Fernab vom Leistungsdruck illustriert die Künstlerin Vanessa Mundle in diesem Sommermonat die Rückseiten der woxx. Im Gespräch verrät sie, wie sie aus ihren Bildern neue Kraft schöpft und warum gerade die ruhigen Momente eine gute Basis für politische Anregung sind.
woxx: Vanessa, bevor Sie mit der Arbeit als Vollzeitillustratorin angefangen haben, haben Sie Philosophie studiert. Inwiefern fließt Ihr Studium in Ihre heutige Arbeit mit ein?

Neben ihrer Arbeit als Illustratorin bildet Vanessa Mundle Lehrkräfte und junge Erwachsene aus, um diskriminerungsärmere Schulräume zu schaffen. (FOTO: minttu – Vanessa Mundle)
Vanessa Mundle: Das Studium in Moralphilosophie hat mich als Person viel geprägt, weshalb es sich gar nicht von anderen Aspekten in meinem Leben trennen lässt. Gesellschaftliche Themen, die mich beschäftigen, tauchen in meinen Illustrationen auf und wenn ich Aufträge annehme, dann tendenziell auch am liebsten Projekte, die eine bestimmte politische Ausrichtung haben. Da spielen meine Prägung und Erfahrungen immer mit rein.
Was zieht Sie an der Illustration als Kunstform an?
Ich halte Illustration für eine sehr zugängliche und niedrigschwellige Kunstform: Illustrationen lassen sich vervielfältigen, sie tauchen in Magazinen auf und können helfen, Menschen überhaupt erst mal anzuziehen und komplexe Inhalte durch die bildliche Darstellung zugänglicher zu machen. Im Vergleich zu anderen Kunstformen ist Illustration ein sehr direktes Medium, das sich vielfältig einsetzen lässt. Dafür muss niemand in eine Galerie gehen, sondern kann einfach eine Zeitung aufschlagen oder ins Internet gehen. Diese Nähe finde ich toll.
Im August zeigen Sie vier Illustrationen in der woxx: Warum haben Sie gerade diese vier ausgesucht?
Es sind alles persönliche Illustrationen, die letztes und dieses Jahr entstanden sind. Alle vier beschäftigen sich mit den Themen Rückzug, Selbstfürsorge und Auszeit ‒ Themen, die mich momentan beschäftigen. In unserem kapitalistischen System ist Zeit für Rückzug und Pausen, ohne sich dabei schlecht zu fühlen, politisch. Das Thema ist mir auch persönlich wichtig, weil ich vor ein einigen Jahren chronisch erkrankt bin und erst mal lernen musste, mir Auszeiten zu gönnen. Seitdem setze ich mich in meinen Illustrationen damit auseinander.
Wie hat Illustration Ihnen dabei geholfen, sich mit Ihrer Diagnose auseinanderzusetzen?
Die Diagnose kam 2019, nach einem längeren Krankenhausaufenthalt. Ich habe zu der Zeit noch nebenbei studiert, aber auch schon freiberuflich gearbeitet und dabei wenig Pausen gemacht. Irgendwann war mein Körper überfordert. Erst durch diese Diagnose habe ich gemerkt, dass ich nicht so weitermachen kann, ohne immer wieder krank zu werden. Ich habe ein gutes Jahr lang mit dieser Erkenntnis gehadert, dass ich ab nun nicht mehr alles gleichzeitig machen konnte. Es war oft frustrierend. Der Entschluss, nicht mehr weiter zu studieren und mich stattdessen auf die Freiberuflichkeit zu konzentrieren und zu lernen, ausreichend Pausen zu machen, war schwer für mich. Meine Frustration in den Illustrationen zu verarbeiten, hilft mir ein anderes Verhältnis zu meinem Leben zu bekommen und dadurch Ideen von Leistungsfähigkeit gehen zu lassen. Mittlerweile wünsche ich mir, dass das Einlegen von Pausen eine Möglichkeit für alle sein könnte ‒ ohne Krankheit natürlich, und bevor der Körper irgendwann nicht mehr kann.
„Der liebevolle Zugang zu sich selber und ein stabiles Selbstwertgefühl sind eine gute Basis für jeden politischen Kampf.‟
Viele Ihrer Illustrationen halten eben solche Alltagsszenen von Ruhe und Selbstliebe fest. Was fasziniert Sie denn an diesen intimeren Momenten?
Sie haben viel Schönheit. In dem ganzen Chaos und dem Produktivitätsdruck, der in der Welt herrscht, faszinieren mich die kleinen Momente, weil sie friedlich sein können und man ganz bei sich ist. Ich finde sie bereichernd, deshalb versuche ich, sie einzufangen. Auch, um während des Zeichnens selbst kurz Kraft zu tanken.
Der Prozess des Zeichnens wird für Sie in gewissen Momenten selbst zum Rückzugsort?
Ja. Ich glaube, aus mir heraus kommt tendenziell das Bedürfnis, entweder ruhige Bilder oder Bilder mit kämpferischen Motiven zu schaffen. Deswegen spielen Räume in meinen Bildern auch eine Rolle: Oft tauchen Motive auf, die ich mit Wohlfühlen verknüpfe. Bilder und Räume, in denen die Figuren sich unwohl fühlen, male ich sehr selten. Diese Suche nach dem Sich-trotzdem-Wohlfühlen, selbst in dystopischen Zusammenhängen oder bei schweren politischen Themen, ist ein persönliches Streben, auch im Zeichnen, weil es eben mein sicherer Raum ist.
Das Thema Wohlfühlen wird in unserer Gesellschaft oft mit Selbstoptimierung verbunden. Gibt es etwas Konkretes, das Sie mit diesen Themen erreichen wollen?
Gesellschaftlich sind es Themen, die wenig Raum bekommen. Es wird viel Aufmerksamkeit auf Selbstoptimierung gelegt, ja, aber auch fast immer mit dem Wahn, besser zu funktionieren, nicht krank zu werden, gesund und leistungsstark zu bleiben. Für mich ist aber eben dieser bedingungslose Zugang zu sich selber wichtig, ohne Leistungsgedanken oder Verwertbarkeit. Das halte ich für ein höchst politisches Thema, natürlich auch gerade in Bezug auf Geschlechterrollen, die immer auch daran geknüpft sind, was man leisten muss, um irgendwie „ausreichend‟ zu sein und spezifische Rollen zu erfüllen.
Was meinen Sie damit?

(FOTO: Vanessa Mundle)
Es gibt gesellschaftliche Bilder und Vorstellungen, die es zu erfüllen gilt: Dass man etwa gut im Haushalt ist oder sehr viel Geld verdient, je nachdem. Auch wenn sich das langsam verändert, sind diese Rollenbilder nach wie vor wirksam. Dabei können wir diesen abstrakten Maßstäben gar nicht gerecht werden: Man kann nicht etwa Mutter sein, jede Minute des Tages für die Kinder da sein, gleichzeitig arbeiten, gut aussehen, fit sein und den Haushalt schmeißen. Das geht alles gar nicht. Diese Ansprüche bestehen jedoch nach wie vor, auch in uns selbst ‒ sogar wenn wir für queerfeministische Zusammenhänge kämpfen. Außerhalb von all diesen Anforderungen suche ich deshalb Momente, um mich selbst wertzuschätzen. Ich glaube nämlich, einen liebevollen Zugang zu sich selber zu finden und ein stabiles Selbstwertgefühl sind eine gute Basis für jeden politischen Kampf, weil dieser Zugang eine Sicherheit mit sich bringt. Und das ist es, was ich mit meinen Illustrationen einzufangen versuche und im besten Fall auch irgendwie anzuregen.
Wie kann Illustration dazu beitragen, traditionelle Geschlechterrollen in Frage zu stellen?
Sie ist oft ein erster Berührungspunkt: Es ist leichter, sich mit einem Bild auseinanderzusetzen als mit einem Text, der abstrakter und komplexer ist. Ein Bild kann natürlich nicht das leisten, was ein Text leisten kann, denn irgendwann ist die Informationsvermittlung eines Bildes ausgeschöpft. Aber Illustration kann ein guter Startpunkt sein, um Menschen anzuziehen und zu irritieren. Vor etwa sieben Jahren, beispielsweise, habe ich angefangen, weibliche Figuren mit haarigen Beinen zu zeichnen. Damals waren solche Bilder weniger üblich. Viele Menschen haben sich daran gestört und gefragt, warum die Figuren haarige Beine haben. Das sei doch nicht schön. „Warum stört Sie das?‟, habe ich gegengefragt. Setzt man sich etwas länger damit auseinander, regen die Bilder dazu an, Schönheitsideale und die geschlechtliche Binarität zu hinterfragen.
In Ihren Illustrationen stellen Sie auch eine Vielfältigkeit von Personen dar. Warum?
Es ist ein politisches Anliegen, das mich in meinen privaten Leben bewegt, aber natürlich auch gesamtgesellschaftlich. Repräsentation ist mir sehr wichtig. Erstens mag ich, wenn Menschen meine Figuren nicht sofort auf dem binären Spektrum einordnen können. Ich hätte gerne, dass wir irgendwann nicht mehr in diesem Spektrum denken. Deswegen versuche ich, vor allem in den letzten zwei Jahren, auch Figuren zu porträtieren, deren Einordnung nicht so eindeutig ist. Es ist nämlich eine Illusion, dass diese immer einfach ist. Gerade vielfältige, queerfeministische Illustrationen helfen, diese traditionellen Bilder aufzubrechen und geben den Menschen, die sich nicht in diesen klassischen Bildern wiederfinden können, eine Möglichkeit, sich gesehen zu fühlen. Dabei finde ich auch toll, diese Breite an Menschen so darzustellen, dass sie nicht länger daran geknüpft ist, ob und wie man geschlechtlich gelesen wird. Illustration trägt zu dieser gesellschaftlichen Veränderung bei und öffnet einfach mehr Räume.
Zur Künstlerin
Vanessa Mundle (auch unter dem Namen „minttu‟ bekannt) zeichnet und malt seit ihrer Kindheit in Erfurt. Während ihres Studiums der Philosophie fing sie an, Flyer für Freunde und Veranstaltungen zu gestalten. Seitdem arbeitet die in Leipzig lebende Künstlerin als Illustratorin, gibt aber auch Seminare und bildet Lehrkräfte und junge Erwachsene aus, um diskriminerungsärmere Schulräume zu schaffen. Mundles Werke sind auf www.minttuillustrations.de und auf Instagram unter @minttu.illustrations zu finden.