AGRARPOLITIK: Die Renaissance des Gartens

Über die Ineffizienz der EU-Agrarpolitik, die schwierige Zukunft der Landwirtschaft und das Potential des Gartens sprach die woxx mit dem Agrarspezialisten Benedikt Haerlin, der demnächst nach Luxemburg kommt.

Wenn die Landschaft zur Fabrik wird.

Was wurde seit der Abfassung des Weltagrarberichtes eigentlich umgesetzt? Wie fällt Ihre Bilanz aus?

Benedikt Haerlin: Ich ziehe eine gemischte Bilanz. Einerseits ist seit 2009, als der Bericht veröffentlicht wurde, sehr vieles in die falsche Richtung gelaufen. Stichworte sind zum Beispiel Spekulation mit Lebensmitteln oder Boden, Landgrabbing, aber auch die Intensivierung der Landwirtschaft in vielen Regionen der Welt anstelle einer Agro-Ökologisierung, sowie der Missbrauch von Agrarflächen für die Produktion von Energie und Sprit. Andererseits sehe ich, dass wir 2011 nach einer ersten ablehnenden Reaktion in vielen offiziellen Institutionen, wie der Weltbank oder der FAO, oder in Regierungskreisen erlebt haben, dass wichtige Botschaften dieses Welt-Agrarberichts zumindest auf dem Papier akzeptiert wurden. Dazu gehört für mich die klare Botschaft, dass es auf die Kleinbauern und -bäuerinnen dieser Welt ankommt, wenn wir sowohl Nachhaltigkeit als auch die Überwindung des Hungers erreichen wollen.

Papier ist geduldig …

Sehr vieles entsteht zunächst auf dem Papier. Deshalb würde ich das nicht geringschätzen. Ich habe auch das Gefühl, dass sich die wissenschaftliche Gemeinde durchaus mit dem, was ihr der Welt-Agrarbericht ins Stammbuch geschrieben hat, auseinandersetzt. Aber man kann nicht sagen, dass der Welt-Agrarbericht eine Wende eingeleitet hat. Er trägt allerdings zu einem Paradigmenwechsel in der Agrarwissenschaft bei: weg von einem reinen Produktivismus hin zu einem noch nicht ganz ausgereiften Konzept von Suffizienz.

Wie weit sind diese Prinzipien in die ab 2014 wirksam werdende Reform der EU-Agrarpolitik eingeflossen? Und wie beurteilen sie diese?

Das ist ein ganz trauriges Kapitel. Einerseits gibt es einen wirklich bemerkenswerten Bericht der EU-Agrarforschungszentren, der den Welt-Agrarbericht eigentlich noch eine Stufe weiter entwickelt hat. Andererseits sehen wir, dass die reale Politik der EU die Agrarpolitik weiter betreibt wie bisher. Und das bis hin zum Wortlaut. Die Verordnung enthält heute noch exakt dieselben Zielvorstellungen wie vor 50 Jahren.

Woran liegt das – sind die Lobbies zu stark in Brüssel?

Ja, sie sind zu stark. Es ist seitens der Umweltbewegungen, aber auch der Mehrheit der Abgeordneten im Europäischen Parlament, noch nicht ausreichend gelungen, die Agrarlobby unter Druck zu setzen. Obwohl die Abgeordneten nicht von Agrarindustriellen gewählt werden, sondern von VerbraucherInnen, und eher von kleinen als von großen Bauern. Es ist noch nicht wirklich gelungen, das Thema Agrarpolitik auf die öffentliche Tagesordnung zu bringen, und es gibt auch alte Vorurteile wie: Die produzieren sowieso nur Butterberge. Dass es hier um die Zukunft unserer Lebensgrundlagen geht, ist für meine Begriffe noch nicht richtig durchgedrungen. Aber wir arbeiten daran. Wir werden in Berlin im Januar wieder eine Demonstration zu diesem Thema organisieren; die beiden letzten Male nahmen immerhin 20.000 Leute teil. Die Dringlichkeit dieses Problems wird im Moment auf EU-Ebene leider ein wenig von der Euro-Panik überschattet.

Gibt es trotzdem eine positive Wende bei der Reform der EU-Agrarpolitik?

Der größte Schritt in die richtige Richtung ist aus meiner Sicht, dass zum ersten Mal überhaupt für diese Direktzahlungen, die ja den Löwenanteil der Agrarsubventionen ausmachen, bestimmte Umweltleistungen gefordert werden, die über das, was gesetzlich vorgeschrieben ist, hinausgehen. In dem Vorschlag der Kommission ist es vor allen Dingen die Mindestfruchtfolge – also dass man nicht jedes Jahr in Folge auf einer Fläche Mais anpflanzen darf. Die zweite, bedeutenste und deshalb auch umstrittenste Veränderung, ist die, dass jeder Betrieb mindestens sieben Prozent seiner Ackerfläche als ökologische Vorrangfläche bewirtschaften soll. Das bedeutet, dass dort keine Pestizide und kein Kunstdünger ausgebracht werden dürfen, dass also die biologische Vielfalt auf diesem Teil einer Fläche Vorrang hat. Ein dritter Vorschlag sieht ein Verbot vor, Grünland zu Ackerfläche umzubrechen. Das ist ein wichtiger Schritt. Die Kommission schlägt zudem vor, ab einer bestimmten Summe die Subventionen pro weiterem Hektar zu deckeln. Die Intention dieses Vorschlags ist zu begrüßen, aber leider betrifft er nicht einmal 2.000 Betriebe in der gesamten EU. Ich könnte Ihnen jetzt noch eine lange Liste von Dingen nennen, die bei der Reform der EU-Agrarpolitik nicht angegangen wurden. Nach meinem Gefühl ist es keine besonders ambitionierte Reform. Zudem tun Deutschland und Frankreich im Moment alles, um auch diese bescheidenen Ansätze zu einer Verbesserung kaputt zu machen.

Wie erklärt sich das?

Deutschland und Frankreich sind die größten Profiteure der EU-Agrarpolitik; sie erhalten große Beträge und wehren sich deshalb gegen eine gerechtere Teilung der EU-Agrarsubventionen zwischen den neuen Mitgliedsstaaten im Osten und den traditionellen im Westen. Deutschland denunziert die ökologische Vorrangfläche als eine Flächenstilllegung, was sie gar nicht ist, und vertritt hier sehr deutlich die Interessen der Agrarindustrie, genauer, einer neuen Lobby der Chemieindustrie, die sich wissensbasierte Bio-Ökonomie nennt: Landwirtschaft als Rohstofflieferant für Energie- und Chemieunternehmen. Die wollen keine Bioauflagen, sondern die Landschaft zur Fabrik machen.

Was Sie fordern, ist ein radikal neues Agrarsystem, das sich nach dem Grundsatz richtet: Nicht mehr als nötig. Verheben Sie, als ehemaliger Linker, sich da nicht an der Grundideologie des Kapitalismus? Wie ist dieser Mehr-Haben-Wollen-Reflex aus den Köpfen herauszubekommen?

Ich glaube, der ist bei Linken genau so verbreitet wie bei Rechten. Der Glaube, dass die Steigerung der Produktion die Grundlage des Fortschritts ist, ist mindestens so sozialistisch wie kapitalistisch. Die Möglichkeit ökologischen Innehaltens ist dagegen eine dritte Perspektive, die hoffentlich bei Linken wie Konservativen an Bedeutung gewinnt. Sie ist die eigentliche Herausforderung, die uns nicht nur in der Landwirtschaft in den nächsten fünf Jahrzehnten beschäftigen wird. Wenn wir sie nicht bewältigen, zerstören wir unsere eigene Lebens- und Produktionsgrundlagen. Landwirtschaft produziert heutzutage pro Kopf mehr als je zuvor in der Geschichte der Menschheit, dennoch hungert nach wie vor fast ein Siebtel aller Menschen. Wir wissen, dass wir unsere Klimaziele nicht erreichen können, wenn wir so weitermachen wie bisher. Der Beitrag von Landwirtschaft und Ernährung macht hierbei 40 Prozent aus. Wir wissen, wir werden unseren Wasserhaushalt ruinieren, wenn wir so weitermachen. Wir können auch nicht solche unglaublichen Mengen an Kunstdünger ausbringen, die ganze ozeanische Systeme ruinieren. Und es ist klar, dass wir – und zwar sehr wesentlich durch die Art, wie wir Landwirtschaft betreiben – das sechste große Artensterben auf diesem Planeten in Gang gesetzt haben. Wir müssen also umschalten!

Aber wie?

Indem wir uns fragen, was tatsächlich notwendig ist, damit sich heute sieben Milliarden – und in fünfzig Jahren vielleicht neun – auf diesem Planeten so ernähren können, dass alle satt werden, ohne dadurch die gemeinsamen Lebensgrundlagen zu zerstören. Dafür haben wir ein enormes Potential. Wir schmeißen in Europa ja fast die Hälfte aller Lebensmittel weg und essen mehr als doppelt so viel Fleisch, als gesund ist. Das ist in jeder Hinsicht eine der ineffizientesten Arten von Ernährung, die man sich vorstellen kann. Wir betreiben einen unglaublichen Aufwand an Düngung, der überhaupt nicht notwendig ist, um diese Ergebnisse zu erzielen. Es ist wichtig, effizienter zu sein, nicht nur in Bezug auf einen Aspekt, sondern im Gesamtergebnis. Häufig führt Effizienz ja nur dazu, noch mehr zu produzieren. Das ist der Unterschied zur Suffizienz. Die bedeutet: Nicht mehr als nötig.

Als bedeutsam für diese Suffizienz sehen Sie die Rolle der Kleinbauern an. Aber auch die Kleinbauern in den so genannten Drittweltländern wachsen in die kapitalistische Idee hinein, und in Europa sterben die Familienbetriebe aus. Wie kann man Landwirtschaft wieder attraktiver gestalten?

In Europa streben viele junge Menschen vom Land in die Stadt – Ich sehe allerdings auch immer mehr Junge, die aus der Stadt aufs Land  wollen. Also ist es keine Einbahnstraße.

Aber es ist viel Startkapital vonnöten, um als Landwirt aktiv zu werden!

Die Frage ist tatsächlich eine ökonomische. Das Grundverhältnis, das die ökonomische Frage bestimmt, ist aus meiner Sicht: Was ist Arbeit im Verhältnis zur Energie wert? Wie teuer ist Arbeit und wie teuer ist Energie? Solange Energie künstlich so billig gehalten wird wie im Moment, wird sie Arbeit immer wieder verdrängen und letztlich zu dem führen, was wir Industrialisierung der Landwirtschaft nennen – also immer größere Maschinen, immer größere Felder, immer standardisiertere Verhältnisse, Monokulturen.

„Man kann nicht sagen, dass der Welt-Agrarbericht eine Wende eingeleitet hat. Er trägt allerdings zu einem Paradigmenwechsel in der Agrarwissenschaft bei.“

Dabei kommt scheinbar billigeres Essen heraus, allerdings auch schlechteres. Denn die Qualität der Lebensmittel sinkt, die Bodenqualität sinkt, die Diversitätsqualität sinkt – all das, wofür die Landwirte nicht bezahlt werden, nimmt ab, verliert an Qualität. Menschen, die einen Garten haben, wissen wovon ich spreche. Er macht viel Arbeit. Auf der anderen Seite ist das, was Sie aus einem Garten herausholen können, sowohl an Kalorien pro Quadratmeter als erst recht an Qualität, einfach unschlagbar. Da kann keine Art von industrieller Landwirtschaft und Monokultur oder Glashauskultur mithalten. Was ist uns das wert? Das ist auch eine gesellschaftliche Frage; in den Ländern, in denen die meisten Kleinbauern leben – China und Indien – auch eine Frage der politischen Stabilität. Wollen wir eine Gesellschaft, in der Menschen in den Slums von 30-Millionen-Städten leben? Ist das die Zukunft, die wir anstreben? Die Regierungen dort sind sich der Brisanz dieser Frage durchaus bewusst. Die zweite Frage lautet: was ist einer Gesellschaft die Gesundheit, die Vielfalt der Lebensmittel und auch die Schönheit der Landschaft wert? Wieviel ist sie bereit dafür auszugeben? Und in welcher Form sollen die, denen die Sorge dafür anvertraut wird, dafür vergütet werden? Das kann durch Subventionen geschehen, aber auch durch höhere Preise. Luxemburg ist 
das Land in Europa, in dem die
Menschen statistisch den geringsten Anteil ihres verfügbaren Einkommens für Lebensmittel aufwenden. Wieviel geben wir heute für unser Mobiltelefon aus und wieviel für Lebensmittel? Wir entscheiden was uns wie wichtig ist.

Die Landwirtschaft hat ein Imageproblem. Hat die Politik die Landwirtschaft nicht zu lange vernachlässigt? Und liegt es nicht vielleicht auch an der Berufsausbildung?

Die Landwirtschaft hat heute vor allen Dingen bei jungen Leuten ein massives Imageproblem. Aber sie hat auch alle Möglichkeiten, dieses Imageproblem zu überwinden. Es gibt kaum einen so spannenden, so innovationsfähigen und so vielseitigen Beruf wie den des Landwirts. Das Problem ist eher – ich kenne viele junge Leute, die Landwirtschaft studieren – an Land zu kommen und damit an die Möglichkeit, einen Hof zu führen. Das ist etwas anderes als in vielen anderen Bereichen der Wirtschaft. Wenn jemand kein Land hat, ist es sehr schwer für ihn. Es gibt zwar allerlei Förderprogramme, und es besteht auch in der Debatte um die EU-Agrarreform ein Konsens, dass das ein wichtiges Thema ist. Es gibt Vorschläge, zum Beispiel, dass junge Landwirte etwas größere Subventionen pro Hektar bekommen sollen als ältere. Ich weiß nicht, ob das der Weisheit letzter Schluss ist. Es geht vielleicht eher darum, ob es auf dem Land Kinderbetreuung gibt, Bildungs- und Kulturangebote und eine schnelle DSL-Verbindung. Das sind freilich Tropfen auf den heißen Stein, solange der Preis für Grund und Boden durch falsche Subventions- und Energiepolitik in die Höhe getrieben wird. Man kann nicht mit kosmetischen Maßnahmen der öffentlichen Hand fundamentale Marktmechanismen aushebeln. In Deutschland können Landwirte den Boden, den sie bewirtschaften, nicht mehr kaufen, weil die Rendite aus der Lebensmittelproduktion nicht dem geforderten Spekulationspreis entspricht.

Wenn Sie am Hebel säßen und Subventionen verteilen könnten – wie würden Sie diese einsetzen?

Ich würde zunächst ein Prozent der heute verausgabten Subventionen in die Entwicklung von Systemen investieren, die den Markt so steuern, dass man auf Subventionen verzichten kann. Wie schaffen wir es, dass mit Grund und Boden nicht spekuliert wird und Äcker nicht als Ölfelder missbraucht werden? Vermutlich nicht durch Subvention des Grundeigentums pro Hektar. Dann würde ich eine Prioritätenliste der landwirtschaftlichen Dienstleistungen hinsichtlich Biodiversität, Vermeidung von klimaschädlichen Emissionen, Erhaltung der Kulturlandschaft etc. aufstellen und versuchen, möglichst effektive Programme auf den Weg zu bringen, bei denen wir präzise für diese Dienstleistungen bezahlen und zwar an diejenigen, die sie erbringen.

Der französische Verein Kokopelli setzt sich für den Erhalt alter Obst- und Gemüsesorten ein – ein großer Konzern droht ihm zurzeit das Wasser abzugraben. Wie kann die regionale Vielfalt beim Anbau insgesamt gefördert werden?

Solche Organisationen haben es nicht einfach, da heute die Vorstellung besteht, dass Saatgut so etwas wie eine Software ist und diese Software Privateigentum einzelner Unternehmen. Die Jahrtausende alte Selbstverständlichkeit, dass Saatgut ein Allgemeingut ist, und die Kokopelli vertritt, gilt als überholt. Ich glaube, dass es einer der größten Fehler des 20. Jahrhunderts war, die Züchtung und den Erhalt der Vielfalt von Saatgut dem Markt zu überlassen. Wer Vielfalt will, muss dafür sorgen, dass Saatgut ein öffentliches Gut bleibt und von der Gesellschaft gepflegt wird. Schauen Sie nur an worauf europäische Patentämter heutzutage Patente erteilen – vom gentechnisch manipulierten Schimpansen bis zum konventionell gezüchteten Blumenkohl und isolierten Schnipsel Erbgut. Hier hat eine handvoll überbezahlter Rechtsanwälte für eine beispiellose Verwahrlosung unseres Naturbegriffs und unseres Begriffes von Erfindung im Gegensatz zu Entdeckung gesorgt – im Auftrag einiger weniger Unternehmen. Weltweit kontrollieren heute die drei Unternehmen Monsanto, Dupont und Syngenta 53 Prozent des gesamten Umsatzes mit Saatgut. Das sind vordemokratische und vorkapitalistische Zustände.

„Die Möglichkeit ökologischen Innehaltens ist eine dritte Perspektive, die hoffentlich bei Linken wie Konservativen an Bedeutung gewinnt.“

Sie haben sich gegen den Import von Eiweißpflanzen, z.B. Soja, zur Tierfütterung verwendet. Er wird in Europa mit dem Argument gerechtfertigt, ein Anbau sei nicht konkurrenzfähig. Gibt es positive Beispiele für den lokalen Anbau von Eiweißpflanzen in Europa?

Ich sehe im gesamten Donauraum von Bayern über Österreich, Bulgarien und Rumänien sehr ernsthafte Bemühungen, diesen Züchtungsrückschritt zu überwinden; hier gibt es sehr spannende Initiativen. Ein Antrieb ist dabei, die Gentechnik-Freiheit des Soja zu garantieren. In den USA und Argentinien ist das kaum mehr möglich. Es geht aber vor allem darum was es für Folgen hat, wenn in Europa praktisch keine Leguminosen – also Pflanzen, die selbst Stickstoff fixieren – mehr in der Fruchtfolge auftauchen. Das hat fatale Auswirkungen auf die Bodenfruchtbarkeit. Wie kann es hingenommen werden, dass in Brasilien Urwälder abgeholzt werden, in Argentinien ganze Landschaften verschwinden, nur damit wir in Europa billig viel zu viel Fleisch produzieren können. Das ist eine obszöne Situation! Europa importiert jedes Jahr die Erträge der dreifachen Agrarfläche Deutschlands – aus Übersee und teilweise aus Regionen, in denen Hunger herrscht -, nur um die bedauernswerten Tiere in seinen Agrarfabriken füttern. Das kann nicht richtig sein. Gleichzeitig verschwenden wir in Deutschland schon 20 Prozent der Ackerfläche, um Biodiesel, Biogas und Agrarsprit herzustellen.

Sie waren sehr engagiert die letzten Jahre. In welchem Bereich möchten Sie zukünftig noch aktiv sein?

Ich würde gerne mehr Zeit in meinem eigenen Garten verbringen. Im Grunde genommen liegt die Lösung der meis-ten Probleme, über die wir hier gesprochen haben, in der intelligenten Nutzung von Gärten. Ich glaube, wir stehen vor einer großen Renaissance des Gartens hier in Europa. Das betrifft unsere Selbstversorgung, Lebens- und Esskultur, unsere Sicherheit, und unser Verhältnis zur Welt. Die Größe eines durchschnittlichen Bauernhofs in Indien, China und Afrika beträgt 1,6 Hektar – vollkommen indiskutabel für einen Landwirt in Europa oder Amerika. Aber es ist das menschliche Maß. Auf solchen Flächen sind wir in der Lage, Artenvielfalt zu erleben und zu fördern und die Produktivität mit unserer eigenen Hände Arbeit, auch mit unserem eigenen Grips, zu steigern. Unsere Erde ist zum Garten der Menschheit geworden, ob uns das gefällt oder nicht. Selbst unsere Wildnis müssen wir heute pflegen. Deshalb erscheint mir die Gartenkultur auch global als Alternative zu den agrarindustriellen Wachstums- und Patentrezepten, die uns an den Rand der Bewohnbarkeit unseres Planeten bringen und dennoch hungern lassen.

Zur Person:
Benedikt Haerlin ist ein deutscher Journalist und ehemaliger Europa-Abgeordneter (Grüne). Haerlin kritisiert seit seiner Abgeordnetenzeit 1984-1989 den Einsatz der Gentechnik in der Landwirtschaft und koordinierte bis 2002 die Gentechnik-Kampagne von Greenpeace-International. Von 2003 bis 2008 saß er als NGO-Vertreter im Aufsichtsrat des Welt-Agrarberichtes (IAASTD) der Weltbank und UNO zur Lage der globalen Landwirtschaft. Seit 2002 arbeitet er für die „Zukunftsstiftung Landwirtschaft“ an Kampagnen wie „Save Our Seeds“ und der Europäischen Konferenz gentechnikfreier Regionen. Seit 2009 ist er an Kampagnen zur EU-Agrarreform wie „Meine Landwirtschaft“ und „Good Food Good Farming“ beteiligt.

Benedikt Haerlin wird am Sonntag, dem 18. November, am „Jungbauern- und Jungwinzertag“ im Festsaal der Ackerbauschule in Ettelbrück zum Thema „Europäische Agrarpolitik zwischen Hunger und Überfluss. Die sozialen und ökologischen Herausforderungen der Landwirtschaft im 21. Jahrhundert“ sprechen.
Infos unter: www.jongbaueren.lu


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