THEATER: Der Preis der Selbstbestimmung

Frank Hoffmann zeichnet mit seiner modernen Rose Bernd-Inszenierung am TNL das vielschichtige Porträt einer Frau, die daran scheitert, ihr Leben nach ihrer Fasson zu leben.

Verführer und Unterdrücker: Rose Bernds Verehrer Flamm.

Gerhard Hauptmanns naturalistisches Drama „Rose Bernd“ mag auf den ersten Blick weniger politisch sein, als sein „Weberaufstand“ – dafür hat es bis heute nichts an Aktualität eingebüßt. Es ist die Geschichte einer jungen Frau, die am gesellschaftlichen Druck zu Grunde geht, weil sie als Hure stigmatisiert wird. Hauptmanns soziales Drama, das 1903 Premiere feierte, hat seinen autobiografischen Ursprung in einem Gerichtsverfahren, an dem er selbst als Geschworener teilgenommen hatte. Es war ein regelrechter Schauprozess, der ihn einst zu „Rose Bernd“ inspirierte. Das Stück war seinerzeit revolutionär, weil er Kritik übte an der doppelbödigen Moral, den Standesunterschieden und dem inhumanen Strafvollzug. Im Schicksal Rose Bernds, der Geschichte einer gesellschaftlich geächteten Mutter eines unehelichen Kindes und „Kindesmörderin“ formuliert er eine allgemeine Sozialkritik. Eine emanzipatorische Leistung insofern als er ihren Leidensweg eindrucksvoll ambivalent nachzeichnet und so klar wird, dass ein solches Schicksal jede und jeden treffen kann.

TNL-Intendant Frank Hoffmann verlagert das naturalistische Drama in die Gegenwart. Seine Rose Bernd (Jacqueline Macaulay) ist keine devote schlesische Bauernmagd, wie in der Ursprungsfassung, sondern eine gestandene Frau, die – zumindest anfangs noch – weiß, was sie will und ihre Leidenschaften ungehemmt auslebt. Ausgelassen, betörend und selbstsicher verkündet sie zu Beginn der zweistündigen Inszenierung: „Ich weiß, was ich will und ich will es durchsetzen.“

Doch gleich nach der Anfangsaufstellung der Figuren, die mit bleichen Gesichtern antreten wie aus einem Wachsfigurenkabinett, fehlen zwei der zuvor präsentierten Charaktere: Rose Bernd und Christoph Flamm (Wolfram Koch). Verrat liegt in der Luft und das Karussell beginnt sich in schwindelerregendem Tempo zu drehen. Denn neben Roses Verhältnis mit dem Mann ihrer Ziehmutter, ist da noch dessen Nebenbuhler Streckmann (Luc Feit), ein jähzorniger Hallodri, der die beiden in Flagranti ertappt und Rose damit erpresst, sie möglicherweise sogar missbraucht. Daneben gibt es August Keil (Steve Karier), ihren eigentlichen Verlobten, der als chronisch Zu-Kurz-Gekommener durchs Leben schleicht wie ein geprügelter Hund. Voll bissiger Ironie besteht er auf einer Ehe mit Rose – selbst dann noch, als ihm längst klar ist, dass sie ihn mit anderen betrügt. So zerren alle Männer an der einen Frau, für die das leichtfüßige Leben schnell zu bitterem Ernst wird.

Das spartanische Bühnenbild präsentiert sich unschuldig weiß, geradezu aseptisch, und kontrastiert so mit der Verkommenheit der perfiden Gestalten. Wie eine aufklappbare Schachtel öffnet sich die Bühne von Akt zu Akt und gewährt damit immer tiefere Einblicke in das Leben der Figuren des Stücks, die mitunter wie in einem gerahmten Biedermeier-Bild auf einer Mauer kauern und an einer Brezel knabbern. Irgendwann wird Rose fliehen wollen, eingeengt durch die Vorwürfe ihres pietistischen Vaters und die Besitzansprüche der Männer, die wie Zombies an ihr zerren und sie vereinnahmen wollen.

Nicht nur ästhetisch ist Frank Hoffmanns Inszenierung gelungen. Vor allem seine überzeichneten Charaktere beeindrucken und lassen – trotz gelegentlich arg platter Männerwitze („Da ist ja Streckmann – so lang wie er ist“) – schmunzeln. Luc Feit weiß in der Rolle des großmäuligen Streckmann ebenso zu überzeugen wie Steve Karier als Gehörnter, der sich am Ende trottelig die Frage stellt, ob nun eine glückliche oder eine unglückliche Liebe die bessere ist. Herausragend ist jedoch Jacqueline Macaulay in der Rolle der Hauptfigur. Anfangs noch leichtfüßig tanzend wie ein kleines Mädchen, gerät sie immer mehr in den Strudel der Abwärtsspirale. Die Schlinge der Anschuldigungen ihrer Umwelt zieht sich langsam zu – bis sie an den bigotten Verhältnissen erstickt. Am Ende wird sie an ihrer Verzweiflung zu Grunde gehen, während ihr neidendes Umfeld ein lustiges Jägerlied anstimmt. So kann Hoffmanns Inszenierung als Chiffre für eine Frau gelten, die versucht, selbstbestimmt zu leben und deren Lebenslust peu à peu von ihrem Umfeld gebrochen wird. Am Ende ist sie nur noch ein Nervenbündel, das in einem rosaroten Raum zusammenbricht: „Ich war stark, aber jetzt bin ich müde.“

Am 6., 7., 8. Februar 2014 um 20 Uhr und am 9. Februar um 17 Uhr im Théâtre National du Luxembourg


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