Buch über queere Filme: Von der Nische ins Rampenlicht

von | 06.10.2022

Der Band „Queer Cinema Now“ versammelt 211 Rezensionen über queere Filme. Das Unterfangen ist durchaus lobenswert, ein paar Wermutstropfen gibt es dennoch.

Handlich ist es nicht gerade, das von Björn Koll, Jan Künemund und Christian Weber herausgegebene Buch mit dem Titel „Queer Cinema Now“. Mit seinen 352 Seiten und 60 Zentimetern Höhe eignet es sich kaum als Strand- oder Zuglektüre. Schade, denn am liebsten würde man es nicht mehr aus der Hand legen. Dass derart viele queere Filme in Deutschland erschienen sein sollen, um all diese Seiten zu füllen, wirkt fast zu gut, um wahr zu sein. Und dann stellt man auch noch erfreut fest, dass all die aufgeführten Filme erst nach dem Jahr 2008 erschienen sind. Dass das Buch so dick und der Titel das Licht reflektiert, zeugt von einer klaren Symbolik: Genau wie die queeren Filme, die darin rezensiert sind, soll auch „Queer Cinema Now“ nicht übersehen werden.

Die in „Queer Cinema Now“ aufgelisteten Filmrezensionen wurden nicht etwa spezifisch für diese Publikation geschrieben: Wie der Untertitel verrät, handelt es sich um eine Zusammenstellung der „wichtigsten nicht-heteronormativen Filme aus 12 Jahren sissy“. Der Band versammelt 211 Texte von insgesamt 56 Autor*innen. Damit die Texte, die bis zur Einstellung des Magazins im Jahr 2020, erschienen sind, nicht in Vergessenheit geraten, widmet der Salzgeber-Filmverleih – ebenjener Verleih, der auch schon die gedruckte „sissy“ viermal jährlich herausgab – ihnen nun ein eigenes Buch. Die Texte, die die „sissy“ ab 2016 in Form eines Onlinemagazins veröffentlichte, sind im Band nicht enthalten.

2005 war ein zentrales Jahr für den queeren Film. In jenem Jahr erschien der oscarnominierte Streifen „Brokeback Mountain“: Ein Mainstreamfilm mit zahlreichen Hollywoodstars. Wie kein anderer Film ebnete Ang Lees Western-Melodrama den Weg für die Produktionen, die in den Jahren erschienen, die die „sissy“ abdeckte.

Wie der Band uns in Erinnerung ruft, waren queere Filme mit Hollywoodstars ab 2009 nicht mehr in dem Maße eine Seltenheit wie noch wenige Jahre davor: 2010 erschienen „A Single Man“ mit Colin Firth und Julianne Moore und „The Kids Are All Right“ mit Annette Bening und nochmals Julianne Moore, 2011 dann „La piel que habito“ mit Penelope Cruz und 2013 „Albert Nobbs“ mit Glenn Close, „Behind the Candelabra“ mit Matt Damon und Michael Douglas und „La vie d’Adèle“ mit Léa Seydoux.

Auch Filme wie „Dallas Buyers Club“ mit Jared Leto und Matthew McConaughey und „Tom à la ferme“ (beide 2014) mit und von Xavier Dolan sowie „The Imitation Game“ mit Benedict Cumberbatch, „The Danish Girl“ mit Eddie Redmayne und „Carol“ (alle drei 2015) mit Cate Blanchette zeigten, dass queere Filme durchaus ein Heteropublikum begeistern und prestigeträchtige Preise absahnen konnten.

Beim Durchblättern des Bandes wird deutlich, dass es sich bei diesen bekannteren Werken jedoch um Ausnahmen handelt: Von den meisten rezensierten Produktionen haben die meisten womöglich noch nie gehört. So schön die Erinnerung an vergangene Kassenerfolge auch ist, gerade in der Hervorhebung der kleinen, von der Öffentlichkeit kaum beachteten Filme liegt die Stärke von „Queer Cinema Now“.

Nicht nur lobenswert

Die Rezensionen selbst sind gut geschrieben, schön bebildert und verraten genug über die jeweiligen Filme, um neugierig zu machen. Der Aspekt der Heteronormativität wird jedoch leider nur am Rande thematisiert. Das wäre nicht unbedingt aufgefallen, stünde das Wort nicht im Untertitel des Buches. So aber sucht man in vielen Texten vergebens nach einer entsprechenden Einordnung. Inwiefern entziehen sich die ausgewählten Filme einer heteronormativen Erzählweise? Und welches Verständnis von Queerness vertritt „sissy“ überhaupt? Diese Fragen vermag der Band nicht zu beantworten.

Ebenfalls störend wirkt der durchgehend positive Ton in den Texten. Fast bekommt man den Eindruck, die Autor*innen hätten die Filme bewusst wohlwollend rezensiert, weil sie einem queeren Kanon angehören. Aber wieso? In der Einleitung des Bandes findet man eine Antwort darauf. Grund sei einerseits der Werbecharakter der „sissy“, andererseits eine bestimmte Haltung: „Jeder Film besitzt etwas, was man an ihm lieben kann, es braucht nur die richtige Autorin, den richtigen Autoren, um das herauszuarbeiten“. Dass man die positiven Seiten eines Films anerkennen, ihn aber gleichzeitig auch kritisch besprechen kann – ja sogar sollte – wird bei dieser Argumentation nicht berücksichtigt.

Ihren Ansatz rechtfertigen die Herausgeber*innen mit der Argumentation, man habe nicht vorgeben wollen, „wie man einen Film zu finden hat“. Nach dem Motto: „Geht ins Kino und schaut selbst hin, bildet euch eure eigene Meinung!“ Diesem Vorsatz stimmt man gerne zu, eine Filmkritik sollte aber immer auch dabei helfen, eine informierte Entscheidung zu treffen, ob man den Film überhaupt sehen möchte. Hat man ihn bereits gesehen, sollte sie dabei helfen, das Gesehene besser einzuordnen. Das leistet ein Teil der Rezensionen im Band, leider aber längst nicht alle.

Wäre es nicht gerade auch Aufgabe eines solchen Bandes, darauf aufmerksam zu machen, wenn ein queerer Film misslungen ist? Wenn es ihm gerade nicht gelingt, heteronormative Klischees zu vermeiden? Wenn er sogar problematische Darstellungsformen verwendet? Bei einem Film wie „La vie d’Adèle“ wird die Orientierung am „male gaze“ kritisiert, bei „The Danish Girl“ wiederum bleibt eine kritische Analyse völlig aus. Dabei gäbe es genug zu sagen über die Entscheidung, die Hauptrolle mit einem cis Mann zu besetzen oder die Protagonistin auf ihre Transgeschlechtlichkeit zu reduzieren.

Schade ist zudem, dass „Queer Cinema Now“ nicht viel weiter geht, als die erschienenen Rezensionen in chronologischer Reihenfolge zu bündeln. Auf den hinteren Seiten findet sich neben einer alphabetisch geordneten Auflistung der Filme und Regisseur*innen außerdem die Information, wer die Kritiker*innen sind und welche Texte sie jeweils verfasst haben. Hier wäre es allerdings auch hilfreich gewesen, die im Band enthaltenen Filme nach Herkunftsland und Art der Queerness zu ordnen. Wie viele der rezensierten Produktionen stammen aus Asien oder Südamerika? Wie viele der Filme handeln von bi- oder asexuellen Figuren? Das müssen interessierte Leser*innen selbst mühselig nachzählen.

Diese kleineren Kritikpunkte sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei „Queer Cinema Now“ um ein gelungenes Projekt handelt. Eine solche Sammlung queerer Filme war mehr als fällig. Und die vereinzelten, etwas oberflächlich geratenen Rezensionen können interessierte Leser*innen auch einfach zum Ausgangspunkt für weitere Recherchen nehmen.

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