ZEITGENÖSSISCHER TANZ: Aufbruch in die Moderne

100 Jahre nach der Pariser Uraufführung bringt Sasha Waltz Igor Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ als kraftvolle choreografische Komposition auf die Bühne des Grand Théâtre.

(© Bernd Uhli)

Die Uraufführung von Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ am 29. Mai 1913 in Paris wurde zu einem der größten Skandale der Musikgeschichte. Die provokative Inszenierung um einen Ritualmord wie auch die dissonante Musik, die das brutale Geschehen nur noch unterstrich, wurden allgemein als Zumutung empfunden und lösten tagelange Proteste aus.

Mit der Darstellung eines Frühlingsritus im vorchristlichen Russland holte Strawinsky einen Gewaltakt auf die Bühne. Musik und Inszenierung arteten zur regelrechten Rhythmusorgie aus. Alte Männer sitzen im Kreis und beaufsichtigen den Todestanz eines jungen Mädchens, das geopfert wird, um den Frühlingsgott gnädig zu stimmen. Ein mythisches Ritual – in moderneren Inszenierungen mit viel nackter Haut – zu fordernder, disharmonischer Musik. Die ungestümen ekstatischen Bewegungen standen im starken Gegensatz zu den bis dato schön anzusehenden lieblich-harmonischen Ballettaufführungen. Strawinskys „Sacre“ gilt als eines der Schlüsselwerke der Musik des 20. Jahrhunderts. Die archaisch anmutende, spannungsreiche und kantige Komposition ist geprägt von einer betonten Rhythmik, jähen Einbrüchen und der Übereinanderschichtung sich wiederholender Motive.

Auch literarisch gilt das Stück als ein Klassiker der Moderne. So sieht etwa der kubanische Autor Alejo Carpentier in seinem gleichnamigen Roman mit „Sacre“ die europäische Moderne eingeläutet: ein musikalischer Aufbruch. Zugleich ist die Wiederaufführung eines archaischen Ritus um die Jahrhundertwende typisch für die damals vorherrschende Rationalitätskritik.

Bewegender, skandalbehafteter Stoff also, für dessen Umsetzung kaum jemand prädestinierter scheint als die Frau, von der es heißt, sie habe nach Pina Bausch den zeitgenössischen Tanz revolutioniert – Sasha Waltz. Die Choreografin hatte „Sacre“ bereits 1975 tänzerisch inszeniert. Der internationale Durchbruch war ihr 1996 mit der Uraufführung von „Allee der Kosmonauten“ gelungen. In der Spielzeit 1999/2000 übernahm sie als erste Choreografin die künstlerische Leitung der Berliner Schaubühne, auf deren monumentaler Fläche ihre TänzerInnen lernten, den Raum zu erkunden und auszufüllen.

100 Jahre nach seiner Uraufführung bringt Sasha Waltz, deren Tanzkompanie „Sasha Waltz & Guests“ gerade unter dem Vorzeichen rigider Sparpolitik ihr 20-jähriges Jubiläum feierte, „Le Sacre du printemps“ nun als russisch-belgisch-französisch-deutsche Produktion auf die Bühne des Grand Théatre.

Klassische musikalische und tänzerische Auseinandersetzungen gehen bei Waltz von jeher miteinander einher so war etwa ihre Choreografie „Impromptus“ eine Auseinandersetzung mit der Musik von Franz Schubert. Die Star-Choreografin verbindet bereits eine Tradition mit Luxemburg: 2005 brachte das Grand Thèatre die Première ihrer choreografischen Fassung von Henry Purcells Oper „Dido & Aeneas“, bei der die Bühne in ein riesiges Unterwasseraquarium verwandelt wurde. 2011 folgte die Uraufführung von „Matsukaze“, einem Klassiker des japanischen Noh-Theaters. Im letzten Jahr gestaltete Sasha Waltz zusammen mit Mark Andre zur Musik von Mozart die Choreografie „Gefaltet“. In einigen ihrer früheren Stücke, wie Medea (2007) oder Continu (2010), sind bereits Elemente ihrer Recherche zu Riten zu erkennen. So darf man also auf die tänzerische Ästhetik gespannt sein, und auch die schicken Jil Sander Kostüme in Grau und Lila, die einen Kontrapunkt zu den folkloristischen Trachten der Uraufführung vor hundert Jahren setzen, versprechen einen neuartigen Reiz.

Letzte Vorstellung an diesem Freitag, den 10. Januar im Grand Thèâtre.


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