SOZIALALMANACH: Deckmantel soziale Selektivität

Die Caritas wirft der Regierung vor, nur ans Sparen zu denken, dabei aber die Reichen schützen zu wollen. Sie fordert den Erhalt des Sozialstaats.

„Rechnet man alle Armen und von Armut Bedrohten zusammen, ergibt das eine ganz schöne Masse. Wenn sich diese Masse einmal erheben würde, wäre das eine ganz schöne Gefahr für unsere soziale Kohäsion.“ Marie-Josée Jacobs, die (nicht mehr ganz) neue Präsidentin der Caritas, sieht dunkle Wolken über dem Luxemburger Horizont aufziehen. Anlässlich der Vorstellung des „Sozialalmanach 2014“, der dieses Jahr den Themenschwerpunkt „Recht auf Arbeit“ hat, zeichnete sie ein ziemlich düsteres Bild der aktuellen sozialen Lage in Luxemburg. Der Sozialalmanach wird seit nunmehr acht Jahren im Vorfeld der Rede zur Lage der Nation veröffentlicht und soll laut Jacobs „nicht nur eine Bestandsaufnahme, sondern auch Lösungsvorschläge“ bieten. Für Robert Urbé, den Sprecher der Caritas, hat sich seit Junckers letzter Rede zur Lage der Nation nicht viel geändert. „Die Aussagen Jean-Claude Junckers und die Aussagen der jetzigen Regierung ähneln sich“. Die neue Regierung hat für Urbé auch nach Ablauf der 100-Tage-Schonfrist „noch nicht viel Konkretes“ hervorgebracht. In der Regierungserklärung Xavier Bettels gab es zwar „einige positive Punkte“ zu Themen wie Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit und Kinderbetreuung, doch vor allem bei dem neuen Modewort „soziale Selektivität“, das seit Monaten in aller Munde zu sein scheint, ist nach Meinung Robert Urbés Vorsicht geboten: „Unter dem Deckmantel der sozialen Selektivität kann der Sozialstaat ausgehöhlt werden.“ Vor allem, wenn gleichzeitig in Bezug auf eine eventuelle Steuerreform „das Paradigma vorherrscht, dass man die Reichen schützen müsse, damit sie hier bleiben.“ Allgemein fürchtet die Caritas, dass „vor allem die Ärmsten der Gesellschaft“ unter eventuellen Reformen des Sozialstaats, wie der Erhöhung der Mehrwertsteuer oder einer Neustrukturierung des Kindergeldsystems, leiden werden. Attacken auf RMG-Empfänger und Arbeitslose weist Robert Urbé entschieden zurück und betont, dass die Sozialhilfeempfänger in ihrer großen Mehrheit arbeiten oder arbeiten wollen.

Mythos „Mëttelstandsbockel“

Im ersten Teil des Sozialalmanachs wird betont, dass 62 Prozent der RMG-Empfänger „einer ganz normalen Beschäftigung“ nachgehen, dabei aber so wenig verdienen, „dass sie noch auf eine ergänzende Zahlung des RMG angewiesen sind“. Auch gegen ständige Kritik am hohen Mindestlohn und am Index argumentiert die Caritas. „Dem kann man entgegnen, dass trotz Krise immer weiter neue Arbeitsplätze in Luxemburg geschaffen werden, ein Indiz dafür ist, dass es mit der Wettbewerbsfähigkeit nicht so weit her sein kann“ erklärt Robert Urbé in „Rückblick auf das Sozialjahr 2013-2014“. In Bezug auf die Regierungserklärung Xavier Bettels vom zehnten Dezember 2013 kritisiert er vor allem die „Konzentrierung der Haushaltskonsolidierung auf Einsparungen und ein Ausschließen von Steuererhöhungen“. Wobei „Steuererhöhungen“ natürlich nicht die Heraufsetzung der Mehrwertsteuer meint, die für Urbé „so ziemlich die ungerechteste Steuer“ ist, da sie dem Statec zufolge für die unteren Einkommenskategorien eine Belastung von ungefähr fünf Prozent, für die höheren Einkommenskategorien jedoch nur von zwei Prozent darstellt. Die Caritas kann sich einen „Ausgleich für Bezieher niedriger Einkommen“ und die Einführung einer Steuer auf Luxusgüter vorstellen. Aufgeräumt wird mit dem Mythos des „Mëttelstandbockels“, dem zufolge die Mittelklassen verhältnismäßig am meisten Steuern zahlen und am wenigsten Sozialtransfers erhalten. Nathalie Georges und Robert Urbé vertreten die These, dass mit steigendem Lohn die Steuerbelastung relativ gleichmäßig ansteigt und die Sozialtransfers relativ gleichmäßig abnehmen. Allerdings beschränken sie sich bei ihrer Studie auf Löhne, die zwischen dem Mindestlohn und 7.000 Euro liegen.


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