Italienische Einwanderungsgeschichte: Nahrung für Leib und Seele

von | 18.12.2025

Das Sachbuch „Les dîners de Gaia. Des mets et des mots italiens au Luxembourg“ ist Geschichtsdarstellung, Kochbuch und Liebesbekenntnis an die Literatur in einem. Auf einprägsame Weise unterstreicht es die kulinarische und kulturelle Bedeutung der italienischen Küche, die jüngst sogar zum Unesco-Weltkulturerbe gekürt wurde.

Corina Ciocârlie, geboren in Timișoara (Rumänien), lebt und arbeitet in Luxemburg. Die Journalistin und Essayistin unterrichtet Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Luxemburg. (© Corina Vasile)

Wer genau hinsieht, vermag in den gehackten Tomaten, die sich auf angerösteten Weißbrotscheiben von Bruschetta übereinanderschichten, die im Abendlicht aufflammenden Dolomiten erkennen, oder in der mit Fruchtsauce übergossenen Panna cotta einen ausbrechenden Vulkan. Dass sich in Gerichten weite Landschaften verstecken, dass sich in ihnen der von Menschen bevölkerte, durchquerte, verlassene geografische Raum spiegelt, ist ein erstaunlicher Umstand, auf den Corina Ciocârlie bereits in ihrem Vorwort zu „Les dîners de Gaia. Des mets et des mots italiens au Luxembourg“ verweist. So vernetzen Linguine oder andere Bucatini mit ihren Linien, Kurven und Knoten nicht nur die Inhalte der Teller miteinander, sondern auch die Gäst*innen, die sie miteinander teilen. „De là à imaginer des affinités électives entre cuisine italienne et migrations, il n’y a qu’un pas.“ (zu Deutsch : „Von da aus ist es nur noch ein kleiner Schritt, um Wahlverwandtschaften zwischen der italienischen Küche und Migrationen zu erkennen.“)

Mit Blick auf die weltberühmte „Cucina italiana“, die jüngst von der UN-Kulturorganisation Unesco zum immateriellen Kulturerbe gekürt wurde, umkreist das bei Capybarabooks erschienene Buch auch das Thema Migration, genauer: die italienische Migration nach Luxemburg. Doch es ist nicht nur von Gerichten die Rede, auch, unter anderem, von Gedichten, überhaupt von Literatur, die Migrationsprozesse und die mit ihnen zusammenhängenden Alteritätserfahrungen reflektiert und durch ihre sprachliche Fixierung bewältigbar macht. Zeitgenössische luxemburgische Autor*innen mit italienischen Wurzeln kommen zu Wort, persönliche Berichte von Tullio Forgiarini, Carla Lucarelli, Ian De Toffoli, Remo Ceccarelli und Serge Basso bestücken die einzelnen Kapitel, in denen den Leser*innen nicht nur ein historischer Abriss der unterschiedlichen Migrationswellen im 19. und 20. Jahrhundert geboten wird, sondern auch Rezepte liebevoll zusammengetragen wurden.

Mit der Zeit entspinnt sich ein reicher Dialog zwischen den Stimmen der Autor*innen und den Romanen von Jean Portante, deren zitierte Passagen die Leser*innen als wiederkehrende Orientierungspunkte durch das Buch führen. Auszüge aus Klassikern der italienischen Literatur wie „Die Verlobten“ von Alessandro Manzoni und „Die Abenteuer des Pinocchio“ von Carlo Collodi werden ebenfalls in den Text eingeflochten. Die literarischen Schnipsel dienen als Wegzeichen, welche die im Buch nachgezeichnete historische Reiseroute von Italien nach Luxemburg symbolhaft markieren.

Auf den Geschmack gekommen

Traditionelle Speisen tragen ein Stück Heimat in die Fremde. Sie stillen die Sehnsucht, lindern das Heimweh, zumindest zeitweise. In „Les dîners de Gaia. Des mets et des mots italiens au Luxembourg“ wird gleich zu Beginn betont, dass italienische Migrant*innen ihre kulinarischen Traditionen mit nach Luxemburg brachten, um der drohenden Entwurzelung entgegenzuwirken. Zur Bewahrung ihrer kulturellen Identität, zu der auch immer die Kochkunst gehört, betrieben sie Einkaufsläden und eröffneten Restaurants, in denen man italienische Delikatessen kaufen beziehungsweise genießen konnte. In ihrem Beitrag „Que reste-t-il de nos saveurs?“ macht Maria Luisa Caldognetto darauf aufmerksam, dass aber gerade die Essgewohnheiten der italienischen Einwander*innen bei der luxemburgischen Bevölkerung Anstoß erregten und sich ihre Stigmatisierung deshalb zum Teil in der Herabwürdigung ihrer Nationalküche sprachlich vollzog. Spottnamen wie „Maccaronisfréisser“ oder „Spaghettisfréisser“ fanden sogar Einzug ins Luxemburger Wörterbuch – dass diese Bezeichnungen glücklicherweise heutzutage kaum mehr geläufig sind, bestätigt übrigens eine kurze Recherche beim „Lëtzebuerger Online Dictionnaire“.

Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, so beleuchtet die Autorin, brach eine neue Ära der italienischen Küche in Luxemburg an. Das Misstrauen der einheimischen Bevölkerung gegenüber den bis dahin als fremd markierten Nahrungsmittel schwand, pasta, pizze und risotti wurden nun auch in luxemburgischen Haushalten gerne aufgetischt. Diesem Wandel leistete eine bessere Kenntnis der ins Mittelmeer hineinragenden Halbinsel Vorschub; mit der Entwicklung des Massentourismus in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde Italien nicht mehr als ärmliches Emigrationsland, sondern als sonniger Urlaubsort wahrgenommen. Diese Verschiebung führte zu einer weiteren Aufwertung und Verbreitung der „Cucina italiana“.

Ein Blick in Töpfe und Köpfe

(© Capybarabooks)

In „Les dîners de Gaia. Des mets et des mots italiens au Luxembourg“ wird aber nicht nur ein Abschnitt der italienischen Einwanderungsgeschichte skizziert: Das sich daran anfügende „Glossar für Feinschmecker“ („Glossaire gourmand“) enthält auch eine kleine Textsammlung mit kommentierten Auszügen zeitgenössischer Schriftsteller*innen, deren Schreiben sich mitunter als eine literarische Annäherung an den besonderen Geschmack italienischer Gerichte erweist. Die so verwirklichte Zusammenführung von Kulinarik und Literatur macht deutlich, dass zwischen den Künsten, die jede auf ihre Weise den Menschen nährt, ein zwar nicht immer offensichtliches, aber doch enges Verhältnis besteht.

Ob nun vom Siegeszug des Familienbetriebs und Nudelherstellers „Pasta Maxim“ oder von der symbolischen Bedeutung der rot-weiß-karierten Tischdecke die Rede ist: Dieses Werk serviert den Leser*innen einen wichtigen Teil der luxemburgisch-italienischen Geschichte mundgerecht in überschaubaren, abwechslungsreichen Kapiteln – Archivfotos, Erinnerungsberichte und eingestreute Fragmente aus der Literatur balancieren sich gegenseitig aus und fungieren als feine Gewürzmischung, die das Buch zu einer zwar komplexen, aber gut verdaulichen Komposition macht.

Corina Ciocârlie: „Les dîners de Gaia. Des mets et des mots italiens au Luxembourg“. 146 Seiten. Capybarabooks, 2025.

Mit Beiträgen von: Maria Luisa Caldognetto, Claudio Cicotti, Corina Ciocârlie, Gaia Bennoni und Jean Portante.

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