Die Architektin Céline Zimmer präsentiert im Luca eine überzeugende Alternative zum heutigen Wohnungsmarkt in Luxemburg. Mit Plakaten, Zahlen und Grafiken will sie genug private Akteure überzeugen, neuen und erschwinglichen Wohnraum zu gestalten.

„Ein neuer Wohnraum“, kündigt der Titel der Ausstellung an. Ob ihr die Mobilisierung hiesiger Akteure gelingen wird? (© María Elorza Saralegui/woxx)
Vor dem gelben Hintergrund eines Bildschirms steigt eine schwarze Zahl auf. Die Ziffern zählen kontinuierlich hoch. Der digitale Zähler, der am Tag der Ausstellungseröffnung startete, erfasst alle Mieteinnahmen Luxemburgs, die Einwohner*innen an private Vermieter*innen zahlen. An diesem Nachmittag – knapp zwei Tage nach der Eröffnung – zeigt er bereits über 5 Millionen Euro an: 5.258.862,52. Wenig später steigt die Zahl erneut an, erst auf 5.258.909,98, dann 5.265.980,32 Euro.
Die stetig ansteigende Summe verbildlicht ein altbekanntes Problem – die akute Wohnungskrise in Luxemburg, ein Land, in dem 98 Prozent des Wohnungsbestands in privaten und nur knapp zwei Prozent in öffentlichen Händen liegen. Die Ausstellung „Our New Housing: An Invitation to Cooperate“ rückt gleich drei interessante, mitunter radikale Fragen zu diesem Problem in den Mittelpunkt: Wie ist der Wohnungsmarkt hierzulande aufgebaut? Was wäre, wenn die privaten Einnahmen in erschwinglichen Wohnungsraum investiert werden würden? Und allen voran: Welche Alternative gäbe es zur Dichotomie des privaten und öffentlichen Wohnsektors?
Einem präzisen visuellen Argument gleich zerpflückt die Ausstellung im „Luxembourg Center for Architecture“ (Luca) den heutigen Wohnungsmarkt, indem sie einen kurzen Blick in die Vergangenheit wirft und mit einer Einladung endet. Besucher*innen sollen nicht nur überzeugt, sondern auch mobilisiert werden. Denn obschon das Recht auf Wohnen ein Grundrecht ist, schwindet bezahlbarer Wohnraum in Luxemburg zusehends. Das Schaffen von Wohnungen, so erklärt die Ausstellung, gehe dabei hauptsächlich vom privaten Sektor aus, mit kontinuierlich steigenden Preisen und Wohnungen, die nicht länger als Recht, sondern als kostbares Gut angesehen werden.
Eine Schieflage, die zu einem Paradox führt, sagt die Ausstellungskuratorin und Architektin Céline Zimmer gegenüber der woxx: „Solange wir Eigentum besitzen, fühlen wir uns vor den schlechten Bedingungen des Marktes geschützt. Doch dies hat zu einer Situation geführt, in der viele Personen bereit sind, enorm viel für Eigentum auszugeben.“ Dies wiederum führe zu Spekulation und weiteren Preisanstiegen. Parallel steige bei Mieter*innen die Angst, nicht länger vor einer Kündigung oder Mieterhöhungen geschützt zu sein. Eine realistische Lösung für dieses Problem sieht Zimmer in kooperativem Wohnraum, in Form von Wohngenossenschaften. Diese seien eine „nötige Ergänzung“ im angespannten Markt und könnten sowohl bezahlbaren Wohnraum schaffen als diesen auch langfristig sichern. Ein dritter Wohnungssektor, so das Ziel der Ausstellung, soll in Luxemburg Fuß fassen.
Anatomie eines Marktes
Hinter einem schweren, grauen Vorhang verbirgt sich der erste Teil: Auf farbigen Plakaten werden theoretische Begriffe und gesetzliche und ökonomische Kontexte in verschiedenen Kapiteln („Glossar“, „Diagnosis“, …) erklärt. Viel Text und Zahlen, die sogleich im nächsten Raum durch einige Grafiken etwas aufgelockert werden. Leicht verständlich, illustrieren diese, die beiden in Luxemburg bisher existierenden Sektoren sowie mögliche Alternativen.
Nach und nach baut die Ausstellung so ihr Argument für ein partizipatives Wohnmodell auf. Demnach entwerfen Mitglieder einer Genossenschaft eine oder mehrere Wohnungen, oft mit der Unterstützung staatlicher Subventionen. Die fertigen Wohnungen werden von Genossenschaftsmitgliedern bewohnt, befinden sich jedoch außerhalb des privaten Marktes. „Die eigentliche Funktion des Wohnraums als Zuhause wird hier bewusst wieder in den Mittelpunkt gestellt“, so ein Informationsblatt zur Ausstellung.
Selbstverwaltet, dekommodifiziert und gemeinheitlich
Wie dies in Luxemburg konkret aussehen könnte, ist allerdings nicht so leicht zu definieren. Céline Zimmer, die erstmals in Norwegen auf das Konzept stieß, verbrachte anschließend vier Jahre, um es im Rahmen ihrer Doktorarbeit an der Uni.lu zu erforschen. Eine Wohngenossenschaft müsse drei bestimmte Bedingungen erfüllen, fasst Zimmer der woxx gegenüber zusammen: Sie müsse selbstverwaltet, dekommodifiziert, das heißt vom privaten Markt entkoppelt und auf langfristiges, gemeinnütziges Wohnen ausgelegt sein. Auf diesen drei Achsen bewegen sich alle verschiedenen Modelle von Genossenschaften, wenngleich keine jede Kategorie ganz erfülle: „Nachhaltige Dekommodifizierung, etwa, ist in vollem Maße nicht möglich, wenn man zeitgleich volle Autonomie will“, so die Architektin. „Denn ist ein Projekt zu autonom, könnte die Genossenschaft sich dazu entscheiden, eine Wohnung zu verkaufen.“ Deshalb sei ein gewisses Maß an staatlicher Regulation nötig, was wiederum die Selbstverwaltung einschränke.
In Luxemburg findet der dritte Wohnungssektor im Vergleich mit anderen europäischen Ländern bisher kaum Anklang, erfahren Besucher*innen in der Ausstellung. Dabei gab es bereits ein Wohngenossenschaftsprojekt hierzulande. Präsentierte Zeitungsartikel und Anzeigen zeugen von der gesetzlichen Anerkennung von Wohngenossenschaften im Jahre 1915 und, fünf Jahre später, von der Gründung der ersten Wohngenossenschaft Luxemburgs. Auch heutzutage gibt es bloß eine einzige, im Jahr 2016 gegründete, Wohngenossenschaft. Die habe bisher jedoch weder Wohnungen noch Grundstücke, um ihr erstes Wohnprojekt umsetzen zu können.
Laut Zimmer brauche es in Luxemburg einerseits einen Mentalitätswechsel weg vom Eigenbesitz, andererseits vor allem eine Handvoll motivierter Personen als Vorreiter*innen, damit sich Wohngenossenschaftsprojekte durchsetzen können. Viele wüssten nichts über die Möglichkeit eines dritten Wohnsektors, hätten den Glauben an bezahlbaren Wohnraum in Luxemburg verloren. Auch gegen Vorurteile müsse man kämpfen, so Zimmer. Eine Wohngenossenschaft sei keine WG. „Die Genossenschaft gibt keine Typologie einer Architektur an“, bringt sie es auf den Punkt. Die Wohnungsmodelle seien vielfältig: Von einzelnen Häusern mit Garten bis hin zu Wohnblöcken mit gemeinschaftlich genutzten Küchen. Ausschlaggebend ist eben nicht die Anzahl geteilter und privater Räume, sondern die Selbstverwaltung eines Wohnraumes, der nicht einem*r selbst, sondern der Genossenschaft gehört.
Bauen ohne finanziellen Profit

Anhand von Plakaten, Archivfotos und Grundrissen aus Berliner, Züricher oder Amsterdamer Wohngenossenschaftsprojekten illustriert die Ausstellung die Geschichte und potenzielle Zukunft von Wohngenossenschaften in Luxemburg. (© María Elorza Saralegui/woxx)
So theoretisch und akademisch die Präsentation des Inhalts ist, im letzten Teil verlässt die Ausstellung diese Ebene und zeigt mehrere praktische Beispiele aus ganz Europa. Anhand von Fotos, Plänen und Grundrissen aus Berliner, Züricher oder Amsterdamer Wohngenossenschaftsprojekten werden interessante Modelle von Zimmers Vision illustriert und inspirieren, ähnliche Gemeinschaften in Luxemburg aufzubauen. Die gesetzlichen und staatlichen Rahmenbedingungen dafür seien schon vorhanden, so die Kuratorin. Deshalb sei auch gerade „jetzt ein wirklicher historischer Moment für Genossenschaften in Luxemburg“. Denn wenn eine Genossenschaft die legale Form einer sogenannten „Scops Sis“ annehme, gelte sie als „promoteur social“. Bis zu 75 Prozent der Baukosten eines Wohnprojekts könne der Staat dann übernehmen. Die Mietpreise seien dabei wie bei öffentlichen Wohnungen niedrig und vor Spekulation geschützt, sofern man einige Einkommenskriterien erfülle. „Man kann sich einfach seine eigene bezahlbare Wohnung bauen“, so die Architektin. Dies biete Bewohner*innen sowohl Wohnsicherheit als auch stabile Mietkosten.
Um mit der Ausstellung nicht nur eine Debatte anzustoßen, sondern Personen dazu zu ermutigen, sich aktiv an der Gründung von Genossenschaften zu beteiligen, hat Zimmer zudem die Online-Plattform „For Future Members Only“ gegründet. So haben Besucher*innen am Ende der Ausstellung die Möglichkeit, einen Steckbrief auszufüllen und später über die Plattform mit anderen interessierten Personen Kontakt aufzunehmen. Bislang haben sich 22 Personen eingeschrieben, mit unterschiedlicher sozioökonomischer Herkunft. „Es sind nicht viele, doch auch nicht wenige“, kommentiert Zimmer hoffnungsvoll.
Sowohl die Ausstellung, als auch die in deren Rahmen organisierten Vorträge und Workshops, bieten Raum für eine öffentliche Debatte. Selbst wenn die inspirierende Alternative einer Wohngenossenschaft nicht das Grundproblem des privaten Markts lösen kann, böte sie doch die Möglichkeit die Wohnungskrise zu entschärfen. Der Ausstellung gelingt es allemal sie auf präzise Art und Weise unter die Lupe zu nehmen und für ein breites Publikum in vereinfachter Form vorzustellen. Ob sie es auch schafft genügend Vorreiter*innen zu mobilisieren, wird sich wohl spätestens dann zeigen, wenn in den nächsten Jahren etliche Wohngenossenschaften mit erschwinglichem Wohnraum aus Luxemburger Boden sprießen.