Auf Netflix: El hoyo

Im dystopischen Science-Fiction-Film „El hoyo“ befinden sich die Figuren an einem undefinierten Ort, an dem langfristige Planung nötig ist, um zu überleben. Während der Film auf der ersten Ebene als packender Thriller funktioniert, liefert er auf der zweiten einen beißenden Kommentar über die menschliche Natur.

Ein Gegenstand darf in die gefängnisartige Struktur mitgenommen werden. Goreng entschied sich für ein Buch, Trimagasi für ein ultrascharfes Messer. (Fotos: Netflix)

Ein kalter, grauer Raum, ein Waschbecken, zwei Betten und zwei Männer – zu Beginn von „El hoyo“ ist unklar, wo wir uns befinden. In einem Keller? In einem Gefängnis? Im Grunde ist es unwesentlich, dient der Ort doch ohnehin nur als Analogie. Einer der beiden Männer, Goreng (Iván Massagué), ist gerade aufgewacht und völlig desorientiert. Wie sein Zimmergenosse Trimagasi (Zorion Eguileor) ihm erklärt, befinden sich die beiden auf Ebene 48 des Schachts. Durch ein quadratisches Loch an der Decke und im Boden sind die darunter- und darüberliegenden Ebenen zu sehen. Wie viele Ebenen es insgesamt gibt, kann Trimagasi nicht sagen. Was er allerdings weiß, ist, dass die beiden in genau einem Monat die Ebene wechseln werden – auf welche, entscheidet der Zufall.

„Es gibt drei Arten von Menschen: Die oben. Die unten. Die, die fallen.“ So lautet der erste Satz des Films und er gibt tatsächlich mehr Orientierung als die ersten Einstellungen: Wir befinden uns nicht etwa an einem realen Ort, sondern in einem Machtgefüge. Dieses tritt am deutlichsten durch die Essensverteilung zutage. Ernährt werden die Bewohner*innen des Schachts nämlich mittels einer Plattform, die einmal am Tag die Ebenen von oben nach unten abfährt. Ist sie auf der ersten Ebene noch prall mit Essen gefüllt, wird sie mit jedem Stockwerk leerer. „Wir bekommen zu essen, was die da oben übrig gelassen haben“, erklärt Trimagasi seinem Zimmergenossen. Als irgendwann eine Person von oben den Schacht hinunterstürzt, verlautbart Trimagasi so kaltblütig wie pragmatisch: „Hoffentlich trank er Alkohol. Wir bekommen nämlich viel zu wenig Wein“.

Dass es sich bei „El hoyo“ ursprünglich um ein Theaterstück handelte, das jedoch nie aufgeführt wurde, überrascht in Anbetracht des minimalistischen Setdesigns, der wenigen Schauplatzwechsel und Dialogen, die an „En attendant Godot“ erinnern, nicht.

„Wir müssen mit denen da oben reden“, befindet Goreng irgendwann. „Damit sie das Essen einteilen.“ Es erscheint ihm absurd, dass sich diejenigen auf den oberen Ebenen vollstopfen und denen unter ihnen nicht einmal das Allernötigste zum Überleben lassen. Es wäre nur logisch, können sich doch alle von einem Monat zum nächsten auf einer der unteren Ebenen befinden. Ob er Kommunist sei, fragt ihn daraufhin Trimagasi. Er ist eigenen Aussagen zufolge schon seit „vielen, vielen Monaten“ an diesem Ort und hat jede Hoffnung auf eine Veränderung längst aufgegeben. Mit dem Rest der Insass*innen teilt er die Devise „fressen oder gefressen werden“. Das ist im Film wörtlich zu verstehen, denn auf den unteren Ebenen, wo die Plattform irgendwann restlos leergegessen ist, ist jede*r sich selbst am nächsten.

Trotz des reduzierten Handlungsrahmens kommt in den 90 Minuten Laufzeit keine Langeweile auf. Mit Goreng lernen wir nach und nach die Regeln dieser Welt kennen, die sich zwar fremd, aber zugleich auch unangenehm vertraut anfühlt. Mit ihm verzweifeln wir auch am verbissenen Egoismus der Figuren. „Will denn keiner irgendetwas tun?“, schreit er an einer Stelle zu den oberen Stockwerken hoch. Als Antwort begegnet ihm nur Stille. Wie kann in einer solchen Situation Solidarität geschaffen werden? Wie können Menschen dazu motiviert werden, auf etwas zu verzichten, um anderen zu helfen? Während diese Dynamik im Film ohne Zweifel als Kommentar zu sozialen Ungleichheiten zu verstehen ist, tritt sie auch in der aktuellen sanitären Krise besonderes zutage. Umso größer die Dringlichkeit der Botschaft, die der Film vermittelt, nämlich der Appell, auch in Notsituationen altruistisch und menschlich zu handeln.

„El hoyo“ ist sicherlich kein subtiler Film, aber das will er auch gar nicht sein. Es ist eine Dystopie über menschliche Abgründe. Einzig die Figur Goreng liefert einen Funken Hoffnung, er gibt auch nach zahlreichen Stockwerkwechseln, Zimmergenoss*innen und Gewalterfahrungen die Hoffnung nicht auf.

Auf Netflix.

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