Beratungsstelle gegen Radikalisierung
: Sozialer Entbindung entgegenwirken

Anfang Juli hat das Zentrum gegen Radikalisierung „respect.lu“ seine Arbeit aufgenommen. Seine Ziele bleiben vorerst wenig konkret. Zunächst soll das soziale Umfeld möglicher Betroffener sensibilisiert werden.

„Radikale Tendenzen kann man 
nicht an Äußerlichkeiten erkennen“: Um mitzubekommen, ob sich jemand einer menschenverachtenden Ideologie zuwendet, muss man Prozesse der sozialen Abkapselung zu deuten lernen. (Foto: Pixabay)

Junge Erwachsene, die sich in Syrien dem Islamischen Staat anschließen, Mordfantasien Rechter, wie jüngst gegen Angehörige der Jonk Lénk und davor gegen Außenminister Jean Asselborn – allein diese Beispiele zeigen, dass es auch in Luxemburg den gemeinhin als „gewaltbereiten“ bezeichneten Extremismus gibt. Um diesen zu bekämpfen und seiner Entstehung vorzubeugen, wurde Anfang Juli das „Zentrum gegen Radikalisierung – respect.lu“ eröffnet. Seine Gründung geht auf eine Initiative der Regierung vom Juli vergangenen Jahres zurück. Getragen wird es von der eigens gegründeten Asbl „SOS Radicalisation“.

Für den Anfang ist „respect.lu“ fachlich mit drei Psychologinnen und einem Psychologen ausgestattet, die alle in Teilzeit arbeiten. „Vorrangiges Ziel ist es zunächst, die verschiedenen Angebote bekannt zu machen“, so Karin Weyer, die Leiterin des Zentrums, „damit Leute, die auf unseren Service zurückgreifen wollen, uns überhaupt kennen“. Im Mittelpunkt stehe in dieser Anfangsphase vor allem Prävention. Neben der „Primärprävention“, die zur gesellschaftlichen Sensibilisierung für das Thema „Radikalisierung“ im Allgemeinen gedacht sei, richtet sich die „Sekundärprävention“ an all jene, „die mit Menschen in Kontakt sind, die im Begriff sind, sich zu radikalisieren – seien es Lehrer, Erzieher oder die Familie“, so Weyer.

Prävention bedeutet also zum einen, dass das soziale Umfeld überhaupt erkennen lernt, wenn jemand sich „radikalisiert“. Dass dies gar nicht so einfach ist, betont auch der Psychologe Ahmad Mansour, der in Deutschland seit Jahren in Projekten gegen die Radikalisierung von Muslimen arbeitet. „Radikale Tendenzen kann man nicht an Äußerlichkeiten erkennen“, so Mansour in einem Interview mit dem „Deutschlandfunk“: Man müsse „mit diesen Menschen in den Dialog kommen, um die Rhetorik, die Argumentation dieser Jugendlichen mitzubekommen. Nur so kann ich merken, dass jemand radikal ist. Ich muss sein Verhalten gegenüber den Lehrern, gegenüber dem anderen Geschlecht überhaupt bemerken“. Dafür müssten Lehrer und Pädagogen jedoch sensibilisiert werden, so Mansour. Eines der Ziele, das auch „respect.lu“ mit seiner Arbeit verfolgt.

Darüber hinaus bietet das Luxemburger Zentrum konkrete Beratung an. „Es hat sich schon jemand an „respect.lu“ gewendet, weil der Betreffende Sorge hatte, dass eine Person in seinem Umfeld im Begriff war, sich zu radikalisieren“, erzählt Weyer über die ersten Arbeitswochen im neuen Zentrum. In solchen Fällen gehe es darum, „zu eruieren ob das berechtigte Sorgen sind“: „Unser Ziel ist es, individuell zu schauen, wie dann vorzugehen ist, ob es andere Probleme gibt, die die betreffende Person möglicherweise hat. Es gibt da keine pauschale Vorgehensweise.“

Wenn Karin Weyer von „Radikalisierung“ spricht, dann meint sie dies in erster Linie in Verbindung mit der Bejahung von Gewalt: „Radikalisierung an sich ist nicht problematisch. Problematisch wird es, wenn Gewalt ins Spiel kommt, sei es, dass diese gutgeheißen, propagiert oder selber angewendet wird.“

Doch welche Milieus hat „respect.lu“ konkret im Visier? Weyer verweist bei dieser Frage auf das Ministerium für Familie, Integration und die Großregion, das „respect.lu“ finanziert. Die gesellschaftliche Notwendigkeit für ein solches Zentrum in Luxemburg liegen laut der dort zuständigen Dominique Faber „auf der Hand“: „Wenn man sieht, was in Europa in den vergangenen Jahren passiert ist, und was andere Länder in diesem Bereich gemacht haben, wo es auch solche Informations- und Präventionszentren gibt, dann glaube ich, dass es für die Regierung eine Selbstverständlichkeit war, auch hier ein solches zu gründen“. Ein spezifisch sich in Luxemburg ergebender Handlungsbedarf, etwa aufgrund der Existenz rechtsradikaler oder islamistischer Milieus, sei nicht ausschlaggebend für die Einrichtung des Zentrums gewesen, meint Faber: „Es gibt in Europa Extremismen im religiösen Bereich, im politischen Bereich, es gibt Rechtsextremismus, es gibt Linksextremismus, es gibt Sekten. Ist das nicht Anlass genug?“

Keine konkreten Milieus 
im Visier

Für die Zukunft schließt die Psychologin Weyer nicht aus, auch im Bereich der De-Radikalisierung tätig zu werden: „Das können dann auch Leute sein, die polizeilich auffällig geworden sind und sich radikalisiert haben. Da sind wir aber wirklich ganz am Anfang und dabei zu schauen, was für Luxemburg Sinn macht, das ist etwas, was wir nicht von heute auf morgen machen werden.“

Wie genau ein solches De-Radikalisierungsprojekt aussehen könnte, ist also noch offen, wobei sich das Luxemburger Zentrum fachlich bislang an einem im dänischen Aarhus entwickelten Programm orientiert. Es könne jedenfalls nicht darum gehen, „jemanden davon zu überzeugen, dass seine Überzeugungen richtig oder falsch sind“. Die jeweilige religiöse oder politische Ideologie stehe „nicht im Vordergrund, sondern sei nur insofern bedeutsam, als sie als Begründung genutzt werde, um Gewalt zu bejahen“.

Der Blick in andere Länder zeigt, dass es verschiedene Ansätze für solche De-Radikalisierungsprojekte gibt. Keiner dieser Ansätze ist unumstritten. Einig ist man sich, dass es darum gehen müsse, die soziale Entbindung aufzuhalten, die mit der Radikalisierung Einzelner einhergeht, also im sozialen Umfeld anzusetzen, dem der oder die Betroffene entstammt.

Jenseits dessen gehen beispielsweise zwei deutsche Projekte, die sich vor allem um islamistisch Radikalisierte kümmern, hinsichtlich deren ideologischen Überzeugung unterschiedlich vor. Bei der Hamburger Beratungsstelle „Legato“ etwa bleibt das Thema „Religion“ völlig ausgespart. Das „Violent Prevention Network“ in Berlin hingegen bezieht die Ideologie mit ein, warnt aber davor, mit „Gegen-Narrativen“ zu reagieren, und verweist stattdessen auf Fragetechniken, die Betroffene zum Nachdenken anregen sollen. Auch Ahmad Mansour berichtet von der Notwendigkeit, „dass wir auch die krassesten Einstellungen und Meinungen, die die Jugendlichen äußern, aushalten können, um mit denen dann in einen Dialog zu gehen, um sie zu verunsichern in diesen Einstellungen“.

Für die Luxemburger Beratungsstelle ist das zunächst noch Zukunftsmusik. Dort ist man derzeit damit beschäftigt, Kontakte zu all denen zu knüpfen, mit denen man künftig zusammenarbeiten möchte: „Wir sind dabei, uns im sozialen Bereich bekannt zu machen, Kooperationen zu beginnen, Weiterbildungen anzubieten, für Lehrer, Erzieher und so weiter.“

Es wird also noch eine Weile dauern, bis sichtbar, wie erfolgreich die Arbeit des Zentrums ist – geht es doch ohnehin um eine Problematik, die eigentlich Sache der gesamten Gesellschaft ist.


Vor allem im Zuge der Diskussion um islamistisch motivierten Terror und die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die sich dem Islamischen Staat angeschlossen haben, hat sich in den vergangenen Jahren das Wort „Radikalisierung“ etabliert, um teils sehr unterschiedliche Biographien und ideologische Überzeugungen auf ein und denselben Begriff zu bringen. Sowohl in der sozialpädagogischen wie auch in der sozialwissenschaftlichen Praxis sind die Erklärungskraft des Begriffs sowie die daraus abgeleiteten Gegenkonzepte jedoch nicht unumstritten. Die woxx hat beim neugegründeten Luxemburger „Zentrum gegen Radikalisierung“ zur dortigen Herangehensweise nachgefragt und sich mit dem Brüsseler Religionshistoriker Jean-Philippe Schreiber von der Université libre de Bruxelles über Fallstricke der gesellschaftspolitischen Debatte um „Radikalisierung“ unterhalten.


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