SAUL DIBB: Das Lied vom guten Nazi

Die Verfilmung von Irène Némirovskys Romanfragment „Suite française“ ist kein großer Wurf – trotz der literarisch wertvollen Vorlage und der starken Darstellung eines untypischen Nazi-Offiziers durch Matthias Schoenaerts.

„Vom Winde verweht“ reloaded? Soll französisch wirken,
ist aber nicht mehr als gnadenloser Kitsch …

Kaum ist der Hype um Irène Némirovsky, von der in den vergangenen Jahren immer neue Bücher hervorgezaubert wurden – die ähnlich wie ihr nur zu zwei Dritteln vollendeter Roman nach 60 Jahren in einem Koffer versteckt – von ihrer Tochter wiederentdeckt wurden, vorbei, da beginnt der Hype um die Romanverfilmung von „Suite française“. Allerdings dürfte er schnell wieder abklingen. Denn die Rechte an dem Buch hat sich eine Filmgesellschaft gekauft, die mit diesem Stoff im eigentlichen Sinn wenig anfangen konnte. Nicht, dass die Weinstein Company nicht großartige Filme produziert, u.a. die Tarantino-Filme „Inglourious Basterds“ und „Django Unchained“. Doch diese „Suite française“ unter der Regie von Saul Dibb ist unglaubhaft, verkitscht und bedient mehr als nur ein Klischee. Gedreht wurde zwar überwiegend in der pittoresken 500-Einwohner Ortschaft Marville, in der Lorraine (Departement: Meuse), die die Ortschaft Bussy nachstellen soll. Allerdings sprechen die Figuren Englisch, keiner der Filmschauspieler spricht je Französisch, und Deutsch ist mal wieder nur dann zu hören, wenn Nazi-Offiziere ihre Befehle bellen. Dies und das Bild der Französinnen macht das Ganze letztlich zur Folklore.

Schade auch deshalb, weil die Romanvorlage, und auch das Leben der Autorin selbst, durchaus mehr hergegeben hätte. Némirovsky, 1903 in Kiew als Tochter eines Bankiers geboren, wuchs in wohlhabenden Verhältnissen im 16. Pariser Arrondissement auf und entwickelte trotz ihrer jüdischen Herkunft nie wirklich eine Beziehung zum Judentum. Sie lebte als Staatenlose in Frankreich, und obwohl sie sich mit der Grande Nation identifizierte, halfen auch die guten Beziehungen zu höheren Kreisen und zur Rechten ihr am Ende nicht: Sie wurde von den Behörden ihrer Wahlheimat ans Messer geliefert und im Juli 1942 nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Eindrucksvoll, nüchtern und doch auch ein wenig naiv schildert sie in ihren Romanen den in Frankreich aufkeimenden Antisemitismus. „Der Ball“ (1930) zeigt den Machtkampf zwischen böser (Schwieger-)Mutter und Tochter – eine Konstellation, die sich wie ein roter Faden durch alle ihre Romane zieht.

„Suite française“ setzt im Frühjahr 1940 ein, als deutsche Truppen Paris bombardieren und besetzen. Der Film beginnt mit schwarz-weißen Dokumentaraufnahmen, um dann in verblassten Farben in die Ortschaft Bussy zu wechseln, die von Nazis besetzt wird. Lucille Angellier (Michelle Williams) bewohnt mit ihrer Schwiegermutter (Kristin Scott Thomas) das schönste Haus im Ort, und hier ist der Offizier Bruno von Falk (Matthias Schoenaerts) einquartiert worden. Zwischen Bruno und Lucille entsteht schnell eine Anziehung, denn der feinfühlige, musikliebende Deutsche entspricht so gar nicht dem Klischee des bösartigen, kaltherzigen Nazi-Offiziers. Der Belgier Matthias Schoenaerts („Bullhead“) weiß diesen Typus wunderbar zu verkörpern und vermag es tatsächlich zwischen Grausamkeit und Sanftheit zu changieren. Bewegt von Falk sich unter seinen Soldaten und gibt Befehle, wirkt er wie aufgezogen, sitzt er abends am Klavier und spielt die von ihm komponierte „Suite française“, so erscheint er harmlos und verträumt wie ein kleiner Junge. Dem kann Lucille nicht widerstehen, und so kommt es zur „amour fou“. Doch erinnern die Szenen, in denen sich die beiden näherkommen, leider zu stark an „Vom Winde verweht“. Und auch die Szenen mit den deutschen Soldaten, von denen etwa einer eine Französin mit einem Nietzsche-Zitat belehrt, dass der Mann dazu geboren ist, ein Kämpfer zu sein, wirken, aus dem Kontext gerissen, vollkommen deplaziert. Dabei sind gerade Némirowskys Beschreibungen stark; manche Textpassagen sprechen für sich, und es hätte sich gelohnt, sie originalgetreu zu übernehmen. Dafür kann auch die Detailversessenheit des Films bei den Kostümen – wie etwa Hosenträger mit SS-Emblem – nicht entschädigen, sie wirkt nur grotesk.

Némirovskys literarische Absicht, die deutschen Soldaten eben nicht als ausnahmslos NS-verblendete Automaten zu zeigen, geht in der Verfilmung auf und verleiht dem Film Spannung. Die Kategorien „gut“ und „böse“ verschwimmen. Auch die Züge von Habgier, Neid und Opportunismus, die unter dem Druck der Besatzung bei den Franzosen zutage treten, und die im Ort herrschende Kleingeistigkeit werden im Film einigermaßen wiedergegeben – wie auch die „collaboration horizontale“, also die Tatsache, dass einige französische Frauen mit den deutschen Besatzern sexuelle Verhältnisse eingingen. Dass das Verhältnis zwischen Lucille und Bruno körperlich und nicht rein platonisch war, ist im Roman lediglich angedeutet und der Fantasie überlassen – im Film wird die Beziehung hingegen als stereotypes, leidenschaftliches Liebesverhältnis dargestellt und restlos verkitscht.

Im Utopolis Kirchberg


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