CC: World
: Briefwechsel mit der Welt

Künstler*innen schreiben aus einem Zustand des Stillstands an die Welt: In den Werken zum Kunstprojekt „CC: World“ des Berliner Haus der Kulturen der Welt ist Covid-19 meist nur Symptom einer kaputten Gesellschaft.

Rabih Mroué erzählt die Pandemie in „Cheers to Our Wishes“ als Märchen nach und stellt subtil einen Bezug zu rezenten Vorfällen in Beirut her. (© Rabih Mroué – Cheers to our wishes, 2020, film still/CC: The World)

„This virus may not discriminate, but healthcare systems do, governance systems do, policing systems do“, hält Nikiwe Solomon in ihrem Brief „Stories of Relating in a Time of Covid-19“ fest. Sie schreibt an ihre Kinder, erzählt ihnen von der Wassernot in Kapstadt und von dem respektlosen Verhalten gegenüber Krankenschwestern in dortigen Krankenhäusern. Solomon spricht von fehlendem Schutzmaterial, das zu etlichen Neuinfektionen in den Krankenhäusern führt. Sie selbst ist Dozentin und Doktorandin am Social Anthropology Department der University of Cape Town und beschäftigt sich in ihrer Forschung mit Kollektivität und Umwelt.

Das Kunstprojekt „CC: World“ ermöglicht Einblicke wie diesen. Das Haus der Kulturen der Welt sammelt darin Audio- und Videobeiträge, Fotos und Texte von Kunstschaffenden sowie Wissenschaftler*innen aus aller Welt. Sie richten den Blick auf das, was die Pandemie offenlegt: Das ungleiche und zerstörerische System, das Menschen weltweit eine Gesellschaft nennen. Ausgangspunkt ist das Projekt „Das Neue Alphabet“. Das Haus der Kulturen der Welt stellt sich in der besagten Beitragsreihe die Frage: „Wie kann Wissen gleichzeitig ortsgebunden und global relevant sein?“ Die Pandemie zwingt der Gesellschaft die Antwort auf.

Solomon schreibt über die Diskriminierung von Krankenschwestern in Südafrika und über Umweltzerstörung. Das indische Raqs Media Collective dokumentiert Ähnliches, ohne aber einen Ort zu nennen. In ihrem Video „31 Days“ kratzt die Spitze einer Füllfeder über Papier. Jemand schreibt an sich selbst und an die Welt. Es geht um Beobachtungen, wie die, dass eine Krankenschwester nach mehreren Schichten einschläft oder eine schwangere Migrantin sich fiebrig fühlt. Die Tinte spritzt dabei übers Blatt. Die Bilder sind teilweise verpixelt. Das Wissen über lokale Konflikte bei Solomon und die persönlichen Beobachtungen des Kollektivs sind beide relevant, um die globalen Auswirkungen der Pandemie zu verstehen.

In „CC: World“ entstehen Verknüpfungen zwischen der Pandemie und anderen Formen von Zerstörung, die in der öffentlichen Debatte selten zusammengebracht werden. Die letzten Beiträge auf der Plattform, die regelmäßig erweitert wird, thematisieren Polizeigewalt, Rassismus und ihre mediale Darstellung. Videos wie „Situation 11“ von Claudia Rankine und John Lucas oder „Live, Chile“ von Black Brown Berlin geben unterschiedliche Perspektiven auf die Missstände. Die Forscher*innen Ruha Benjamin und David Theo Goldberg sprechen in ihrem Beitrag auch über Georges Floyd und über die Folgen der Krise für marginalisierte Menschengruppen, wie etwa Schwarze Menschen in den USA.

„I have come to learn and think that some of their actions are far more harmful and lethal than what any of us could ever do“, schreibt der Poet Sinan Antoon als Sars-CoV-2 in einem Brief an den Grippevirus H1N1. In seinem Werk ist nicht der Virus das größte Übel der Welt, sondern die Welt, in der er entstanden ist. Der Künstler Rabih Mroué verfolgt ein vergleichbares Narrativ, wenn er am Ende von „CC: World“ in „Cheers to Our Wishes“ ein Märchen über Grenzschließung und Träume, die Wirklichkeit werden, erzählt. Es ist nicht tröstend. Es führt den Besucher*innen nur ein letztes Mal vor Augen, dass die Gesellschaft sich allgemein in delirischen Zuständen befindet.

„CC: World“, online verfügbar auf der Website des Haus der Kulturen der Welt: https://ccworld.hkw.de/#inbox

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