Flüchtlinge bei Calais: „Immer größere Risiken“

Ende November ging bei Calais ein Schlauchboot mit Flüchtlingen auf dem Weg nach Großbritannien unter. 27 Menschen, fast alle die an Bord waren, ertranken. An der Routine der Flüchtlingsabwehr vor Ort hat sich dadurch nichts geändert – weshalb weiterhin alles immer schlimmer wird. Eine Reportage.

Aufbruch zwischen den Klippen: An der kaum besiedelten Küste südwestlich von Calais gibt es zahlreiche Strände, wo Boote ungesehen ablegen können. (Fotos: Christiaan Teerink)

Schwimmen? Mahmoud* schüttelt den Kopf. Weder er weiß, wie das geht, noch die acht anderen Syrer, die ziemlich unschlüssig um ihn herumstehen. 20 ist der jüngste von ihnen, 50 der älteste. Dass sie trotzdem mit einem Schlauchboot hinüber nach England wollen, steht für sie außer Frage.

Mahmoud, ist Anfang 20, klein und schmächtig. Sein Gesicht versinkt in seinem dicken Schal. Drei Mal hat er schon probiert, den Ärmelkanal zu überqueren. Doch jedes Mal kam die französische Polizei, gerade als sie mit dem Boot in See stechen wollten. An welchem Strand das war, will er nicht sagen. Nur, dass es in der Nähe der Hafenstadt Calais mehrere Orte zum Ablegen gibt.

Aktuell aber haben Mahmoud und seine Freunde ein anderes Problem. Soeben hat die Gendarmerie sie von ihrem aktuellem Schlafplatz vertrieben, versteckt hinter einigen Büschen auf halbem Weg zwischen der Stadt und dem Hafen. Plastikplanen und Schlafsäcke liegen jetzt auf dem nassen, blassrot gestrichenen Bordstein. Am Himmel kündigt sich der nächste Schauer an. Mahmoud kriecht noch tiefer in seine graue Jacke, und stellt eine dieser Fragen, die zum Alltag gehören, wenn man von Calais aus klandestin über den Kanal will: „Wo sollen wir jetzt hin?“

Schnell ist hier der Alltag wieder eingekehrt, zumindest gemessen an dem, was sich Ende November hier ereignet hat. Ein Schlauchboot lief mit Wasser voll und ging unter, voll besetzt mit Flüchtlingen auf dem Weg von Frankreich in Richtung Großbritannien. 27 von ihnen ertranken, darunter schwangere Frauen und mehrere Kinder. Nur zwei Menschen überlebten das Unglück.

Das führte zu gegenseitigen Beschuldigungen der beiden Regierungen. Priti Patel, die britische Innenministerin, wurde sogar von einem Krisentreffen aus EU-Vertretern und ebenfalls von der Situation betroffener Ländern in Calais ausgeladen. Dort beschloss man, dass ein Flugzeug der EU-Grenzschutzagentur Frontex künftig den Kanal überwachen soll. Ziel: den Schmugglerbanden das Handwerk legen.

Weniger prominent werden die Lebensbedingungen der rund 1.500 Menschen diskutiert, die aus dem Sudan und Eritrea, dem Iran und Irak, Ägypten, Äthiopien, Syrien oder Afghanistan an die Kanalküste gelangen, ehe sie an Bord eines der immer häufiger überfüllten Schlauchboote gehen. Wenig Aufmerksamkeit gibt es beispielsweise dafür, dass die lokale Präfektur den vor Ort tätigen Hilfsorganisationen seit Herbst 2020 untersagt, Nahrung und Wasser zu verteilen. Oder dass jeden zweiten Tag vier dunkelblaue Polizeifahrzeuge die Orte abklappern, an denen Flüchtlinge ihr Lager aufschlagen. Wenn sie Pech haben, werden Zelte und Schlafsäcke konfisziert oder zerstört. Andernfalls müssen sie ihre Behausungen vorübergehend entfernen, nur um sie wenig später wieder aufzurichten.

An einem regnerischen, äußerst windigen Dezembermittag lässt sich eine solche Szene am Quai de la Tamise beobachten, einem schäbigen Ufer des Stadtkanals. Die Männer, die in vier windschiefen Zelten auf dünnem, nassem Karton unter der Brücke schlafen, tragen ihre paar Besitztümer ohne zu murren die Treppe hinauf in Richtung Stadt. Sie haben sich an den symbolischen Akt gewöhnt, der ihnen abverlangt wird und nur einen Zweck verfolgt: Man will zeigen, dass Calais, wo 2016 das zur Kleinstadt angewachsene, „Jungle“ genannte wilde Camp der Flüchtlinge planiert wurde (siehe woxx 1395 „Die Flammen besorgen den Rest“), nie wieder zur zentralen Anlaufstelle auf dem klandestinen Weg nach England wird.

Kleidung trocknen bei nasskaltem Wetter: Campierende Flüchtlinge aus dem Sudan am Stadtrand von Calais.

„Wo sollen wir jetzt hin?“

Ein rein symbolisches Ritual, das wissen hier alle, auch die Gendarmen. Wie finden sie es, dass die Leute, die sie wegschicken, sich genau dort wieder niederlassen, sobald die Polizei verschwunden ist? „C‘est normal“, sagt einer von ihnen knapp, und wiederholt sich, als ob das Ganze dadurch weniger absurd würde. Mehr will er nicht sagen, weder zur Stimmung in der Stadt nach dem jüngsten tödlichen Schiffbruch, noch zum Vorschlag aus London, wonach er und seine Truppe bald mit britischen Kollegen gemeinsam patrouillieren soll – wobei man in der französischen Regierung von dieser Idee ohnehin nichts hält.

Wer weiter fragt, wird an die städtische Polizeiwache verwiesen, von dort wiederum an die Präfektur, die ihrerseits dann das Rathaus für zuständig erklärt, bevor man bei einer anderen Stelle in der Präfektur landet. Offenkundig will niemand Antwort auf die Frage geben, mit welcher Strategie die Polizei zukünftig vorgehen wird. Schließlich sollen „nicht noch mehr Menschen sterben“, wie der französische Innenminister Gérald Darmanin kurz nach dem Unglück sagte.

Vor Ort tritt die Polizei zunehmend einschüchternd und autoritär gegenüber Journalist*innen auf, die bei den Räumungsaktionen aus der Nähe zusehen wollen. Selbst der Sprecher der Einsatzkräfte ist mit einer Maschinenpistole bewaffnet. Auch Jeremy Paoloni, ein Fotograf der Regionalzeitung „La Voix du Nord“, wird daran gehindert, seiner Arbeit nachzugehen. Er berichtet, ein solches Vorgehen gegen Journalist*innen und NGOs sei seit einigen Monaten an der Tagesordnung.

Wie es mit den Versuchen, den Kanal zu überqueren, weitergeht, das wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Anfang Dezember ist das Wetter dafür schlecht. Die Küstenwache erklärt sich daher für Interviews nicht verfügbar. Der Fokus habe „auf den Rettungsoperationen“ zu liegen. Auskunft gibt sie indes nur über eine. Die habe am selben Tag stattgefunden, an dem die 27 Menschen starben. 106 Personen seien aus „zahlreichen Booten, die den Ärmelkanal zu überqueren versuchten”, gerettet worden. Auch die NGO „Channel Rescue“, die auf der britischen Seite an der Küste von Kent Ausschau hält, um Boote in Seenot zu melden, bestätigt dies.

Die französische Polizeispezialeinheit CRS ist nachts ebenfalls auf Achse. Mal am Hafen von Calais, mal am Strand des Nachbardorfs Blériot-Plage, oder mit einem Suchscheinwerfer bewaffnet in den Dünen bei Sangatte, wo schon mehrfach die Leichen von Flüchtlingen angespült wurden. Die Beamt*innen fahren die Straße nach Südwesten ab, in Richtung der beiden Landspitzen, der Kaps Gris-Nez und Blanc-Nez. Die kaum besiedelte Gegend wirkt des nachts so weitläufig, dass man einen Eindruck davon bekommt, wie schwer diese Küste vollständig überwacht werden kann. Steht man an einem der verlassenen Strände, vor sich nur die Schaumkronen der Uferwellen und sehr weit dahinter die Positionslichter großer Schiffe am nur zu erahnenden Horizont, dann erschaudert man bei dem Gedanken, in ein überfülltes Schlauchboot zu steigen und genau in dieses Nichts hineinzufahren.

Mit schwerem Kaliber gegen die Pressefreiheit: Polizisten hindern Journalisten an der Berichterstattung über die Räumung eines Flüchtlingscamps in Calais.

„Wir haben Meldungen von Booten bekommen, auf denen 50 oder gar 70 Menschen waren.”

Ein anderer Strand, rund 40 Kilometer nördlich. Plage du Braek liegt auf einer schmalen Landzunge zwischen der Stadt Dunkerque und dem zu ihr gehörenden Fähranleger. Im Hintergrund ragen Schornsteine und Kräne in den Himmel. Kilometerweit gibt es hier nichts als Hafen, Lagerhallen und Industriebetriebe. Der Wind tost oben auf dem befahrbaren Deich, der Strand selbst liegt geschützt. Irgendwo halb im Sand begraben: ein rosa-grauer Frauenturnschuh. Braek ist einer der Orte, wo im Schutz der Nacht Boote in Richtung England ablegen.

Durchaus wahrscheinlich sei es, dass jene, die Ende November im eisigen Wasser ertranken, von hier aus in See gestochen sind, sagt Anna Richel. „Wir hören hier in der Umgebung, dass Menschen vermisst werden“, so die 28-Jährige, die für die französische Flüchtlingshilfsorganisation „Utopia 56“ die Aktivitäten vor Ort koordiniert. Bereits seit Januar ist die aus der Savoie stammende Frau als Freiwillige in der Gegend um Dunkerque tätig. Die Hafenstadt unweit der belgischen Grenze ist seit Jahren neben Calais der zweite Ort, der Transitmigrant*innen als Ausgangspunkt für die Überfahrt nach Großbritannien dient. Vor allem kurdische Flüchtlinge aus dem Nordirak versuchen von hier aus ihr Glück, so auch die meisten Opfer des Unglücks von Ende November.

„Im September und Oktober war die Anzahl der Überfahrten enorm“, so Richel: „Weil die Grenze immer stärker gesichert wird, nehmen die Menschen immer größere Risiken in Kauf.“ Die Flüchtlingshelferin steht auf dem Parkplatz eines riesigen Einkaufszentrums in Grande-Synthe, einem Vorort von Dunkerque. Hier kaufen auch Flüchtlinge aus den umliegenden Camps Essen ein. Immer wieder sieht man kleine Grüppchen mit Wasser und Lebensmitteln bepackt davonziehen und auf Trampelpfaden in ein Feld oder ein Waldstück einbiegen.

Die Situation der Flüchtlinge in Dunkerque hat sich zusehends verschlechtert. Auch hier gab es zuletzt viele Räumungen. Anna Richel berichtet, einmal seien 600 Personen mit Bussen in Auffangzentren andernorts in Frankreich gebracht worden, weit entfernt vom Kanal. Seit Jahren ist dies eine beliebte Strategie der Behörden, wobei die Betroffenen in der Regel sobald wie möglich wieder an die Küste zurückkehren.

Auch die Schlepper üben Druck auf die Flüchtlinge aus und bedrohen sie. „Sie setzen immer mehr Leute in ein Boot“, sagt Richel: „Wir haben Meldungen von Booten bekommen, auf denen 50 oder gar 70 Menschen waren.”

Diese Meldungen gehen bei einem Notfalltelefon ein, das „Utopia56“ betreibt. Allein in den Wochen kurz vor der Tragödie erhielten sie sechs davon. Die Freiwilligen verteilen auch Informationen über die Risiken der Kanalpassage. „Die meisten gehen davon aus, dass sie drei Stunden auf dem Boot unterwegs sein werden, aber es sind eher acht bis zehn. Darauf bereiten wir sie vor. Und darauf, was zu tun ist, wenn der Motor ausfällt, oder sie im Wasser landen.”

Den Eindruck, seit dem Unglück habe sich die Situation grundlegend verändert, hat Anna Richel nicht. Nicht einmal das angekündigte Frontexflugzeug hat sie bislang gesehen. Dieses hat inzwischen seine ersten Flüge absolviert und sich dabei insbesondere auf die Küste bei Dunkerque konzentriert. „Von der EU ist keine politische Lösung zu erwarten“, sagt Richel ernüchtert. Die mehreren Hundert Migrant*innen in der Umgebung leben weiter ohne fließendes Wasser und sanitäre Anlagen und haben kaum Zugang zu medizinischer Versorgung. „Aber um gefährdete Menschenleben geht es offenbar nicht.“

„Die meisten glauben, dass sie drei Stunden auf dem Boot unterwegs sein werden, aber es sind eher acht bis zehn.“

Von einer Brücke in der Nähe des Einkaufszentrums aus sind mehrere Ansammlungen von Zelten im umliegenden Buschland zu erkennen. Die größte davon erstreckt sich entlang eines Wäldchens bis zu einem Kanal. Zelte säumen stillgelegte Gleise. Kleine Feuer brennen entlang der Zugstrecke, Menschen wärmen sich ihre klammen Hände daran. Auch hier stammen so gut wie alle aus dem kurdischen Teil des Irak. Auffallend viele von ihnen sprechen fließend Deutsch, das allerdings ist im Camp hier entlang des Kanals keine Neuigkeit. Denn nicht wenige haben auf ihrer Reise zum selbstgewählten Ziel ihres Exils in Deutschland halt gemacht.

Yasin* beispielsweise ist erst vor wenigen Tagen aus Nordrhein-Westfalen hier angekommen. Fast sieben Jahre verbrachte er in Deutschland. Ein dauerhaftes Bleiberecht jedoch, ein geregeltes Leben mit einer festen Arbeit statt bloß prekärer Jobs, dieses Ziel blieb unerreichbar. Den Frust

Regen wechselt sich mit Hagelschauern ab: Flüchtlinge und ihre Behausungen am Stadtrand von Calais.

darüber, dass man ihm keine Perspektive für sein weiteres Leben zugestand, hört man Yasin an. Nun liegen seine Hoffnungen wie die vieler anderer auf England. Wer in Deutschland, Belgien, den Niederlanden oder der Schweiz keinen Anspruch auf Asyl geltend machen konnte oder beispielsweise bereits in den mit der Flüchtlingssituation völlig überforderten Ländern Griechenland oder Italien registriert ist, richtet den Blick nach Westen, wo die Dublin-Regelung seit dem Brexit nicht mehr gilt. Wer nach Großbritannien gelangt, kann nicht länger nach Italien oder Griechenland zurückgeschickt werden, nur weil er oder sie dort erstmals den Boden der EU betreten hat.

Ganz hinten im Camp, fast am Ende des Schienenstranges, wird über einer Feuerstelle Reis mit Huhn zubereitet und Tee gekocht. Eine Gruppe von Männern erzählt, sie seien über Belarus nach Europa gekommen. „Eigentlich gilt das für viele hier“, sagt einer von ihnen. Vier Tage sei er gelaufen, um nach Polen zu gelangen. Dabei habe er Glück gehabt, keinem polnischen Grenzschutzbeamten begegnet zu sein. „Ich habe viele Geschichten darüber gehört, wie brutal sie sind.“

Im Gebüsch unweit der Feuerstelle liegen zwei Schwimmwesten. Mindestens 3.000 Euro kostet die Überfahrt auf einem Schlepperboot. Doch bei den Flüchtlingen hier hat die Tragödie von Ende November durchaus Spuren hinterlassen. Einer der aus Deutschland Gekommenen sagt, er habe zu viel Angst. Ein anderer will sich noch überlegen, ob er sich nicht lieber auf einen LKW zu schmuggeln versucht.

Zwei Tage später versperren Polizeifahrzeuge die Kreuzung vor dem Camp. Fünf Beamte in schwarzen Uniformen haben sich davor postiert. Auch nach Vorlage eines Presseausweises sind sie nicht bereit, wirklich Auskunft darüber zu geben, worin ihre Mission besteht. „Migranten“ seien der Grund für den Einsatz, der noch zwei Stunden dauern werde. Wieder einmal wird geräumt. Nicht nur die Presse bekommt keinen Zugang zum Terrain der laufenden Aktion, dasselbe gilt auch für Angehörige verschiedener NGOs. „Die Räumungen sind business as usual“, kommentiert einer von ihnen. „Aber bis vor kurzem ließen sie uns dabei anwesend sein; in den letzten paar Wochen war das nicht mehr der Fall.”

Weit entfernt erscheinen in solchen Momenten beherzte Aktionen wie die von Damien Carême. Als Bürgermeister von Grande-Synthe ließ er 2016 mit Hilfe der Médecins sans frontières ein Camp aus Holzhütten für die Flüchtlinge bauen. Carême, der seit 2019 für die französischen Grünen im Europaparlament sitzt, stellte sich damals offen gegen seine konservative Amtskollegin Natacha Bouchart, Bürgermeisterin von Calais, und auch offen gegen die Haltung der Präfektur (Amtsbezirk) und des Innministeriums. Was hat dieser Mann zur Entwicklung an seiner alten Wirkungsstätte zu sagen?

„Die Tragödie vom 24. November hätte verhindert werden können“, lässt Carême per E-Mail wissen. „Sie ist die Konsequenz der seit Jahrzehnten vorangetriebenen Militarisierung der Grenze zwischen Frankreich und England, der brutalen Behandlung und Schikanierung der Migrant*innen auf französischer Seite und der harschen Politik der Johnson-Regierung.“ Beide Länder hätten damit erst das Klima geschaffen, das zur Geschäftsgrundlage der Schlepper geworden ist. In Ermangelung legaler und sicherer Routen legten die Flüchtlinge ihr Leben in deren Hände. „Dies ist eine Schande und beschmutzt die europäische Flagge.“

Auch der ehemalige Bürgermeister konstatiert, dass sich seit dem Unglück der Flüchtlinge Ende November nichts geändert hat. „Nach jahrelangem Tauziehen mit Großbritannien um die Finanzierung von Stacheldraht, Mauern und Drohnen, hat Frankreich nun die Überwachung der Küste durch ein Frontexflugzeug ausgehandelt. Nichtsdestotrotz leben die Flüchtlinge weiterhin unter unsäglichen, unmenschlichen Bedingungen, schlimmer als 2015, ehe wir das Camp in Grande-Synthe bauten.“

„Die Tragödie ist die Konsequenz der seit Jahrzehnten vorangetriebenen Militarisierung der Grenze zwischen Frankreich und England.“

Seine Worte klingen nach, wenn man die Zaunwüsten am Hafen von Calais passiert, entlang der Mauern fährt, die die Stadtautobahn umgeben, oder an den grotesken Käfigen aus grünem Gitter vorbeikommt, die sich überall dort in der Landschaft finden, wo in früheren Jahren MigrantInnen Unterschlupf gesucht haben und die man so ihrer Verstecke berauben wollte.

Eine Strategie, die, wie viele andere der aberwitzigen Repressionsmaßnahmen, nicht erfolgreich gewesen ist. Stattdessen wurden die Menschen nur weitergejagt, an immer isoliertere Orte, an denen sich das immergleiche Drama unter allerdings noch erbärmlicheren Bedingungen abspielt.

Einer dieser Orte liegt im äußersten Osten von Calais, am Ende der kilometerlangen Rue du Beau Marais. Direkt dahinter beginnt das Dorf Marck, bekannt für seine LKW-Parkplätze. Etwa 500 Sudanesen haben hier, entlang eines Zauns, ihre winzigen Zelte aufgeschlagen. Ein paar von ihnen haben auch Platz in einem Wäldchen gefunden, jenseits einer Ansammlung von Pfützen, die sich allmählich in eine Seenplatte verwandelt. Unter den Kanalflüchtlingen waren die Sudanesen schon immer die Ärmsten, die sich die Preise der Schlepper am allerwenigsten leisten konnten. Deshalb versuchen sie noch immer, England auf die „alte Tour“ zu erreichen – in, auf oder unter einem LKW – so wie damals, ehe die Sicherheits- und Kontrollmaßnahmen an den Fähr- und Tunnelterminals massiv verstärkt worden sind.

Über dem Zaun, der den Parkplatz begrenzt, hängen Schlafsäcke und Kleidung, als könnten sie so trotz des nasskalten Klimas trocknen. Der nächste Schauer naht, bring Hagel mit. Drei Menschen suchen Schutz unter den kahlen Bäumen. Jemand hat sich bemüht, aus zwei Holzscheiten ein wärmendes Feuer zu machen, versucht, sich wenigstens die Beine zu wärmen. Als es schon auf die Dämmerung zugeht, legt jemand anderes einen leeren Wasserkanister auf die Flammen. Das stinkt zwar höllisch, habe aber einen Vorteil: „Plastik brennt länger“, so die Erläuterung. Als habe er überhaupt groß eine Wahl.

* Name von der Redaktion geändert.
Tobias Müller berichtet für die woxx vorwiegend aus Belgien und den Niederlanden.

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