AUSLÄNDER-WAHLRECHT: Demokratiedefizit

An den Wahlen am 20. Oktober darf nur teilnehmen, wer die luxemburgische Staatsangehörigkeit hat. Fast die Hälfte der EinwohnerInnen Luxemburgs bleibt damit von den Legislativwahlen ausgeschlossen. Im Gespräch mit der woxx erzählt ASTI-Präsidentin Laura Zuccoli vom harten Weg bis zur Mitbestimmung.

Seit knapp fünf Jahren macht sich Laura Zuccoli als Präsidentin der ASTI für die Rechte von AusländerInnen stark.

woxx: In Luxemburg finden am 20. Oktober vorgezogene Legislativwahlen statt. Rund 45 Prozent der in Luxemburg lebenden Bevölkerung sind sogenannte AusländerInnen. Laut Verfassung dürfen sie nicht wählen. Finden Sie das demokratisch?

Laura Zuccoli: Nein. In Luxemburg haben wir eine ganz außergewöhnliche Situation in dem Sinne, dass hier – wie sonst nirgendwo in Europa – 44 Prozent der Einwohner keine Staatsangehörigen sind. Und die Tendenz ist steigend, die Migration nimmt nicht ab, sondern sie bleibt sehr sehr hoch. Das heißt, das Bevölkerungswachstum basiert weiterhin überwiegend auf der Migration. Hinzu kommt, dass die aktiven Wähler hauptsächlich Luxemburger und zum größten Teil Rentner oder Leute in festen Arbeitsverhältnissen sind – etwa beim Staat, wo sie einen Kollektivvertrag haben und finanziell und in Hinsicht der Arbeitsbedingungen relativ gut abgesichert sind. Da es hauptsächlich diese Leute sind, die wählen, werden ihre Anliegen politisch sehr ernst genommen. Momentan tagen 60 Abgeordnete in der Abgeordnetenkammer. Würde man die Zahl der Abgeordneten im Verhältnis zu den effektiven Wählern in der Bevölkerung festsetzen, dann wären es nur noch 36 – also fast die Hälfte. Und das sind eigentlich die Hauptargumente dafür, dass das Elektorat erweitert werden und auch die verschiedenen sozialen Schichten umfassen muss, in denen die Leute leben, und nicht nur diejenigen, die politischen Druck ausüben können.

„Die aktiven Wähler sind hauptsächlich Luxemburger und zum größten Teil Rentner oder Leute in festen Arbeitsverhältnissen – die finanziell und in Hinsicht der Arbeitsbedingungen relativ gut abgesichert sind.“

Zumindest was die Bestimmungen des Maastrichter Vertrages angeht, hat Luxemburg das Wahlrecht ausgeweitet. Nicht-Luxemburger sind den Luxemburgern bei den Kommunal- und Europawahlen in jeglicher Hinsicht gleichgestellt – solange sie sich in die Wahllisten einschreiben und die Residenzklausel erfüllen. Sehen Sie darin einen Fortschritt?

„Momentan läuft in Luxemburg die Wahlkampagne zu den Parlamentswahlen am 20. Oktober. Die verschiedenen Parteien positionieren sich alle in ihrem Wahlprogramm zu diesem Thema; es gibt sogar eine Partei, die ihre Kampagne ganz darauf fokussiert. Das Wahlrecht für Nicht-Luxemburger auf nationaler Ebene wird daher in der Öffentlichkeit heftig diskutiert. Es gibt Positives und Negatives am aktuellen Wahlrecht der Nicht-Luxemburger auf kommunaler Ebene. Das Positive ist, dass Luxemburg in gewisser Hinsicht eine Vorreiterrolle beim passiven und aktiven Wahlrecht für Nicht-Luxemburger – sowohl für Europäer, wie auch Nicht-Europäer – innehat. Das ist hier, anders als im Ausland, relativ gut angenommen worden. Das Negative ist, dass nach dem Maastrichter Vertrag die Nicht-Luxemburger eigentlich zu denselben Bedingungen wie die Luxemburger das Wahlrecht ausüben müssten. Das ist aber leider noch nicht der Fall. Luxemburg ist im Maastrichter Vertrag eine Ausnahmeklausel zugebilligt worden, nach der das Land wegen seines hohen Ausländeranteils eine Residenzklausel einführen kann. Das heißt, ein Europäer kann sich nicht sofort in die Wahllisten eintragen, er kann es erst, wenn er die vorgeschriebene Zeit hindurch in Luxemburg wohnhaft ist. Die Europa-Charta der Menschenrechte sieht jedoch für Europäer die Gleichstellung vor. Wir unterstützen deswegen die zur Zeit laufende Unterschriftensammlung „Let Me Vote“ – eine Bürgerinitiative auf Europa-Ebene, die fordert, die Bewegungsfreiheit in Europa mit dem Recht zur Teilnahme an allen Wahlen dort, wo man wohnt, zu verbinden. Das heißt, es gäbe nicht mehr eine Wahlbeteiligung je nach Nationalität, sondern eine je nach Residenz. Wir unterstützen das, weil wir der Meinung sind, dass es in Luxemburg absolut wünschenswert und wichtig ist, dass Nicht-Luxemburger zu denselben Bedingungen wie Luxemburger in die Wählerlisten eingetragen werden und wählen.“

2011 fanden in Luxemburg Kommunalwahlen statt, an denen erstmals auch AusländerInnen teilnehmen durften. Die Beteiligung lag allerdings nur bei 17 Prozent. Womit erklären Sie sich die geringe Partizipation?

„Da spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Der erste ist, dass man sich einschreiben muss. Aber es ist ja in ganz Europa und weltweit so, dass die Menschen sich von den Politikern nicht mehr richtig vertreten fühlen und daher immer weniger sich an den Wahlen beteiligen. In den Ländern, in denen es keine Wahlpflicht gibt, ist das deutlich zu sehen. Das heißt, das Phänomen der Wahlenthaltung gibt es bereits in den jeweiligen Herkunftsländern. Der zweite Faktor ist die Tatsache, dass manche Gemeinden es den Leuten bei den Einschreibeprozeduren nicht gerade leicht machen. Wenn man fünf Jahre lang in Luxemburg in verschiedenen Gemeinden gelebt hat, muss man die allesamt aufsuchen, um sich ein Residenzzertifikat ausstellen zu lassen, und das ist natürlich nicht gerade proaktiv. Es gibt auch Gemeinden, die von sich aus die erforderlichen Bescheinigungen ausstellen. Ihr Wahlrecht müssen die Interessenten trotzdem bei der Gemeinde beantragen. Wir sind der Meinung, dass diese Einschreibung automatisch erfolgen sollte. Da es in Luxemburg eine Wahlpflicht gibt, können die eingeschriebenen Ausländer ihr Wahlrecht auch wieder sozusagen zurückgeben, wenn sie nicht mehr wählen wollen. Für die Luxemburger gilt das nicht.“

„In Fragen des Wahlrechts und des Zusammenlebens haben wir eine ganze Menge erreicht.“

Ihre Organisation, die ASTI, macht sich seit ihrer Gründung für das aktive Wahlrecht von Nicht-Luxemburgern stark und unterstützt auch Menschen in ihren Asylverfahren. Was hat die ASTI seit ihrer Gründung konkret erreicht?

„Ich würde sagen, dass wir in Fragen des Wahlrechts und des Zusammenlebens eine ganze Menge erreicht haben. Zuallererst hatten wir eine Klage eingereicht, gegen die Ausschließung der Nicht-Luxemburger von den Wahlen der „Chambre des salariés“, der Arbeitnehmerkammer. Der Europäische Gerichtshof hat der Klage stattgegeben; seither können Nicht-Luxemburger an diesen Wahlen teilnehmen. Die Öffnung erstreckt sich sogar auf Ausländer, die hier arbeiten, aber nicht hier wohnen. Für das Wahlrecht auf kommunaler Ebene sind wir natürlich schon vor dem Maastrichter Vertrag eingetreten. Dass es durchgesetzt wurde – und zwar nicht nur für Nicht-Luxemburger, sondern auch für Nicht-EU-Bürger – ist allerdings nicht allein unser Verdienst, sondern auch dem Druck mehrerer anderer Organisationen und Personen zu verdanken. Daneben haben wir eine ganze Reihe kleiner, aber wichtiger Änderungen erreicht. Zum Beispiel sah das Vereini-gungsrecht in Luxemburg nicht vor, dass Ausländer Vereine gründen können. Wir befassen uns mit den Unterschieden im Recht, machen aber auch praktische Vorschläge. Im Bereich der frühkindlichen Erziehung zum Beispiel haben wir intensive Lobby-Arbeit betrieben. Unsere Forderung war, dass die Kinder sehr früh eingeschult werden, unter anderem zur Erleichterung der Sprachintegration. Wir vertreten die Interessen der Nicht-Luxemburger auf rechtlicher und politischer Ebene und bemühen uns, zugleich unsere Vorschläge mit Beispielen aus der Praxis zu stützen.“

Wie weit ist man in Luxemburg noch davon entfernt, AusländerInnen auch eine Mitbestimmung an den Parlamentswahlen zuzugestehen?

„Momentan stehen mehrere Parteien positiv dazu: die Sozialisten, die Grünen, die Linke sowie die Piratenpartei. Andere sind dagegen oder haben sich noch gar nicht dazu geäußert. Es hängt also vom Ausgang der Wahlen am 20. Oktober und der Zusammensetzung der nächsten Regierung ab, ob diese Forderung Wirklichkeit wird.“


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