UNPOLITISCHES BUCH: Gläserner Juncker?

Nach 30 Jahren (s)einer Ära ist nun ein Lexikon erschienen, das eigene Zitate des Premiers und Zitate über ihn versammelt.

Vollblutpolitiker, visionärer Staatsmann oder doch nur Blender?

Manche Leute scheinen einen Instinkt dafür zu haben, wann sich ein Produkt gerade am besten vermarkten lässt. Dass ein Buch über Jean-Claude Juncker irgendwann der Masse vorgeworfen würde, war nur eine Frage der Zeit. Die Herausgeber Serge Spellini und Albin Wallinger, die das nun geleistet haben, und die Neuerscheinung in ihrer Presseankündigung ganz ohne Bescheidenheit als „Das Buch zu 30 Jahren Juncker“ bewerben, haben diese Rallye jedenfalls gewonnen. In dem Buch sind Äußerungen von über 400 Menschen über den schillernden Premier sowie zahlreiche eigene Aussagen und Mitschnitte von Dialogen im Parlament versammelt.

Wieso gerade jetzt in stürmischen Zeiten nach zahlreichen Staatsaffären ein Buch mit Anekdötchen und Zitaten des Premiers? Geht seine Ära langsam ihrem Ende zu und soll dem Patriarchen noch schnell eine Hommage dargebracht werden? Ist das Buch am Ende als Wahlkampf-Pamphlet zu deuten, oder wird im Gegenteil Junckers Mythos als weltgewandter Staatsmann womöglich dekonstruiert? „Weder noch“ sagen die Herausgeber und betonen, dass es sich um „eine ausgewogene Darstellung“ handelt. In einer knappen Einleitung locken sie mit dem Versprechen, es erwarte den Leser „eine spannende Zeitreise durch die vergangenen 30 Jahre eines wichtigen europäischen Politikers.“ Es handele sich um eine Zitatensammlung, die es dem Leser erlaube, „sich selbst ein Bild über das Weltbild und die Denkweise von Jean-Claude Juncker zu machen“. Gerade für jüngere Menschen sei sie als eine „Analyse- und Nachdenkhilfe“ interessant. Man erfahre hier nämlich, „wie ein exponierter Politiker denkt und wie er mit politischen Gegnern umgeht.“ Auf der anderen Seite bezeichnen sie ihr Buch als „Vorhaben mit offenem Ausgang“. Umfangreiche Recherchearbeit sei nötig gewesen, um zu jenem Ergebnis zu gelangen, das der Leser nun in der Hand halte: einen „multi-perspektivischen“ Blick auf Jean-Claude Juncker.

Multiperspektivischer Blick?

Die gerade in einer Auflage von 4.000 Exemplaren erschienene 400-seitige-Fibel ist zweigeteilt: Auf der einen Seite findet man Zitate und Selbstaussagen des Premiers zu verblüffend willkürlich zusammengestellten 549 Namen, Orten und Begriffen. Wendet man das Buch, so sieht man die Zitate von Prominenten aus der internationalen, vor allem deutschsprachigen, und der Luxemburger Polit- und Medienlandschaft. Von „A“ wie Dieter Althaus, Ministerpräsident von Thüringen, bis Z wie Laurent Zeimet, ehemaliger Journalist und Bürgermeister von Bettembourg, der insgeheim als potenzieller Juncker-Nachfolger gehandelt wird.

Unter dem Vermerk „Benutzerhinweis“ betonen die Herausgeber, dass das Zitatenlexikon „unabhängig“ von Juncker sowie von staatlichen Stellen und Institutionen entstanden sei. Auch der PROM-Verlag, dessen Logo – ein roter Stern – ironischerweise an das der RAF erinnert, ist angeblich „unabhängig und frei von jeglichen Interessengruppen oder Subventionen.“ Erstaunlich umfangreich fällt da die Quellenwürdigung des „Journal“ aus – „die Zeitung setzte immer wieder neue Maßstäbe im Luxemburger Journalismus“.

Kennengelernt haben sich der Österreicher Albin Wallinger und der Luxemburger Serge Spellini als Kandidaten in einer „Wetten, dass …?“-Sendung bei Frank Elstner. Ihr erstes Promi-Lexikon „Wie Prominente Frank Elstner erleben“ ist offenbar ein Vorläufer des auf Zitate gründenden Juncker-Lexikons und ebenfalls im luxemburgischen PROM-Verlag erschienen.

„Juncker wendet im politischen Alltag rund 35 kluge Rhetorik-Strategien“ an heißt es einleitend. Die Herausgeber belassen es jedoch bei dieser Feststellung und unterziehen seinen Diskurs keiner semantischen Analyse. Offenbar wird vorausgesetzt, dass seine Zitate für sich selbst sprechen. Führe man sich den politischen Diskurs des mit allen Wassern gewaschenen Politikers vor Augen, so falle der inflationäre Gebrauch bestimmter Termini auf. Welche das sind, müssen die LeserInnen allerdings selbst herausfinden.

Keine semantische Analyse

Erstaunlicherweise findet sich nirgendwo auf den 400 Seiten eine sprachwissenschaftliche Analyse, die als theoretische Grundlage dienen könnte. Stattdessen will Wallinger Junckers Diskurs anhand wirtschaftswissenschaftlicher Kategorien erklären. Nach einem „360-Grad-Feedback-Register“ wird Juncker nach vier solchen Kategorien (Ausstrahlung/ Kompetenz, Mitarbeiterführung und Ziel- und Ergebnisorientierung), die eine Positionsbestimmung erlauben sollen, beurteilt.

Dass es auch kritisch geht, zeigt das Interview „Ich bin kein Putschist!“ in der Monatszeitschrift Forum 326. Hier wurde das rhetorische Geschick des Premiers auf den Prüfstand gestellt. Immer wieder schafft es Juncker, mit Gegenfragen den Spieß umzudrehen. Max Gindt und Bernard Thomas unternahmen zudem den Versuch einer Erklärung seiner rhetorischen Manöver. „Indem sich der Politiker einzelne Kernpositionen seiner Gegner zu eigen macht (…), mache er sich im politischen Spektrum nicht nur unverortbar, sondern auch unwiderlegbar“, stellten sie fest. Freilich ist sich der Premier seines eigenen Charmes bewusst. Doch Vorstöße in Richtung Selbstkritik erweisen sich in dem Juncker-Lexikon letztlich oft als bare Koketterie mit seinen rhetorischen Fähigkeiten. So heißt es unter „K“ wie Kommunikation: „Ich stelle mir im Leben schon die Frage, wie man gut kommuniziert.“ (Januar 2006) Nur selten verrät er sich, geben seine Phrasen wirklich Aufschluss über eigene Hintergedanken. Wie im Falle „Länder, kleine“: „Kleine Länder brauchen eine intelligente Nischenpolitik. Große Länder verkaufen Waffen, kleine Länder vermarkten Nischen“, soll Juncker im Juli 2002 verlautbart haben. – Ein Bekenntnis zur Steueroase? Weise Voraussagen und Kritik an der Haltung der EU schimmern in erster Linie in seinem Europa-Diskurs durch, etwa, wenn er in Bezug auf Eliten in der EU warnt: „Es besteht die Gefahr, dass die hochspezialisierten EU-Eliten den Kontakt zur Bevölkerung verlieren.“ Oder wenn er hinsichtlich der EU-Vorschriften einräumt, der Bäcker vor Ort wisse nun wirklich besser als ein Kommissar in Brüssel, wie man Brot macht.

Apodiktische Aussagen

Hinzu kommt, dass sich der apodiktische Charakter seiner Aussagen gerade dadurch, dass sie aus dem Kontext gerissen sind und lediglich unter einem Schlagwort aufgeführt werden, noch verstärkt. Seine politischen Zitate wirken auf diese Weise häufig als Diktum, an denen es nichts zu rütteln gibt. So heißt es etwa unter CSV – „Der CSV-Staat, den der sozialistische Spitzenkandidat dauernd an die Wand malt, den gibt es nicht.“ (Juni 2004). Über die Luxemburger Grünen sagt der Premier im Mai 1999: „Ich habe noch nirgends in Europa eine so an materiellen Werten inspirierte grüne Bewegung gesehen wie in Luxemburg.“ Auf den Vorwurf, er monopolisiere in seinem Amt die Macht innerhalb der CSV, kontert er im Dezember 2012: „Ich wehre mich gegen den Eindruck, der systematisch erzeugt wird, die CSV wäre eine Ein-Mann-Partei, zumal ich in den Gremien der Partei selbst nicht exzessiv tätig bin, weil ich Staatsminister bin und kein Parteipräsident.“

Doch darum, Junckers politischen Diskurs kritisch zu hinterfragen, scheint es den Herausgebern nicht zu gehen. Vielmehr finden sich vor allem Anekdoten, Auszüge ironischer Streitgespräche aus dem Parlament und flapsige Bemerkungen zum Weltgeschehen, die Juncker einmal mehr als weltgewandten Vollblutpolitiker und humorvollen Weltbürger mit Bodenhaftung zeigen, der gern unterhält. Unter C wie „Churchill“ steht etwa die altbekannte Episode über seinen Hund: „(…) Churchill ? so hieß ein Hund von mir. Er war so groß wie ein Kalb. Der österreichische Bundeskanzler Alfred Gusenbauer war bei mir im Büro. Da rief meine Frau an: ?Churchill ist tot umgefallen.` Ich sagte zu Gusenbauer: ?Du Alfred, ich muss Dich alleine lassen. Churchill ist tot.` Er sagte überrascht: ?Der ist doch schon lange tot. (…)`“

„Right (an) honourable“

An Stimmen, die den Premier sachte politisch kritisieren, mangelt es zwar nicht, doch erweisen sich die ausgewählten Zitate dann doch als recht homogen ? wird er doch von den meisten der selektiv Befragten auf einen Sockel gehoben. „Zu Juncker fällt mir ein, dass er die Nummer eins in Europa ist“, meint etwa Frank Elstner, und selbst der Fraktionsvorsitzende der Partei die Linke Gregor Gysi hat Lob übrig: „An Jean-Claude Juncker gefällt mir, dass er ein eher kleines Land sehr beachtlich vertritt“. Danièle Fonck, Chefredakteurin des Tageblatts, attestiert ihm Souveränität im Umgang mit den Medien: „Abgesehen von Gaston Thorn schaffen es nur wenige luxemburgische Politiker, so gut mit den Medien umzugehen wie Jean-Claude Juncker.“ Und selbst der medienwirksame Verteidiger im Bomeleeër-Prozess, Gaston Vogel, sagte noch im Februar diesen Jahres über den Premier: „Juncker ist ein aufrichtiger und ehrlicher Mann. Auf englisch würde man sagen: „right (an) honourable“. Mit der Bommeleeër-Affäre hat er nichts zu tun. Gar nichts.“

So haben Wallinger und Spellini ihr Konvolut zum richtigen Zeitpunkt lanciert. Gerade in Zeiten, in denen im Zuge des Bomeleeër-Prozesses ein Skandal auf den nächsten folgt und auch das öffentliche Bild des Premiers angekratzt scheint, lenkt die Juncker-Fibel – oder Bibel? – den Blick auf die europapolitische Bühne und den quasi Heiligen-Status, den Juncker im europäischen Ausland genießt, und macht klar: So einen gewieften Staatsmann gibt es nur einmal, und er ist unser aller Premier!

Juncker-Fibel oder Juncker-Bibel?

Doch an Selbstüberschätzung scheint es nicht nur Juncker nicht zu mangeln: „Eigentlich entspricht unsere Arbeit dem, was gute Rechercheure und Journalisten leisten sollen: einen ersten Rohentwurf der Geschichtsschreibung zu liefern“, meinen die Herausgeber über ihr Lexikon. Freilich habe es dazu umfangreicher Quellenstudien und akribischer Fleißarbeit bedurft. Neben sechs schriftlichen europaweiten Umfragen von 600 „Persönlichkeiten“ in Europa habe man in einer ergänzenden Recherche zusätzlich 1.300 Printmedien, Vorträge sowie unzählige Radio- und Fersehsendungen ausgewertet.

Dass gerade bei Junckers aus dem Kontext herausgerissenen Zitaten, Fehlinterpretationen nicht ausbleiben werden, scheint die Herausgeber nicht weiter zu stören. Letztlich soll Juncker – wie so oft – in erster Linie an seiner Rhetorik gemessen werden. Die Frage, ob er tatsächlich eine gute Politik gemacht hat, wird nicht gestellt. Dabei entpuppt sich der „Séchere Wee“, der ihn zum langlebigsten aller aktuellen Regierungschefs in Europa gemacht hat, gerade in diesen Tag als ziemliches wackliges Konstrukt.

Offenbar für den deutschsprachigen Markt konzipiert ist das Buch damit ein, streckenweise unterhaltsames, doch im wesentlichen boulevardeskes Bändchen zum Blättern – für und über internationale und Luxemburger Polit-Promis. Und vielleicht geben Junckers Zitate ja doch das eine oder andere über den Premier preis, etwa, wenn er im Juli 2001 meint: „Viele reden kompliziert und denken einfach. Richtig wäre jedoch, man würde kompliziert denken und einfach reden.“ Eine Vielzahl von Luxemburgern dürfte sich jedenfalls geschmeichelt fühlen, werden doch viele Menschen aus Politik und Medien darin zitiert. Nicht zuletzt der Premier selbst, der darin als vielschichtige, schillernde Persönlichkeit erscheint und den man auch am Ende der Zitatenlektüre nicht zu fassen bekommt.

Albin Wallinger/Serge Spellini, Prominente über Jean-Claude Juncker plus: Zitate von Jean-Claude Juncker (Doppellexikon), Prom Verlag, 400 S., 33,- Euro (D).


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