Grexit: Alle drei Monate?

Derzeit gibt es täglich ein „Treffen der letzten Chance“ bezüglich der Griechenlandkrise. Die Frage wie es soweit kommen konnte, wird dabei kaum erörtert.

Grexit als einziger Ausweg? 
Heiner Flassbeck sieht durchaus eine Zukunft Griechenlands im 
Euro-Raum. (Foto: woxx)

Grexit als einziger Ausweg? 
Heiner Flassbeck sieht durchaus eine Zukunft Griechenlands im 
Euro-Raum. (Foto: woxx)

Eigentlich ist Heiner Flassbeck, der ehemalige Chefvolkswirt der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD), ein ruhiger Mensch. Doch in letzter Zeit kommt der begehrte Interviewpartner zahlreicher Medien nicht mehr zu Ruhe. Es ist die Griechenlandkrise, die ihn auf Trab hält. Und was er zu ihr zu sagen hat, lässt sich nicht mit wenigen Worten oder kurzen Statements wiedergeben.

Kein Wunder also, dass der Vortrag, den der studierte Volkswirt vor gut einem Monat in Luxemburg hielt, wie eine Dampfwalze über die zahlreichen ZuhörerInnen hinwegrollte. Eine Stunde lang legte Flassbeck seine Analyse der Eurokrise dar, und natürlich war das Thema Griechenland dabei omnipräsent. „Eurokrise: Die unendliche Geschichte?“ war der Titel, den die Salariatskammer, die Flassbeck nach Luxemburg eingeladen hatte, dem Event gab. Wobei der Gast gleich bei der Einführung das Fragezeichen in diesem Titel ausklammern wollte: Ein Jahr zuvor hatte er – ebenfalls in Luxemburg – dem Euroraum eine dauerhafte Deflations-Tendenz vorausgesagt. Leider sollte er recht behalten. Vor allem: Seit der Finanzkrise sind sechs Jahre vergangen, in denen es nicht gelungen ist, diese Entwicklung zum Stillstand zu bringen.

Flassbecks Ansatz in der Griechenlandkrise bricht mit dem des wirtschaftswissenschaftlichen Mainstream, der von der alleinigen These ausgeht, dass Griechenland lange Jahre über seine Verhältnisse gelebt habe und deshalb strukturelle Reformen vonnöten seien, um das Land wieder konkurrenzfähig zu machen.

Flassbeck negiert nicht die kolossalen Fehlleistungen früherer Regierungen in Griechenland und die Fehlentwicklungen, die aus ihnen entstanden sind. Aber er wendet sich gegen die Haltung der EU – und der federführenden deutschen Regierung –, die weitere Hilfsprogramme an Griechenland von Reformanstrengungen abhängig macht, wie sie vom, früher als „Troika“ betitelten, Triumvirat der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds gefordert werden.

Arbeitslosigkeit trotz Lohnkürzung

Damit befindet er sich zwar auf einer Linie mit der im Januar gewählten Syriza-geführten Regierung in Griechenland, doch ist seine Solidarität mit der neuen Führung, die einen Spagat versucht zwischen dem, was sie der eigenen Bevölkerung versprochen hat, und dem, was sie auf europäischer Ebene äußerstenfalls erreichen kann, eine kritische.

Den fundamentalen Fehler in der bisherigen Lösungsstrategie sieht Flassbeck darin, dass die Sparmaßnahmen das Land noch tiefer in die Rezession getrieben haben, statt es da herauszuholen. Die Lohnkürzungen und das Zusammenstreichen von Sozialleistungen, die den Vorgängerregierungen abverlangt worden waren, haben den Binnenmarkt zusammenbrechen lassen. Die Arbeitslosigkeit ist gestiegen, und der Schuldenstand gegenüber dem Ausland wurde nicht abgebaut, sondern wuchs weiter an.

Rein empirisch, so Heiner Flassbeck – der auf seiner Internet-Plattform flassbeck-economics.de zahlreiche Studien und Statistiken zur Euro-Entwicklung und zur Griechenlandkrise zusammengetragen hat – haben sich die Methoden der Troika als falsch herausgestellt. Der schwache Hoffnungsschimmer, der sich 2014 zeigte, als der griechische Staatshaushalt wieder ausgeglichen werden konnte, konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit ihm eine weitere Verschärfung der Rezession verbunden war.

Reallöhne und Arbeitslosigkeit in Griechenland (flassbeck-economics.de)

Reallöhne und Arbeitslosigkeit in Griechenland (flassbeck-economics.de)

Die vorzeitigen Neuwahlen brachten eine demokratisch legitimierte Regierung hervor, die ihren Auftrag, den sinnlosen und schädlichen Sparprogrammen ein Ende zu machen, nicht unbedingt mit dem größten diplomatischen Geschick, aber bislang mit ungebrochenem politischen Willen zu erfüllen versucht.

Gerade in diesen Tagen spitzt sich die Situation erneut zu, da zum Ende dieses Monats das aktuelle Hilfsprogramm ausläuft und es bisher keine Bereitschaft gibt, wie geplant ein neues aufzulegen. Der Ton hat sich – im Vergleich zur letzten „Griechenland-Runde“ vor drei Monaten – noch einmal verschärft. Die Möglichkeit eines „Grexit“ wird jetzt auch in Kreisen diskutiert, die bislang versucht hatten, dieses Thema als nicht „auf der Tagesordnung stehend“ abzutun – allen voran Kommissionpräsident Jean-Claude Juncker.

Doch inzwischen wird vermieden, zu sehr von den faulen Griechen zu reden, vielmehr versucht man, einen Keil zwischen die Syriza-Regierung und die griechische Bevölkerung zu treiben. Tatsächlich spielt die Zeit gegen Alexis Tsirpas und seine Regierungskollegen: Die Ablehnung der Troika-Vorgaben ist ja nur ein Teil ihres Programms. Für

UnausgeglicheZahlungsbilanzen (in % des BSP) (flassbeck-economics.de)

UnausgeglicheZahlungsbilanzen (in % des BSP) (flassbeck-economics.de)

die Bevölkerung und die Zukunft des Landes ist die zweite Etappe nicht weniger wichtig: endlich ein Wachstumsprogramm auf die Beine zu stellen, das die griechische Wirtschaft wieder in Gang bringt.

Zusammen mit dem griechischen Wirtschaftsprofessor Costas Lapavitsas, der als Syriza-Abgeordenter dem griechischen Parlament angehört, hat Heiner Flassbeck Anfang des Jahres ein Buch herausgegeben, das den bezeichnenden Titel „Nur Deutschland kann den Euro retten“ trägt. Darin versuchen die Autoren darzulegen, dass die Lösung der Eurokrise weder im Fall Griechenlands noch in dem der anderen Krisenherde, einschließlich Frankreichs, in den betroffenen Ländern selbst gefunden werden kann. Zu suchen ist sie einzig und allein in Deutschland.

Seit gut zehn Jahren gibt es, als Folge der Reformen der rot-grünen Schröder-Regierung, in Deutschland einen Quasi-Stillstand der Löhne und Gehälter. Statt sich an das in der Euro-Zone geltende Inflationsziel von 1,9 Prozent zu halten, stiegen sie um lediglich 0,4 Prozent an. Das erhöhte beträchtlich die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, die infolgedessen zügig wachsen konnte, getrieben vor allem von der Exportwirtschaft.

Jährlich erwirtschaftet Deutschland so einen Handelsüberschuss von 200 Milliarden Euro. Damit verstößt das Land eigentlich gegen geltende EU-Vereinbarungen, denn diese Summe macht etwa sieben Prozent des Bruttoinlandprodukts aus und übersteigt damit die geltende Richtlinie von sechs Prozent.

Deutsches Wachstum auf Kosten anderer

Diese Entwicklung ist besonders im Kontext der europäischen Einheitswährung fatal: Hätte Deutschland seine eigene Währung, hätte sich deren Wert gegenüber den Nachbarn erhöht, womit der Wettbewerbsvorteil wieder neutralisiert worden wäre – wie es das Beispiel der Schweiz, deren Wachstum ebenfalls auf hohen Exportraten beruht, zeigt. Doch im Rahmen des Euro findet ein solcher Ausgleich nicht statt.

Erschwerend kommt hinzu, dass Deutschland einen Großteil seiner Exporte nur deshalb tätigen kann, weil andere Länder sich ihm gegenüber verschulden. Die Sparwut der einen kann nur befriedigt werden, wenn andere über ihre Verhältnisse leben.

Wer also dauerhaft die (Über-)Verschuldung verschiedener Länder verhindern will, muss den deutschen Handelsüberschuss ins Visier nehmen. Deshalb sehen Flassbeck und sein griechischer Kollege die Lösung (nicht nur) der Griechenlandkrise bei Deutschland: Dort müssten die Löhne merklich angehoben werden, was die Wettbewerbsvorteile gegenüber der europäischen Nachbarn wieder ausgleichen würde. Höhere Löhne bedeuten auch mehr Binnenkonsum, weshalb höhere Löhne nicht, wie vom Mainstream immer behauptet, zu weniger Wachstum und Verlust von Arbeitsplätzen führen müssten.

In Ländern wie Griechenland gilt es die gleiche Medizin anzuwenden: Statt die griechische Regierung zu zwingen, Löhne und Sozialleistungen durch diverse Reglementierungen nach unten zu drücken, sollte ihr ermöglicht werden, sie wieder steigen zu lassen. Allerdings dürfte dies nicht mehr so schnell geschehen, wie es vor der Krisenzeit üblich war, denn Wachstum auf Pump könnte in Zukunft keine Lösung mehr sein.

Flassbeck – der als Staatsekretär im Finanzministerium von Oskar Lafontaine selber auch kurz in der Politik aktiv war – ist freilich Realist genug, zu erkennen, dass die EU und vor allem Deutschland nicht bereit sind, ihren Irrweg zu verlassen. Ein ungeordneter Grexit kommt für ihn zum aktuellen Zeitpunkt allerdings nicht in Frage. Es wird wohl doch noch einem Kompromiss kommen – so Flassbeck in einem Interview im Schweizer Radiosender SFR 1 am vergangenen Mittwoch. Doch das nächste Sparpaket kommt in drei Monaten. Fragt sich nur, ob Syriza so lange durchhält, denn echte Erfolge wird die griechische Regierung, weil niemand ihr eine Chance geben will, wohl auch bis dahin nicht vorweisen können.

Heiner Flassbeck, Costas Lapavitsas, 
„Nur Deutschland kann den Euro retten“, 2015, Westend.
Demonstration am 18. Juni in Luxemburg (Fotos: Déi Lénk):

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