ATOMKRAFT: EU auf Pro-Atomkurs?

Brüssel setzt sich für den Ausbau von Atomkraft ein und benachteiligt erneuerbare Energien. Ein Entwurf zur Neuregelung staatlicher Beihilfen lässt diesen Schluss zu. Stimmt aber nicht, versichert die Kommission. Doch die Zweifel bleiben.

Wacht in Europa über das Wettbewerbsrecht: Joaquin Almunia. Er ist der Autor
einer neuen Richtlinie, die staatliche Beihilfen für Umwelt und Energie festgelegt.

„Es ist an den Mitgliedstaaten, ihren eigenen Energiemix festzulegen“, bemühte sich vergangene Woche der Sprecher des Wettbewerbskommissars Joaquin Almunia, die Rolle Brüssels in dieser Frage herunterzuspielen. „Die EU möchte in keiner Form die Subventionen für Kernkraft ermuntern“. Er reagierte damit auf Medienberichte, denen zufolge Brüssel sich künftig eher für den Ausbau statt für den Ausstieg aus dem risikoreichen Geschäft mit Nuklearenergie einsetzen will.

Aus Almunias Feder stammt der Entwurf für eine neue Richtlinie, in der Regeln für staatliche Beihilfen im Umweltschutz und in der Energiebranche festgelegt werden. In dem Papier, das der woxx vorliegt, bekennt sich die Kommission unmissverständlich zur Förderung von Atomenergie. „Die Entwicklung von nuklearer Energie voranzutreiben, insbesondere durch die Erleichterung von Investitionen ist ein Ziel, das in Artikel 2 des Euratom Vertrages festgelegt ist“, heißt es im Entwurf für die neuen Regeln. Die Kommission stelle daher nicht in Frage, dass die „unterstützenden Maßnahmen Teil eines gemeinsames EU-Zieles“ sind. In den folgenden Absätzen werden die Bedingungen für staatliche Subventionen für Atomkraft festgelegt.

Risiken kaum kalkulierbar

„Euratom stammt aus dem Jahr 1957, aus einer Zeit, in der es noch keine Unfälle in AKWs gegeben hat“, sagt dazu der grüne Europa-Abgeordnete Claude Turmes. Es sei „absurd“, diesen veralteten Vertag über bestehende Umwelt- und EU-Binnenmarktgesetze zu stellen. Und für die Chefin der Grünenfraktion im Europaparlament steht fest, dass sich Brüssel mit diesem Bekenntnis dem Druck der europäischen Pro-Atom-Staaten gebeugt hat. Die Devise des „Clubs der Atomkraftfreunde um die EU-Kommissare Oettinger und Almunia“ lautet ihrer Meinung nach: „Atomkraft ja bitte und wenn zurzeit nicht in Deutschland, dann aber bitte in Großbritannien, Tschechien und anderswo“. Mit den geplanten Beihilferegeln solle sich der Neubau von Atomkraftwerken wieder lohnen, so Rebecca Harms, mehr noch: „Marode Atomkonzerne sollen mit hohen und langjährigen Staatsbeihilfen flott gemacht werden.“

Der Kommissionsentwurf, der erstmals Regeln für den Energiesektor festlegen würde, spricht sich zwar eingangs im Kapitel „Beihilfen für Nuklearenergie“ für das Prinzip des „pollueur-payeur“ beim Betreiben von Atomkraftwerken ein. Weiter hinten im Text wird jedoch ein Versicherungsschutz befürwortet, der laut Turmes weit unter dem bestehenden Risiko liegt und damit eine Wettbewerbsverzerrung gegenüber anderen Energiequellen darstellt. „Die Kommission schützt die Betreiber statt die Bürger vor dem Risiko eines Unfalls“, schlussfolgert der EU-Parlamentarier daraus. „Sie nimmt auch in Kauf, dass der Steuerzahler den größten Teil der Kosten in einem solchen Fall trägt.“

Brüssel geht in seinen Berechnungen von zu niedrigen Kosten für Atomkraft aus. Zu diesem Schluss kam auch das „Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung“ DIW in einer Studie, die Mitte Juli veröffentlicht wurde. In ihren Planungen unterschätze die Kommission systematisch die Sicherheitsrisiken für Atomstrom und überschätze andererseits die Kosten für erneuerbare Energien. Diese Überschätzung betreffe insbesondere die Solar- und Windenergie, deren Produktivität sich in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesteigert habe. In der Photovoltaik liegen die Kapitalkosten laut DIW bereits heute zum Teil unterhalb der Werte, die die Kommission in ihrem Grünbuch für Klima- und Umweltschutz für das Jahr 2050 erwartet. Hingegen würden die Kosten von Atomstrom auch in rezent erstellten Szenarien klein gerechnet. „Übliche Schätzungen beinhalten oft nicht den Rückbau der Anlagen sowie die Endlagerung des Atommülls, ganz zu schweigen von den enormen Kosten möglicher Großunfälle wie in Fukushima oder Tschernobyl“, sagt Christian von Hirschhausen, Forschungsdirektor am DIW. Die Kommission müsse umgehend aktualisierte Modellrechnungen bereitstellen, „um der Energiepolitik transparente und nachvollziehbare Szenarien als Entscheidungshilfe an die Hand zu geben“, lautet das Fazit des DIW.

Gleichberechtigung für Atomenergie

Für Brüssel sei die Förderung von erneuerbaren Energien „eine Priorität“, betonte vergangene Woche Almunias Sprecher. Der Entwurf für die neuen Beihilfe-Regeln strebt jedoch eher Gleichbehandlung von erneuerbarer und nuklearer Energie in Bezug auf staatliche Subventionen an. „Die Kommission erlaubt hier sogar, dass AKW´s deutlich länger und höher als Windanlagen gefördert werden“, kritisiert Claude Turmes. Zwar spreche man sich für eine zeitlich begrenzte Unterstützung von Atomanlagen aus, das entsprechende Limit sei jedoch nirgends im Text festgehalten.

Für eine Gleichbehandlung verschiedener Energiequellen spricht sich auch Artikel 34 des neuen Regelwerks aus. Hier hält die Kommission das Prinzip der „Technologie-Neutralität“ für die Beurteilung von Energiesubventionen fest. Künftig dürften Länder die Art der Förderung, etwa durch Einspeise-Tarife, nicht mehr vorschreiben, sondern müssten die Fördersysteme grenzüberschreitend öffnen. Damit würden Länder gezwungen, Projekte für Energie-Anlagen auszuschreiben. „Dies verstößt gegen die bestehende Direktive für erneuerbare Energie, in der festgehalten wurde, dass Mitgliedstaaten selbst entscheiden, welche Art von Technologien sie unterstützen wollen“, stellt Turmes fest.

Brüssel sträubt sich indessen gegen eine solche Lesart des Entwurfs. „Die Entscheidung der Technik ist Sache der Mitgliedstaaten“, stellte Energiekommissar Günther Oettinger klar und weist darauf hin, dass einige EU-Staaten an Atomkraft festhalten wollen. Die neuen Regeln müssten jetzt gründlich diskutiert werden. Er arbeite dazu eng mit Almunia zusammen. „Wir haben diesbezüglich erste Anfragen aus den Mitgliedstaaten erhalten. Wir können das Thema nicht ignorieren“, so Oettinger.

Eine breite Diskussion wünschen sich auch die Kritiker des Entwurfs. „Wir haben deshalb dieses Papier ganz bewusst der Presse zugespielt“, so Turmes. „Wir erhoffen uns, dass der Rest der Kommission einem solch einseitigen Text nicht zustimmen wird.“ Ursprünglich habe die Kommission geplant, ihn erst kurz nach den Wahlen zu dem deutschen Bundestag vorzulegen. Deutschland, das bekanntlich den Atomausstieg plant, hat bereits Widerstand gegen solche Regeln angekündigt. Allerdings haben die EU-Staaten hier kein direktes Mitspracherecht, die Wettbewerbsregeln werden von der Kommission festgelegt. Der Entwurf von Almunia scheint jedoch innerhalb der Kommission nicht unumstritten zu sein. Die Leitlinien für staatliche Beihilfen sollen ab Herbst mit den Mitgliedstaaten diskutiert werden. Die Frage, ob es überhaupt solche Regeln für den Energiesektor geben soll, sei „völlig offen“, betonte vergangene Woche der Sprecher des Wettbewerbskommissars. Staatliche Subventionen für die Nuklearbranche seien allerdings nicht verboten. „Die Kontrolle der Kommission von diesen Beihilfen wird völlig neutral bleiben.“


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