THEATER: Ein Kleinbürger wie jeder andere

Nikolaus Haenel spielt im Kasemattentheater „Herr Karl“, ein Satirestück über einen Wendehals.

Biedermännischer Brandstifter: Herr Karl

1961 kreierten Carl Merz und der Schauspieler Helmut Qualtinger mit ihrem „Herr Karl“ ein satirisches Stück über den Archetypus des österreichischen Kleinbürgers. Die Figur sei frei erfunden, hieß es damals; und doch hat er gelebt, der Herr Karl, und ist noch immer unter uns.

Herr Karl erzählt im Stück einem „jungen Menschen“, dem Zuschauer, seine Lebensgeschichte, während er bei der Arbeit im Lager eines Feinkostgeschäftes sitzt. Doch die Bühne im Kasemattentheater ist nicht opulent, sondern spärlich ausgestattet. Lediglich ein schraddeliger Tisch bildet das Bühnenbild, an dem Nikolaus Haenel als Herr Karl Platz vor einem allerdings wenig jungen Publikum nimmt und einen etwa einstündigen Monolog hält, in dem er sein Leben Revue passieren lässt.

„Es war eine unruhige Zeit. – Ich hab sie genossen“, erzählt der Herr Karl eingangs. „Man wusste nie, zu welcher Partei man gehört.“ Der Erzähler entpuppt sich als opportunistischer Mitläufer aus kleinbürgerlichem Milieu, der sich in Österreich vom Ende des Ersten Weltkrieges bis zum Ende der „Besatzungszeit“ und in die 1950er Jahre hinein durchs Leben gewurschtelt hat. Als 1934 die klerikalfaschistische Diktatur errichtet wird, ist Herr Karl ein Anhänger der Christsozialen. Nach dem „Anschluss Österreichs“ 1938 wechselt er die Parteikarte und tritt sofort den Nationalsozialisten bei. Nach 1945 dient er den Befreiern. „Dadurch, dass ich mir in der Besatzungszeit viele Sprachen angeeignet hab, hab ich gute Geschäfte gemacht.“ Nicht nur politisch nutzt Herr Karl immer die Gunst der Stunde und erweist sich als gnadenloser Opportunist, auch im sozialen Leben ist er ein Drückeberger und das Paradebeispiel eines Profiteurs, der für sein eigenes Wohlergehen über Leichen geht. „Ich habe oft mein Leben gewechselt. Ich war unbeständig. – Ein Falter.“

Sein Monolog offenbart die Widersprüche – allerdings auf recht vordergründige Weise. Nur wenige Passagen sind wirklich geistreich. Stattdessen überwiegen flache Wortspiele wie „Bombenschädlinge“ für Bombengeschädigte und Altherrenhumor. Was ursprünglich als eher feinere satirische Gesellschaftskritik angelegt war, gerät so zur Provinzposse, und das, obwohl Nikolaus Haenel gut den senilen Alten mimt und zumindest mit seinem Minenspiel überzeugen kann. Slapstickhafte Elemente, wie der durch einen Kaffeefilter gezogene Cognac, wirken jedoch deplatziert – es kippt in Richtung klamaukiges Kabarettstück. „Österreich ist unpolitisch“, heißt es, oder „Ein Verbrechen, wie man das Volk in die Irre geführt hat“ und „Als der Hitler kam, hat der Wiener endlich einen Held gehabt“.

Angesichts dieser wenig subtilen Ironie, die dem Publikum wie mit dem Hammer um die Ohren gehauen wird und den Herrn Karl als unmoralischen (Anti-)Helden vorführt, der sich keinerlei Schuld bewusst ist und damit auf ein bloßes Phänomen reduziert wird, sehnt man sich nach Erklärungen. „Ich bin heute immerhin soweit, dass ich sagen kann: Ich hab mein Leben nicht umsonst gelebt“, heißt es am Schluss tumbe. Eine zähe Inszenierung, die einem viel Geduld abverlangt und dennoch mit stürmischen Beifall quittiert wurde.

Letzte Vorstellung an diesem Freitag, dem 13. Dezember um 20 Uhr im Kasemattentheater.


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