Mit „Emil Marx. Buchhändler, Journalist, Schriftsteller“ entwirft Henri Wehenkel ein Gruppenbild der Linksintellektuellen im Luxemburg der Zwischen- und Nachkriegszeit.
„Wer weiß heute noch, ein halbes Jahrhundert nach seinem Tode, wer Emil Marx war?“ Mit dieser Frage eröffnet Henri Wehenkel sein Buch über den Journalisten und Buchhändler Emil Marx, dessen schaffensreichste Periode in die Zeit des aufkommenden Faschismus und in die ersten Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg fällt.
„Emil Marx. Buchhändler, Journalist, Schriftsteller“ ist mehr als eine Biografie. Das Buch ist auch ein Generationenporträt der luxemburgischen Intellektuellen, die zwischen den zwei Weltkriegen ins Erwachsenenleben getreten sind. Weitere Mitglieder dieser Generation, und zeitweilige Weggefährten von Marx (1899-1964), waren die Journalisten Albert Hoefler und Nic Molling, der Filmkritiker Evy Friedrich, der Kunstkritiker Joseph-Émile Muller, der Professor Pierre Biermann, sowie der „Bourgeois, Bohemien und Räuberhauptmann“ Henri Koch-Kent.
„Liberaler Kommunist“
Als Mitarbeiter bei heute eingestellten Zeitungen, z. B. der Neuen Zeit, der Illustrierten A-Z und dem Satireblatt Peckvillchen, sowie bei noch bestehenden Zeitungen wie dem Tageblatt, dem Journal oder dem Lëtzebuerger Land, publizierte Marx Kunst- und Literaturkritiken, kurze literarische Texte im Feuilleton sowie politische Beiträge. Immer wieder beschäftigte sich der Kunstkritiker mit den Möglichkeiten und Grenzen künstlerischen Schaffens im Kleinstaat Luxemburg. Als Grundübel des intellektuellen Lebens in Luxemburg galten Marx die „Gefälligkeitskritik“, das „Epigonentum“ und der „Dilettantismus“. Man könnte dieser Liste noch den Hang zu ungerechten persönlichen Abrechnungen hinzufügen, der auch Marx nicht fremd war, beschrieb er doch die „wilde Lust, eine aufgeblasene Null in Stücke zu hauen“.
Im Gegensatz zu verschiedenen seiner Zeitgenossen wie etwa Frantz Clement, der in deutschen und österreichischen Zeitschriften veröffentlichte, beschränkte sich die publizistische Tätigkeit von Marx auf Luxemburg. Ein Versuch in Berlin und München als Schauspieler Fuß zu fassen, scheiterte anscheinend daran, „dass Marx seinen Luxemburger Akzent nicht loswerden konnte“.
Schwierig ist es, den Einzelgänger und Querdenker Emil Marx politisch einzuordnen. Wehenkel bezeichnet ihn als „kommunistischen Liberalen“ oder als „liberalen Kommunisten“. Linkssozialist wäre wahrscheinlich eine treffendere Bezeichnung. Marx war Mitglied der Arbeiterpartei (heute LSAP) und wollte die Gegensätze zwischen Sozialisten und Kommunisten überbrücken.
Mit spitzer Feder bekämpfte Marx die klerikale Bevormundung und die Anhänger des antiparlamentarischen Ständestaates um den Chefredakteur des Luxemburger Wort, Jean Baptiste Esch. Dies war mehr als nur „Pafenfriesserei“ oder „Kulturkampf“, denn wie Wehenkel es treffend auf den Punkt bringt: „Das Gedankengut, das in anderen Ländern zum Faschismus führte, wurde in Luxemburg unter christkatholischer Etikette verbreitet. Die Verteidigung der Volksgemeinschaft gegen das Volksfremde, die Volksfeinde, die Kräfte des Umsturzes, der Zersetzung, gegen den Sittenverfall, die Landflucht, die entartete Kunst und die Gottlosigkeit.“
Antifaschist
Antifaschismus bedeutete auch praktische Solidarität mit deutschen Emigranten in Luxemburg. Eine Buchhandlung, die Emil Marx zusammen mit seiner Ehefrau Julie „Lily“ Marx-Kaufmann (der Wehenkel entschieden zu wenig Platz einräumt) von 1927 bis 1940 in Luxemburg-Stadt führte, wurde zur Anlaufstelle deutscher Emigranten und Antifaschisten. Ab 1936 beherbergte das Ehepaar Marx einen Abgesandten der Kommunistischen Internationale, der Untergrundaktivitäten der KPD in Deutschland koordinierte. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht tauchten Emil und Lily Marx ab, versteckten sich zuerst in Luxemburg, bevor sie ins unbesetzte Frankreich flohen.
Nach dem Krieg veröffentlichte Marx vor allem in der satirischen Wochenzeitschrift Peckvillchen scharfzüngige politische Artikel und Portraits von Figuren des öffentlichen Lebens. So beschrieb er die Christlich-Sozialen als Bestiarium, zusammengehalten vom Willen zur Macht: „Reizvoll, weil es schier an ein Wunder gemahnt, was da alles für absonderliches Getier einträchtig und brav an einem Stricke zieht: Salonlöwen, reißende Tiger der wirtschaftlichen Oberschicht, bieder brummende bäurische Bären, kleine Füchse und Schakale des politischen Dschungels.“
Nach dem Ende seiner Mitarbeit im Peckvillchen schrieb Marx im Feuilleton des liberalen Parteiorgans Journal, allerdings vor allem aus materiellen Gründen und eingeschränkt durch eine gewisse „Selbstzensur“. Mit dem einsetzenden Kalten Krieg und der „kulturellen Regression“ der 1950er-Jahre tauschte Marx die unsichere und schlecht bezahlte Journalistentätigkeit gegen eine Anstellung bei der Schuman-Plan-Behörde und wurde damit zu einem der ersten Luxemburger Europabeamten.
In einem Anhang zum Buch werden etliche Artikel von Emil Marx veröffentlicht. Leider sind die Originalartikel, manche davon in gotischer Schrift, lediglich fotomechanisch abgebildet, meist ohne Titel und manchmal mit Lesespuren, etwa unterstrichenen Satzteilen. Der Verlag hätte gut daran getan, die Artikel neu zu setzen und daneben einige weitere zur Illustration als Reprographien abzudrucken.
Wendepunkte
„Emil Marx. Buchhändler, Journalist, Schriftsteller“ zeichnet ein lebendiges Bild der Gedanken- und Gefühlswelt eines luxemburgischen Intellektuellen im „Zeitalter der Extreme“ (nach dem Begriff des marxistischen Historikers Eric Hobsbawm). Der ausgeprägte Sinn für die Mentalitätsgeschichte ist eine der Stärken des Buches. Wehenkel gelingt es immer wieder, durch ein paar pointierte Zitate aus Artikeln oder Briefen von Marx, aber auch von seinen Weggefährten und Kontrahenten, die Atmosphäre einer Epoche konzentriert einzufangen. Eindrucksvoll beschreibt er die bedrückte und rückwärtsgewandte Stimmung im Luxemburg der 1950er-Jahre, nach der „unvollendeten, unvollkommenen“ Befreiung von 1944.
Während für die einheimische konservative Geschichtsschreibung, von Nicolas Margue über Gilbert Trausch bis Michel Pauly, vor allem historische Kontinuitäten und nationaler Konsens im Vordergrund stehen, interessieren Wehenkel die Momente, in denen die festgefügte Ordnung und die hergebrachten Routinen aus den Fugen geraten. Ein solcher Wendepunkt war die Mobilisierung gegen das Maulkorb- oder Ordnungsgesetz.
Ab 1935, als Staatsminister Joseph Bech den Entwurf seines Ordnungsgesetzes vorstellt, agitiert Marx für die Bildung einer Einheits- oder Volksfront. Marx, zu der Zeit noch Redakteur beim Tageblatt, gerät hierbei in Konflikt mit der Führung der freien Gewerkschaften. Diese befürchtet, dass die Kampagne gegen das Maulkorbgesetz die sich anbahnende Zusammenarbeit mit den christlichen Gewerkschaften gefährden könnte. Prompt verleumdet Pierre Krier, Vorsitzender des Berg- und Metallindustriearbeiter-Verbands, Marx im Gewerkschaftsblatt „Der Proletarier“ als einen Anhänger des „Faschisten“ Leo Müller, des Gründers des rechtsextremen „Luxemburger Volksblatt“. Weiterhin warnt Krier vor einer „Volksfront“, die nichts weiter als „ein Manöver gegen die Gewerkschaften“ und eine „Sabotage der gewerkschaftlichen Lohnaktion“ sei. Das Zerwürfnis über die antifaschistische Einheitsfront wird zu einer dauerhaften Entfremdung zwischen Linksintellektuellen und Gewerkschaftsspitzen führen.
Paradoxerweise markiert der größte Erfolg der Luxemburger Antifaschisten, das Nein zum Maulkorbgesetz in 1937, den Einstieg in die Große Koalition zwischen Christlich-Sozialen und Sozialisten, die den Antifaschismus der Raison d’État opfern werden. Die Zwischenkriegszeit, die mit der Infragestellung der Monarchie, des Zensuswahlrechts und dem Generalstreik von 1921 begann, endet mit der Großen Koalition und den Unabhängigkeitsfeiern von 1939, deren oberflächlicher Jubel-Patriotismus das Land denkbar schlecht auf die kommenden Herausforderungen und Spaltungen unter dem Besatzungsregime vorbereitet.
Während Henri Wehenkel in seiner fulminanten Reihe der „Biographies luxembourgeoises“ im Lëtzebuerger Land kompromisslos und scharfäugig die Interessen und Motive von Kollaborateuren mit Nazideutschland seziert, ist sein Buch über Emil Marx stellenweise wie mit dem Weichzeichner geschrieben. Der Blick auf Marx und seine Mitstreiter ist überwiegend wohlwollend, manchmal melancholisch, aber auch etwas unscharf, so als ob Wehenkel sich eine innere Zurückhaltung auferlegt hätte.
„Schafft Traditionen!“ forderte Emil Marx 1932 in seinem ersten Artikel im Escher Tageblatt. „Emil Marx. Buchhändler, Journalist, Schriftsteller“ trägt dazu bei die verschüttete linksintellektuelle Tradition der luxemburgischen Kulturgeschichte freizulegen.
Henri Wehenkel. Emil Marx. Buchhändler, Journalist, Schriftsteller, Editions Le Phare.
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