft uns Respekt in den Ländern des Südens. Wir sind auch bei einer Reihe von UN-Fonds unter den 20 ersten Geldgebern, in absoluten Zahlen! Darüber hinaus: Im Laufe der Jahre hat Luxemburg bereits elf EU-Vorsitze bewältigt. Dabei wird zehn- oder zwanzigmal mehr Personal benötigt als für den Sicherheitsrat. Zum Teil haben wir das besser hinbekommen als die großen Länder, weil wir es in europäischem Geist angegangen sind.

Wie stehen unsere Chancen, in den Sicherheitsrat gewählt zu werden?

Niemand kann das wissen. Unsere direkten Konkurrenten bei der Wahl, Australien und Finnland, waren bereits mehrfach vertreten. Wir noch nie, das könnte ein Vorteil sein. Der Anteil der Entwicklungshilfe dieser Länder am BIP ist auch viel niedriger als unserer. Wie immer es auch ausgeht, die Bewerbungskampagne war nicht nutzlos. Wenn man in 180 Ländern Gespräche führt, dann erklärt man ja auch, was in Luxemburg in wirtschaftlicher Hinsicht läuft; es ist eine Art Werbung für luxemburgische Firmen. Unser Land ist jetzt vielerorts besser bekannt, und das begüns-tigt die Knüpfung neuer politischer, kultureller und wirtschaftlicher Beziehungen.

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Die Kandidatur für den Sicherheitsrat

Seit 1945 ist Luxemburg Uno-Mitglied, aber erst 2001 hat es sich für einen Sitz im Weltsicherheitsrat beworben – für die Jahre 2013 und 2014. Jean Asselborn, seit 2004 Außenminister, bemühte sich in den vergangenen Jahren, möglichst viele Länder von der Qualität der Kandidatur zu überzeugen. Der Sicherheitsrat besteht aus fünf ständigen und zehn nicht-ständigen Mitgliedern. Letztere werden jeweils von der UN-Vollversammlung mit Zweidrittelmehrheit für zwei Jahre gewählt. Jedes Jahr wird ein Teil der Mandate erneuert; dieses Jahr steht unter anderem die Wahl für die beiden Sitze der Ländergruppe „Westeuropa und andere“ an. Neben Luxemburg bewerben sich Finnland und Australien. Die Wahl ist für den 18. Oktober vormittags (Eastern Daylight Time) angesetzt. 


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