Ein ausgelassenes Regierungsteam präsentierte sich kurz vor der Sommerpause der Presse. Ein Jahr nach dem Verfassungs-Referendum sollen wichtige Reformen endlich in Gang kommen.
„Wir sind nicht wie die Geier, die sich auf den Kadaver stürzen“, meinte Permierminister Bettel am vergangenen Freitag, als er das Briefing anlässlich des vorletzten Regierungsrates vor der Sommerpause nutzte, um sich zum Thema Brexit zu äußern. „Aber“, so Bettel weiter, „wir sind auch nicht dümmer als die anderen“. Seine etwas unglückliche Wortwahl betreffs Großbritanniens musste er im selben Atemzug zwar gleich umdeuten, da das Noch-EU-Mitglied ja nicht verendet sei und der Gemeinschaft ein langer und wohl zäher Verhandlungsprozess bevorstehe.
Doch sind es weniger die Sorgen um die Zukunft der Briten als die an mehreren Orten lautgewordene Kritik, Luxemburg habe sich zu spät auf das Brexit-Szenario vorbereitet, was Bettel im Auge hatte: Nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig habe man getan, um den einen oder anderen Geschäftsbereich, für den eine City außerhalb der EU nicht mehr interessant ist, nach Luxemburg zu holen. Auch ist der „Leichenschmaus“, so eine andere Bettel-Metapher, noch gar nicht abgeschlossen: Vize-Premier Etienne Schneider und Finanzminister Pierre Gramegna sind Anfang dieser Woche nach London und Bristol gereist, um möglichen Interessenten die Vorzüge des Standortes Luxemburg zu erläutern.
Nicht nur wegen der hochsommerlichen Temperaturen war am Freitag vergangener Woche der Regierungsrat noch einmal ordentlich ins Schwitzen geraten. Das abschließende Pressekommuniqué umfasst knapp 32.000 Zeichen und mehr als zwei Dutzend Tagesordnungspunkte, die der Premier nur kurz anreißen konnte – auch weil er seine KollegInnen und die Presse zu einem Barbecue in die Verrière seines Ministeriums eingeladen hatte und das Grillgut, die Salate und die Desserts noch längere Sonnenbestrahlung nicht ausgehalten hätten.
Bei der obligaten „Kippchen“ wurde dann weniger ernst über die zahlreichen Vorhaben der Regierung geplaudert, die auf dieser Regierungsratssitzung verabschiedet wurden oder spätestens in der letzten Sitzung vor der Sommerpause spruchreif werden. Ob man sich denn überhaupt noch wiedersehen werde, witzelte Etienne Schneider, als Arbeitsminister Nicolas Schmit sich etwas früher aus der Runde verabschiedete. Doch ob und gegebenfalls wann der LSAP-Mann zum Europäischen Rechnungshof wechseln kann, wird in Frankfurt entschieden: Erst wenn Henri Grethen Verwaltungsratspräsident der Luxemburger Sparkasse wird, wird der Posten beim Rechnungshof frei. Doch unterliegt die BCEE als Systembank der direkten Kontrolle der EZB, und die will Kompetenz und Leumund genau prüfen.
Unter Geiern
Dass ausgerechnet Schneider und Gramegna gemeinsam auf die britischen Inseln reisen, gab auch Anlass zu Sticheleien: Vielleicht könnten sie sich dann ja auf eine gemeinsame Position zur nachträglichen Einschätzung des „Zukunftspak“ einigen. Etienne Schneider hatte im LW-Sommerinterview das im Oktober 2014 offen gelegte Sparprogramm als „Fehler“ bezeichnet, den er ein zweites Mal nicht mehr machen würde. Gramegna dagegen sieht den „Zukunftspak“ weiterhin als unumgänglich an und will an seiner Umsetzung bis zum bitteren Ende festhalten.
Aber auch Schneider stellt nicht das Sparprogramm selbst, sondern lediglich die Art und Weise seiner Durchführung in Frage: Mit dem Versuch, die Einsparungen querbeet auf alle Bereiche auszuweiten, habe sich die Regierung sämtliche gesellschaftlichen Kreise zum Feind gemacht. „Aus heutiger Sicht würde ich das nicht mehr so machen. So blöd wäre ich heute nicht mehr“ sagt Schneider in dem vom Service information et presse offiziell weitergeleiteten Interview. „Zum Beispiel die 0,5-Prozent-Steuer. Das war ja eigentlich lächerlich. Der Aufwand und die Reaktionen standen in keinem Verhältnis zu den Einnahmen im Haushalt“, gab Schneider unverhohlen zu Protokoll und stellte zudem fest: „Schlauer wäre gewesen, einfach die Steuern zu erhöhen.“
Durch eine Erhöhung der Solidaritätssteuer, die sich proportional nach den bereits zu zahlenden Regelsteuern bemisst, wären tatsächlich diejenigen, die schon viele Steuern zahlen, stärker getroffen worden als durch die 0,5 Prozent-Abgabe, die viele erstmals zu Nettosteuer-Zahlern machte. Und eine progressive Heraufsetzung des Steuer-tarifs allgemein hätte auch erlaubt, die Last auf die breiteren Schultern zu legen. Das ist allerdings keine Erkenntnis, die einem ernstzunehmenden Politiker erst nach Verlauf von zwei Jahren kommen sollte: Schneiders eigene Parteilinke aber auch Zeitungen wie die woxx, hatten solche Konstruktionsfehler von Anfang an heftig kritisiert.
Bleibt abzuwarten, ob, neben der Methode, nicht doch auch einzelne Maßnahmen des Zukunftspak auf ihre Sinnhaftigkeit hinterfragt werden. Die angekündigte Steuerreform deutet allerdings in eine andere Richtung: Weil es den Zukunftspak gegeben hat, kann die Regierung eine Steuerreform vorlegen, die die Steuerlast insgesamt absenkt, heißt es aus dem Finanzministerium. Tatsächlich sind es die unerwartet guten Wachstumswerte, die es erlauben, in den beiden Wahljahren 2017 (Kommunalwahlen) und 2018 (Parlamentswahlen) in der Bevölkerung „mehr Netto vom Brutto“ ankommen zu lassen. Sind die Steuern erst einmal nachhaltig gesenkt, wird es schwierig werden, bei Bedarf strukturelle Reformen hinzubekommen, denn dann fehlen die für Abfederungen und Ausgleichzahlungen notwendigen Reserven.
Dabei macht Innenminister Kersch vor, wie es geht. Er reformiert die Gemeindefinanzierung, die bislang vor allem großflächige Landgemeinden favorisiert und stärker urbanisierte Wohngemeinden benachteiligt hat: Die Schieflage wird bereinigt, und diejenigen Kommunen, die ab 2017 weniger bekommen, erhalten bis 2021 einen Ausgleich und haben bis dahin Zeit, sich den Gegebenheiten anzupassen. Von einer „budgetneutralen“ Reform spricht inzwischen auch Finanzminister Gramegna nicht mehr.
Kein Wunder, dass die Stimmung in der blau-rot-grünen MinisterInnenriege in diesem Sommer so entspannt ist wie lange nicht mehr. Vor einem Jahr war sie auf einem Tiefpunkt: Die Referendum-Schlappe und der durch den Zukunftspak erzeugte Missmut hatten der CSV für längere Zeit in den Umfragen und Politbarometern eine absolute Mehrheit beschert. Auch die Beliebtheits-Werte bestimmter Regierungsmitglieder waren gefährlich niedrig. Da kam die EU-Präsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte wie gerufen, lenkte sie doch die Blicke auf die internationale Ebene, die dann auch noch von der Flüchtlingskrise dominiert wurde, die man Bettel und seinen KollegInnen tatsachlich nicht auch noch anlasten konnte.
Oppositionswehen
Ein Jahr später tut sich nun die CSV schwer, das im Vorjahr angehäufte Popularitäts-Kapital zu vermehren. Ein an Absurdität nicht zu überbietendes Procedere zur Bestimmung eines Spitzenkandidaten (zwei Jahre vor dem Stichdatum!), bei dem drei MitstreiterInnen so tun mussten, als hätten sie ernsthaft Lust, dem als Fraktionschef ohnehin prädestinierten Claude Wiseler diesen Job streitig zu machen, wird erst im Herbst zur effektiven Nominierung führen. Bis dahin kann sich Wiseler an seine Zeit als Lehramtsanwärter erinnert fühlen: Beim gemeinen Schülervolk so tun, als sei man schon „quelqu’un“, und sich gegenüber den KollegInnen bis zur Ernennung ja keine Blöße geben.
Entsprechend gedämpft fällt denn auch die Kritik des Chefs der größten Oppositionspartei aus: Blau-Rot-Grün habe das Sparen verlernt. Denn das eigentliche Ziel eines strukturellen Wachstums von plus 0,5 Prozent am Ende der Legislatur sei mit minus 0,5 Prozent in sein Gegenteil verkehrt worden.
Der Verbal-Abtausch zwischen Schneider und Gramegna zum Zukunftspak blieb natürlich auch der CSV nicht verborgen. „Wir standen und stehen hinter den Zielen des Zukunftspaks“, so Claude Wiseler beim traditionellen Presse-Essen am Ende der Chambersession. Doch sei seine Partei mit dem Inhalt nicht einverstanden gewesen: Das Sparpaket habe zu wenig Sparmaßnahmen auf Seiten des Staates enthalten und habe vor allem in einer Erhöhung der Steuern bestanden.
Beim gleichen Anlass haderte Wiseler aber vor allem mit der „familienfeindlichen“ Politik der aktuellen Regierung: Infolge der Kindergeldreform komme weniger Geld bei kinderreichen Familien an. Die versprochen Gegenleistung durch eine bessere, ganztätige und flächendeckende Betreuung des Nachwuchses lasse aber auf sich warten. Folgerichtig müsste eine Regierung unter CSV-Führung diese Maßnahmen rückgängig machen – also noch weniger Einsparungen erreichen. Also doch Steuererhöhungen?
Sparmaßnahmen in anderen Bereichen wollte Wiseler auf Nachfrage jedenfalls nicht benennen und verwies auf die zahlreichen Vorschläge, die seine Fraktion im Parlament gemacht habe. Etienne Schneider würde hier anmerken: Wir werden uns hüten anzudeuten, wen alles wir uns zum Feind machen wollen.