KLIMAFORSCHUNG: Das Rätsel der tiefen Wolken

Heiß werden kann einem bei der Lektüre der Zusammenfassung des 5. UN-Klimarat-Berichts, die am vergangenen Freitag veröffentlicht wurde. Die Messdaten-Serien sind genauer und länger als im Vorgängerbericht von 2007, aber einige Faktoren im Erdsystem sind immer noch unergründet.

Tief hängende Stratuswolken verdecken die Sonne. Schlecht für die Seele, aber gut fürs Klima. (Foto: Simon Eugster / Wikimedia)

Im Mai meldete die amerikanische Ozean- und Atmosphären-Behörde einen Rekord: Die Kohlendioxid-Konzentration in der Erdatmosphäre hat 400 parts per million (ppm) überschritten. Das letzte Mal war im Pliozän so viel Treibhausgas in der Atmosphäre, seit etwa einer Million Jahre aber hat sich die Konzentration zwischen moderaten 180 und 280 ppm bewegt – bis zum Beginn des Industriezeitalters.

„Die Klimaänderung ist immer noch eindeutig“, sagt Reto Knutti von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ), einer der Hauptautoren des 5. Sachstandsberichts. Die Klimaforscher haben jetzt genauere und längere Messdaten als vor sieben Jahren ? aus der Atmosphäre, aus dem Meereis, aus den Ozeanen, aus den Gletschern. Mit diesen Daten können sie die Erwärmung besser von natürlichen Klimaschwankungen unterscheiden. Daher ist heute klarer denn je: Zum größten Teil wird die Erwärmung durch den Menschen verursacht.

Klimawandel kann in Sekunden ablaufen – in den Visualisierungen der Forschungsinstitute. Die kurzen Filmchen zeigen einen sich langsam drehenden Globus, am unteren Bildrand schlagen Jahreszahlen um: 2030, 2050, 2070. Rote Flächen, die Zonen starker Temperaturerhöhungen, breiten sich über den Planeten aus ? und bedecken ihn schließlich ganz.

Szenario Hitzefrei

So kann es kommen, muss es aber nicht. Klimaforscher machen keine Vorhersagen, sie zeigen nur mögliche Entwicklungen auf. Die nennen sich Klimaszenarien und basieren auf einer ganz bestimmten Annahme. Zum Beispiel: Die Menschheit reißt sich zusammen und schwenkt radikal auf Wind- und Sonnenenergie um. RCP 2.6 heißt das entsprechende Szenario. Der „repräsentative Konzentrationspfad“ 2.6 geht von geringeren Treibhausgasemissionen aus, steht sozusagen für die Vernunft.

RCP 4.5 ist eher ein Mittelding: Die Emissionen werden nur halbherzig reduziert, folglich steigt die CO2-Konzentration auf 650 ppm. Schließlich RCP 8.5, die pessimistische Variante: Wegen zunehmender Emissionen erreicht die CO2-Konzentration 1370 ppm ? mehr als das Dreifache des heutigen Werts.

Schwer zu sagen, welches Szenario am wahrscheinlichsten ist, erklärt Knutti. Menschliches Handeln lasse sich eben nicht voraussagen. Dennoch lägen die Trends näher am obersten Szenario, RCP 8.5. Knutti: „Wenn es so weiter geht, dann erwartet uns eine Temperaturerhöhung von vier Grad. Wir können aber auch bei nur zwei Grad landen. Es ist letztlich unsere Wahl.“

Was bei Klimaszenarien oft übersehen wird: Das Erdsystem ist ungeheuer komplex, und nicht alle Faktoren werden durchschaut. Zum Beispiel die physikalischen Prozesse, die in den Wolken ablaufen. Sie sind an Komplexität kaum zu überbieten. Ein ganzer Wust von Faktoren muss berücksichtigt werden, unter anderem das Volumen und die Höhenlage.

Zur Beobachtung der globalen Bewölkung werden Satelliten benötigt. Die gibt es aber erst seit 30 Jahren, so dass es an Langzeitdaten fehlt. Auch ist die Interpretation von Satellitendaten immer noch mit Unsicherheiten behaftet. Schwierigkeiten bereitet zum Beispiel die Bestimmung der Tropfengröße, die sich im Mikrometerbereich bewegt.

Im 5. Sachstandsbericht des Weltklimarats (IPCC) bekommen die Wolken ein eigenes Kapitel. Schließlich werden sie als größter Unsicherheitsfaktor in der Klimawissenschaft betrachtet. Einerseits bremsen sie die Sonneneinstrahlung – ein kühlender Effekt. Andererseits halten sie Wärmestrahlung in der Atmosphäre – ein wärmender Effekt. Aber welcher von beiden überwiegt?

Wolkenschleier lüften

Dazu muss geklärt werden, welche Wolkentypen in Zukunft dominieren werden, sagt Ulrike Lohmann von der ETHZ. Hohe Schleierwolken etwa verstärken die Erwärmung. Sie lassen ankommendes Sonnenlicht durch und halten einen Großteil der ausstrahlenden Wärme zurück ? wie Treibhausgase. Lohmann verkündet schlechte Nachrichten: Besonders Schleierwolken nehmen zu, so dass der wärmende Effekt überwiegt.

Tief liegende Stratuswolken wirken dagegen kühlend. Das Gewölk schickt die Sonneneinstrahlung zurück in den Weltraum. Aber es ist noch unklar, wie sich die tiefen Wolken verhalten. Die Szenarien variieren in diesem Punkt – einem sehr bedeutenden Punkt. Denn gäbe es eindeutige Tiefwolken-Trends, könnten die Forscher genauer sagen, wie stark die Erwärmung ausfallen wird. Momentan ist die Spannbreite noch sehr groß, liegt zwischen 2 und 4,5 Grad bei Verdoppelung der Treibhausgasemissionen. „Etwa ein Drittel dieser Spannbreite geht auf Wolken zurück“, sagt Lohmann.

Manche Forscher gehen weiter und ziehen generell in Zweifel, dass der Mensch den Klimawandel verursacht. Nach der Svensmark-Theorie – auf die Klimaskeptiker sich gerne berufen ? bestimmt kosmische Strahlung die Bewölkung. Womit eine natürliche Ursache für die Klima-Erwärmung gefunden wäre: die Sonnenaktivität. Erwiese sich die umstrittene Theorie als richtig, dann müsste die gesamte Klimapolitik umgekrempelt werden. Ulrike Lohmann von der ETHZ hält aber nicht viel davon: „Der Einfluss der kosmischen Strahlung auf die Wolkenbildung ist zu vernachlässigen.“

Anders die Aerosolpartikel, deren Rolle Frank Stratmann vom Leibniz-Institut für Troposphärenforschung in Leipzig untersucht. Diese kleinen Schwebeteilchen beeinflussen durchaus die Wolkenbildung. Sie gelangen auf natürlichem Wege in die Atmosphäre, etwa wenn ein Sandsturm tonnenweise Staub aufwirbelt. Aber auch der Mensch produziert Aerosolpartikel, indem er in Kraftwerken fossile Brennstoffe verbrennt. Dabei wird Schwefeldioxid zu Schwefelsäure umgewandelt, einem gasförmigen Vorläufer der Aerosole.

Einstürzende Eismassen

„Unterm Strich haben Aerosole einen kühlenden Effekt aufs Klima“, sagt Stratmann. Zum einen bewirken sie eine Streuung der solaren Strahlung, wodurch weniger Sonnenenergie zum Boden gelangt. Die Bewohner chinesischer Städte kennen den Effekt nur zu gut: Vor lauter Verschmutzung ist die Sonne kaum zu sehen.

Zum anderen bilden sich aus Aerosolen winzige Wolkentröpfchen – die Bestandteile von Wolken. Erhöht sich die Anzahl dieser Tropfen, weil der Mensch fleißig Schwebeteilchen produziert, dann bestehen die Wolken aus mehr und entsprechend kleineren Tröpfchen. Was die kühlende Wirkung von Wolken verstärkt, wie Stratmann erklärt: „Mehr kleine Tropfen reflektieren mehr Licht als wenige große.“

Nicht nur die Wolken, auch die Eismassen gelten als unberechenbar. Kalbt ein Eisberg, können abrupt große Mengen im Meer landen – der Boden unter dem Eisberg muss nur eine geeignete Wassergleitschicht aufweisen. Bricht der Schelf dann vorne ab, fließen die Eisströme dahinter plötzlich sehr schnell. Wie bei Larsen-B. Der antarktische Eisschelf hielt sich mindestens 10.000 Jahre lang, Doch 2002 verlor er in kurzer Zeit über 3.000 Quadratkilometer seiner Masse. Heute sind von Larsen-B nur noch 1670 Quadratkilometer übrig ? 15 Prozent der Ursprungsmasse.

Momentan wachsen Grönland und die Antarktis in der Mitte, aber die Verluste an den Rändern sind viel größer. Die Eismassen schrumpfen – wie schnell dieser Prozess vorangeht, weiß keiner. Verschwände das Grönlandeis, stiege der Meeresspiegel um etwa sechs Meter an. Und beim Antarktis-Eis betrüge der Effekt unglaubliche 60 Meter!

Fehler beim IPCC

Die Unsicherheiten betreffen auch sogenannte tipping points. Wird einer dieser Kipppunkte erreicht, dann beschleunigt sich der Klimawandel – fast von einem Moment auf den anderen. Das ist zum Beispiel der Impakt des Amazonas-Regenwalds. Wird aus der CO2-Senke ein CO2-Produzent? Oder das Methan im Permafrostboden. Kann sich das Treibhausgas – 23 Mal klimawirksamer als CO2 – aus dem Eisboden befreien?

Wenn im November die Staatengemeinschaft wieder einmal zusammenkommt, um einen globalen Klimaschutzplan zu schmieden, dann liegen auch die RCP-Szenarien auf dem Verhandlungstisch. Kein Zweifel: Die Klimawissenschaft ist stark politisiert. Dadurch soll sie in „Die Klimafalle“ geraten sein, behauptet das gleichnamige Buch. Darin wird der Klimawissenschaft eine handfeste Glaubwürdigkeitskrise attestiert. Sie habe „sich zu sehr mit der Politik gemein gemacht“ und werde „im Spiel der Interessen zerrieben“.

Das Buch stammt nicht etwa von einem Vertreter der Klimaskeptiker, die die menschengemachte Erwärmung anzweifeln. Geschrieben hat es Hans von Storch, ein renommierter Forscher aus Deutschland. In seinen Augen handelt es sich bei der Produktion von wissenschaftlichem Wissen um einen sozialen Prozess. Mit allen Fehlern, die dabei entstehen können. Zum Beispiel im 4. Sachstandsbericht von 2007. Da hieß es, die Himalaya-Gletscher schrumpften bis 2035 von 500.000 auf 100.000 Quadratkilometer. Korrekt hätte es 2350 heißen müssen – ein peinlicher Schreibfehler. Aber dem Kapitel 10.6.2 fehle auch mit korrekter Jahreszahl die wissenschaftliche Grundlage, behauptet von Storch in seinem Buch.

Reto Knutti nimmt Stellung zu den Vorwürfen: „Sicher haben einige Mitarbeiter Fehler gemacht, und das hat der Glaubwürdigkeit der Klimaforschung vielleicht auch geschadet. Aber wir wären heute auch nicht weiter, wenn die Klimawissenschaft alles richtig gemacht hätte.“

Erklären und hoffen

Den eigentlichen Knackpunkt sieht Knutti im egoistischen und kurzfristigen Denken. Politiker stritten sich über die Physik des Klimas, aber in Wahrheit gehe es um Geld, Macht und sonstige Interessen. Vor allem die USA und China blockierten sich gegenseitig. Niemand zeige Bereitschaft, für andere etwas zu tun – oder für das Klima im nächsten Jahrhundert. Leider sei es naiv zu glauben, dass aus genügend Fakten zwingend eine Handlung erfolgen müsse.

In einem allerdings stimmt Knutti mit seinem deutschen Kollegen überein: Der Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft muss überdacht werden. Eine schwierige Aufgabe, denn „der Klimawandel ist ein Knäuel von Ursache und Wirkung, der keine offensichtliche Lösung ohne Nachteile bietet.“ Dies der Öffentlichkeit zu erklären, sei eine Herausforderung – wahrscheinlich eine größere als die Entwicklung des nächsten Klimamodells.

Die Wissenschaft muss Unsicherheiten klar aufzeigen, betont Knutti. Und die Gesellschaft im Gegenzug differenzierte Aussagen akzeptieren. Oft hielten diese nur als Ausrede her, aber schließlich sei der Mensch es doch gewohnt, mit Unsicherheiten umzugehen, ob er nun Aktien kauft oder heiratet. Knutti: „Wir sind zu über 90 Prozent sicher, dass der Mensch den Klimawandel maßgeblich verursacht. Mehr Sicherheit braucht es nicht, um endlich zu handeln.“

Ergebnisse müssten dabei immer als Zwischenstände verstanden werden. Es sei unsinnig zu glauben, dass wir uns jetzt auf eine Strategie einigen und diese dann hundert Jahre stur verfolgen könnten. Die Entscheidungen müssten laufend überdacht werden.

Was auch für das Zwei-Grad-Ziel gilt, das sich die internationale Klimapolitik gesetzt hat. Zwei Grad bedeutet: Die Erwärmung darf nicht über zwei Grad hinausgehen. Der UN-Klimarat habe diese Parole aber nie ausgegeben, auch seien zwei Grad kein wissenschaftliches Ziel, betont Knutti: „Wir können die Folgen einer Erwärmung von zwei Grad bestimmen, nicht aber der internationalen Klimapolitik das richtige Ziel vorgeben.“

5. Sachstandsbericht der 1. Arbeitsgruppe des IPCC (Vorläufiger Entwurf und offizielle Zusammenfassung): www.climatechange2013.org/report

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Wirkt sich der Klimawandel auf El Niño aus?
El Niño – das Weihnachtskind – erscheint immer zum Ende des Jahres. Die Erwärmung des tropischen Westpazifik löst eine Reihe von Extremwetterereignissen aus: Starkregenfälle in Indonesien oder Dürreperioden in Australien. Dabei folgt auf El Niño stets sein Gegenstück, La Niña, eine vorübergehende Kaltphase.
Forscher wollten herausfinden, ob El Niño durch den Klimawandel beeinflusst wird. Weil die Temperaturdaten aus dem Ozean nicht weit genug zurückreichen, untersuchten sie Bäume aus sieben Regionen. Die Dicke ihrer Jahresringe sagt etwas darüber aus, wie häufig El Niño in den letzten 700 Jahren auftrat und wie stark er war. Die Schwankungen zwischen El Niño und El Niña waren lange zufällig verteilt – über einen Zeitraum von 600 Jahren. Im 20. Jahrhundert veränderten sich dann die Jahresringe, der Wechsel zwischen Kalt und Warm nahm an Heftigkeit zu. Was die Forscher so deuten: Der Klimawandel verstärkt El Niño.
Woran die Baumring-Studie erinnert: Klimapolitik bedeutet nicht nur Vermeidung von Treibhausgasemissionen, sondern auch Anpassung an heftigere klimatische Bedingungen. Um sich gegen El Niño zu wappnen, ist allerdings so viel Vorlaufzeit wie möglich vonnöten. Verlässlich vorhersagen ließ sich das Klimaphänomen bislang nur für einen Zeitraum von sechs Monaten. Jetzt aber versprechen Forscher, diesen auf ein Jahr auszudehnen. Damit könnten in Entwicklungsländern die schlimmsten Schäden, wie etwa Missernten, verhindert werden, heißt es. Wenigstens eine gute Nachricht aus der Klimaforschung.


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