BIENNALE: Architektur, eine aussterbende Disziplin?

Über die immer stärker werdende Verschmelzung zwischen Städtebau und ländlichem Raum, die damit zusammenhängenden Fragen der Bebauung sowie der Zukunft der Architektur unterhielt sich die woxx mit Philippe Nathan.

ZUR PERSON:
Philippe Nathan, in Esch-Alzette geboren, hat sein Diplom 2009 am „Institut supérieur d‘architecture de la communauté française“ (ISACF) in Brüssel gemacht. Mehrmals gewann er den Preis „La Cambre Architecture“. 2010 gründete er in Luxembourg das Architekturbüro „2001“. Zusammen mit seinen zwei Architektenkollegen und ehemaligen Kommilitonen Yi-der Chou und Radim Louda vertritt Philippe Nathan bei der Architektur-Biennale in Venedig das Großherzogtum mit dem Projekt „Futura Bold? Post-City: considering the Luxembourg case“.

Woxx: „Futura Bold? Post-City: considering the Luxembourg case“ – können Sie kurz erklären, was mit diesem doch etwas kryptischen Titel gemeint ist?

Philippe Nathan: Im Grunde sind es drei verschiedene Titel. „Futura Bold?“ war eigentlich das Thema des Wettbewerbs, den die Fondation de l’Architecture zur Biennale ausgeschrieben hat. Unser Projekt „Post City: Considering the Luxembourg case“ basiert darauf, dass wir uns gesagt haben, dass Luxemburg weder eine dichtbesiedelte Stadt ist noch große, ungenutzte Naturarreale besitzt. Wir haben in Luxemburg eine Fläche, die irgendetwas zwischen Stadt und Land darstellt, bebaut und zugleich unbebaut ist. Alles ist per Definition eigentlich unnatürlich, die Landschaftsfläche wird größtenteils auf irgendeine Art genutzt oder gehört irgendjemandem. Es sind die Gegebenheiten einer Hyperstadt, die hier vorherrschen, deren Stadtmauern keinen Sinn mehr haben – die grenzenlos ist und deshalb die Bezeichnung „Post-City“ verdient. Wir wollten mit unserem Beitrag nach den Potentialen einer Stadt von morgen fragen.

Wie weit ist es gelungen, diese doch recht abstrakte Idee zu visualisieren?

Seit März wussten wir, dass wir Luxemburg bei der Biennale in Venedig vertreten sollten. Seither hat das Projekt ein immer größeres intellektuelles Ausmaß angenommen. Die Idee war von Anfang an, sich einerseits an ein Fachpublikum zu wenden, andererseits soll die Ausstellung aber auch stets bei Nichteingeweihten Fragen aufwerfen. Statt wie bei vorherigen Biennalen, die sich eher einer konzeptuellen Sprache bedienten, wie es bei Künstlern üblich ist, wollten wir uns auf die Ausdrucksform der Architekten stützen, um Szenarien zu illustrieren. Der Luxemburger Pavillon besteht insgesamt aus drei Elementen: Ein Architekturmodell, das sich durch mehrere Räume zieht, stellt die Hauptinstallation dar. Das zweite Element sind fünf Illustrationen, und das dritte ist ein Buch, das die Beschreibung des Projekts enthält. Jedes der drei Elemente steuert eine eigene Lesart und Schicht bei.

Welche Fragen haben Sie sich bei der Umsetzung gestellt?

Die Luxemburger Ausstellung befindet sich in einer Wohnung der Ca` del Duca, einem Gebäude, dessen Fassade dem Canal Grande zugekehrt ist und das einen ruhigen Innenhof hat – abseits vom ganzen Stadttrubel. Wir wollten diese bescheidene und stille Lage aufnehmen und ausgestalten: So stößt der Besucher zuerst auf einen recht abstrakt wirkenden Aufbau mit weißen Gipsblöcken; erst wenn er näher herantritt, erkennt er Gebäude und kann Funktionen hineininterpretieren. Luxemburger erkennen sofort, dass es ein stilistischer Nachbau von Esch-Belval ist. Im nächsten Raum haben wir uns an der Aire de Berchem inspiriert, dann an Kirchberg – der Besucher kann durch ein Fernrohr blicken und erkennt die von kleinen Villen umgebene Philharmonie. Ein überdimensionales Dreieck, auf dem die fünf Städte modellhaft angeordnet sind, zieht sich durch die einzelnen Räume. Leitmotiv war dabei immer die Frage: „Was wäre wenn… – wie könnte eine Post-City aussehen?“ Zudem wollten wir auf verschiedene politische Diskussionen reagieren, etwa die um das Fußballstadium: Muss das eine Fläche mit Zuschauertribünen und einer Shopping Mall nebenan sein, oder kann sich das Fußballfeld auch auf einem Gebäudedach befinden, umgeben von Bürohäusern, die abends dann als Tribünen fungieren und so zu einer spezifischen Architektur beitragen? Zwar haben wir als Luxemburger keine Megacity, dennoch lassen sich Elemente städtebaulich kombinieren, um so zu überraschenden Resultaten zu kommen. Um dieses Spiel geht es in dem ausgestellten Modell.

Und wo kommt hier die Idee des „Common Ground“ ins Spiel?

Insgesamt geht es auch um eurogenerische Architektur, um Gebäude, die so auch sonstwo in Europa stehen könnten. Deshalb wurden 21 Gebäudetypen in Gips nachgebaut, um die serielle Reproduzierbarkeit zu illustrieren. Wir zeigen keine großen Architekturkonzepte; nicht der individuelle Architekturgestus steht im Mittelpunkt – hier kommt die Idee des „Common Ground“, das allgemeine Motto der diesjährigen Biennale ins Spiel -, sondern die Frage, wie sich die Gebäude, die so überall stehen könnten, zueinander verhalten und was in diesem Raum passiert. Es geht uns dabei nicht um eine Kritik der verschiedenen Architekturtendenzen, egal, ob bei privaten oder staatlichen Gebäude, sondern darum, das bestehende Potential in die Zukunft zu projizieren: Was passiert, wenn Luxemburg irgendwann noch mehr Bevölkerungszuwachs und Büroflächen bekommt? Dieses Szenario spielen wir auf eine recht naive, aber konstruktive Art und Weise durch.

Fünf Orte – Belval, Berchem, Ingeldorf, Kirchberg, Schengen – fungieren als Spielwiese ihrer Installation. Was haben sie gemein?

Absolut nichts. Außer, dass diese Orte unserer Meinung nach charakteristische und spezifische räumliche Phänomene des heutigen Luxemburgs darstellen. Mit der Krise hat auch in Luxemburg ein kleiner Paradigmenwechsel stattgefunden. Es geht vermehrt darum, wie die Raumplanung zukünftig aussehen soll. Oft ist die Herangehensweise dabei extrem technokratisch. Was verloren geht, ist die Frage nach räumlicher Identität und Qualität. Demgegenüber wollten wir wissen, was Luxemburg räumlich heute überhaupt ausmacht? Welche Räume und Gebäude würde man in eine Arche Noah mitnehmen? Kirchberg dient der Politik als repräsentativer Ort, um ein Bild von EU-Luxemburg zu zeichnen. Dagegen wird die Aire de Berchem am meisten von Ausländern genutzt, sie ist einer der internationalsten Plätze in Luxemburg. Belval dagegen gilt als letzte Bastion der Schwerindustrie, wo jetzt die Cité des Sciences eingefügt wird – ein Sockel einer neuen Ökonomie, der Wissensgesellschaft, von der man vieles erwartet. Es geht also weniger um die einzelnen Orte an sich, als darum, was die Gesellschaft aus ihnen macht, mit welchem Mythos sie überfrachtet wurden … Auch Schengen ist ein stark ideologischer Raum. Einerseits ist es ein Dorf mit 1.500 Einwohnern und einer Größe von zehn Quadratkilometern, anderseits fungiert es als eines der Symbole des friedlichen Sich-Zusammenfindens der EU-Staaten. Symbolische Zuschreibungen an verschiedenen Plätzen finden ihren formellen Ausdruck in den Gebäuden – in Belval etwa sind es massive Bezirkshausblöcke, in Schengen haben wir die Kirche ausgewählt, die das pittoreske Dorf darstellt. Ingeldorf stellt das geografische Zentrum der Nordstadt dar, dort geht es um Wachstum. Das soziale Zentrum ist dort längst nicht mehr die Kirche, sondern ein großes Einkaufszentrum. Diese Elemente haben wir herausgenommen und in einem Architekturmodell visualisiert, um die Augen dafür zu öffnen, was da ist und wo es uns hinführen kann. Die fünf Orte stehen symbolisch für einen Moment in der Diskussion um die Post-City.

Wo sehen Sie zukünftig die größte Herausforderung der Architektur?

Die größte Herausforderung sehe ich in der Rolle, die die Architektur zukünftig noch haben wird. Wie weit können wir die Disziplin noch erhalten? Denn es wird im Allgemeinen immer schwieriger, einen individuellen Bauentwurf zu planen. Ein solcher braucht Zeit, und manchmal gelingt nicht alles auf Anhieb. Die guten Bauprojekte jedoch, die wir heute bewundern, haben oft eine längere Planungs- und Bauphase gehabt. Vielleicht es es aber auch genau dieser Shift zu neuen Entwicklungskonzepten, der die größte Herausforderung darstellt. So denke ich, dass Architektur als Disziplin proaktiver werden muss, um sich von der Abhängigkeit des Bauherrn zu lösen. Architekten, wie Designer oder Künstler können autonom aus Analysen und Recherchen auf gesellschaftliche Veränderungen oder Nöte reagieren und Projekte ausarbeiten, um diese dann mit öffentlichen oder privaten Bauherren zu verwirklichen. Sollte es aber beim heutigen Status Quo und den bestehenden Beziehungen und Hierarchien zwischen Bauherr und Architekt bleiben, glaube ich fast, dass die Architektur jeden gesellschaftlichen Nutzen verlieren wird und eine aussterbende Disziplin ist.

Peak Oil ist unausweichlich – welche neuen Nischen muss Architektur zukünftig belegen?

Das bedeutet neue städtebauliche Herausforderungen: Die oft gepriesene Dichte, wie wir sie aus Städten kennen, gibt bloß teilweise Lösungsansätze, besonders auf die Frage der Mobilität. Heute sehen wir, wie zusehens neue Antriebs- und Energiequellen genutzt und demokratisiert werden – etwa Elektroautos – um Peak Oil entgegenzutreten. Die naheliegende Frage wird in den kommenden Jahren sein, wie wir Energien aus den uns vorhandenen Biomassen und Ressourcen gewinnen können. Post-City weicht der technischen Komponente dieser Frage gewollt aus, um auf räumlicher und planerischer Ebene zu reagieren. Es geht uns also weniger darum zu zeigen, wie welche Methoden der Energiegewinnung in Zukunft genutzt werden, sondern zu illustrieren was auf städtebaulicher Ebene die Konsequenzen davon sein können. Im Pavillon haben wir zum Beispiel dargestellt, wie Einfamilienhäuser als kleine solare Kraftwerke in einem gebündelten Netzwerk interagieren und Energiestationen, eine Art Post-Tankstelle, mit Strom versorgen könnten. Die räumliche Konsequenz ist, dass diese Stationen Polaritäten bündeln und kleine Zentren im residenziellen Gewebe darstellen, die sowohl Mobilität ermöglichen, aber auch andere gesellschaftliche Funktionen übernehmen können – wie das heute schon zum Teil der Fall ist. Sie können Supermärkte beinhalten, den Zeitungsladen … aber auch das Postamt oder die Arztpraxis. Dies könnte zur Autonomie kleinerer Gemeinden oder besser Gemeinschaften beitragen, und neue lokale Sozialdynamiken ermöglichen …

Was macht ein gutes Energiespar-Haus aus?

Einen Moment lang dachten wir daran, einen Brief ins Gefängnis an Theodore Kaczynski zu schicken, den US-amerikanischen Mathematiker mit einem Harvard-Abschluss, und ihn um einen Beitrag zum Luxemburgischen Pavillon zu bitten. Der als Unabomber bekannt gewordene Aktivist hatte ab 1970 in den Bergen von Montana in einer kleinen, selbstgebauten Holzhütte gelebt, einer kleinen Jagdkabine, die er mit alten Zeitungen isoliert hatte. Er hat Jahre hindurch komplett autark gelebt. Sein ökologischer Fußabdruck muss praktisch Null gewesen sein. Ein gutes Energiespar-Haus ist per Definition ein Haus, das so wenig Energie wie möglich verliert oder abgibt. Kaczynski wohnte sicherlich nicht in einer Energiespar-Hütte, interessant ist hier dennoch, wie er welche Ressourcen ausnutzte, um im Gleichgewicht mit seinem Umfeld zu leben. Denn was wir sehr oft vernachlässigen in dieser Debatte, sind Komponenten wie graue Energie – also die Energiemenge, die für Herstellung, Transport, Lagerung, Verkauf und Entsorgung eines Gebäudes benötigt wird. Ich glaube, dass dies in den kommenden Jahren eine ebenso wichtige Frage sein wird wie das „einfache“ Einsparen von Energie. Wir werden uns vermehrt auf lokale oder regionale Rohstoffe und Produktionsstätten beziehen müssen, um auf ökomische Zwänge zu reagieren …

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Siehe auch Thema: Architekturbiennale 2012 – Gemeinsame Sache?


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