Heute beginnt die zweite Phase der Ausstellung „By the Edges of Our Absence“ im Casino Luxembourg – Forum d’art contemporain. Die bisher gezeigten Exponate weichen neuen Werken. Ein Konzept, das mit Abwesenheit glänzt.
„What is present in our reality that we don‘t necessarily see?”, fragt die Künstlerin Judith Deschamps in einem Video zur Ausstellung „By the Edges of Our Absence“. Damit beschreibt sie nicht nur die Schlüsselfrage ihrer Sound-Installation „Ravissements“, sondern auch das Konzept der Sammelausstellung mit Alasdair Asmussen Doyle. Die Ausstellung macht den Zusammenhang zwischen Abwesenheit und Veränderung erfahrbar, indem die Künstler*innen, deren Werke die Kuratorin Stilbé Schroeder zusammengebracht hat, der Abwesenheit auf der Spur sind. Die Ausstellung besteht aus zwei aufeinanderfolgenden Teilen. Die erste Ausstellungsphase, die Mitte Dezember 2019 begann, endete gestern mit einer Performance, bei der das Publikum von den Künstler*innen und Vertreter*innen der Blindenvereinigung sowie der Hörgeschädigtenberatung durch leere Ausstellungsräume geführt wurde. Die Idee: Die konzeptuelle Leere gemeinsam erleben und darüber nachdenken, inwieweit Realität sinnlich wahrnehmbar ist. Die Werke, die in der ersten Phase gezeigt wurden – „Ravissements“ von Deschamps und das Video „100ft of Sea“ von Doyle waren zu dem Zeitpunkt bereits verschwunden. Sie machten Platz für zwei weitere Arbeiten, die vor Redaktionsschluss noch nicht installiert waren.
So passt es zum Ausstellungskonzept, dass an dieser Stelle über die neuen Werke in ihrer Gänze nur spekuliert werden kann: Es ist ein Sprechen über Abwesenheit. Die zweite Sound-Installation von Deschamps war beim Treffen mit Schroeder anfangs der Woche noch nicht fertiggestellt. Die Arbeiten wurden, wie auch ihre Vorgängerinnen, für das Casino konzipiert. Was man wusste: Deschamps kreiert eine zweite Sound-Installation. Schroeder selbst kannte nur das grobe Konzept: Doyle machte einen Sehtest für Kleinkinder und Analphabeten – Deschamps zeichnete dabei den Ton auf. Anstatt Buchstaben abzulesen, muss man bei entsprechenden Sehtests die Richtungsanweisung gezeigter Symbole beschreiben. Das Werk liest sich (vermutlich) wie der auditive Abdruck einer Erfahrung, die sich den Besucher*innen des Casinos nur durch Ton und die Projektion eines Standbilds erschließt. Werktitel? Noch unbekannt.
Doyles zweites Werk „False Land“ war im Vorfeld der zweiten Ausstellungseröffnung online im eingangs erwähnten Video zur Ausstellung (ab Minute 4:57) in Mitschnitten zu sehen. Die Kamera fängt ein Schiff ein, das am Horizont verschwindet. Es entfernt sich langsam, aber unaufhaltsam. Doyle spielt mit den Grenzen des menschlichen und des technologischen Sehvermögens. Stellt man sich dies zusammen mit den Richtungsvorgaben aus Deschamps’ Sound-Installation vor, die aus dem offenen Nebenraum in den zweiten Ausstellungsraum dringen werden, entsteht ein spannendes Wechselspiel zwischen Ton und Bild, zwischen Vorgabe und Widerstand. Es zeichnet den Lauf der Dinge nach, der dem Versuch, das Schicksal zu lenken, trotzt. Alles vergeht und verschwindet, wird irgendwann zur Spur des Gewesenen, wie man es auch drehen mag.
Die vorangehenden Werke ergänzten sich auf ähnliche Weise. Mit den Chorgesängen im Ohr, mit denen Deschamps in „Ravissements“ die Klangentwicklung der Stimme über Generationen hinweg dokumentiert, verstärkt sich die Bedeutung von Doyles Video-Installation „100ft of Sea“. Doyle legte hierfür eine Filmspule über Nacht in Wasser aus dem Meer ein, in dem seine Großmutter ertrank, und spielte sie dann ab. Auf der Leinwand erschienen Zahlen, flackernd blaues Licht, Risse und Streifen – Spuren. Zusammen mit den brechenden, zum Teil fragilen Stimmen aus „Ravissements“, verwies die Ausstellung so auch schon im ersten Teil subtil und beeindruckend unaufgeregt auf Verlust, Abwesenheit – und auf die Fülle an Eindrücken, die Leere hinterlässt.