Fortsetzung von Esch2022: Es war einmal eine Kulturhauptstadt …

Als das Künstler*innenkollektiv Richtung22 den Kulturbeauftragten der Stadt Esch im Dezember Intransparenz vorwarf, schwiegen sich diese über die Kritik aus. Beziehen sie nach dem Jahreswechsel Stellung? Und wie steht es ums Erbe von Esch2022?

Verpuffen die Kulturprojekte nach Esch2022 wie das Feuerwerk bei der Eröffnungsfeier des Kulturjahres? (Bildquelle: www.mynewsdesk.com/de/esch2022)

An den Tice-Bussen, die täglich durch den Kanton Esch tuckern, prangt immer noch die Aufschrift „Den Tice rullt fir Esch2022“. Im „Aalt Stadhaus“ in Differdingen läuft noch bis zum 4. März die Ausstellung „Esch2022 : Une rétrospective“. Alle paar Wochen erreichen die Kulturredaktionen Mails, in denen von einer feierlichen Fackelübergabe berichtet wird. Auf dem Kalender hingegen ist das Kulturjahr Esch2022 vorbei, jetzt sind Elefsina (Griechenland), Timisoara (Rumänien) und Veszprém (Ungarn) an der Reihe, sich den Titel zu teilen. Trotzdem sind noch Fragen offen, was das Erbe des Kulturjahres im Süden Luxemburgs angeht, besonders was die Gemeinde Esch betrifft. Diese war zuletzt im Dezember für ihre Kulturpolitik ins Kreuzfeuer geraten, hatte sich aber nicht öffentlich dazu geäußert. Jetzt gibt Ralph Waltmans, Direktor kultureller Angelegenheiten der Gemeinde Esch und Vorstandsmitglied der ASBL frEsch, auf erneute Nachfrage der woxx Antworten.

Das Künstler*innenkollektiv Richtung22 hielt den Escher Kulturbeauftragten Ende letzten Jahres finanzielle Intransparenz, leere Versprechungen und die Verjagung lokaler Projektträger*innen vor. Die woxx berichtete. Aus Esch hieß es damals, bis zur Verabschiedung des Gemeindebudgets 2023 könne man zu nichts Auskunft geben. Richtung22 wurde mitgeteilt, es sei erst Ende Januar mit weiteren Informationen zu rechnen. Das Gemeindebudget wurde schließlich vor dem Jahreswechsel mit zehn „Ja“-Stimmen verabschiedet, sieben Gemeinderät*innen stimmten dagegen. Fast 19 Millionen kommen 2023 dem Bereich „Culture et fêtes publiques“ zugute, der Großteil davon der Sanierung von Gebäuden oder der Errichtung neuer Institutionen, wie etwa einem nationalen Sportmuseum. Neue Konventionen mit Kulturakteur*innen sind in dem Budget nicht vorgesehen, bis auf die erstmalige finanzielle Unterstützung des Luxembourg Open Air Festival (LOA), das Teil der Esch2022-Programmation war. Die Gemeinde Esch beteiligt sich dieses Jahr mit 117.000 Euro an dem elektronischen Musikfestival, das im Mai auf Belval steigt.

„Niemand hat ausdrücklich eine Konvention mit der Gemeinde beantragt, sondern nur Gelder für 2023, teilweise auch darüber hinaus.“

Bestehende Abkommen werden teilweise erhöht, darunter auch das mit frEsch. Die ASBL hat die Umsetzung des Escher Kulturplans (Connexions 2.0) zum Ziel und verwaltet die Finanzen des Bâtiment 4, des Bridderhaus und der Konschthal sowie der „Nuit de la culture“ und der „Francofolies“. Der Kulturschöffe Pim Knaff (DP) präsidiert sie seit ihrer Gründung 2020. frEsch erhält dieses Jahr 4 Millionen Euro aus der Gemeindekasse zur Deckung von Personalkosten und der Umsetzung des Kulturplans. Obendrauf kommen 500.000 Euro durch eine Konvention mit dem Kulturministerium. Richtung22 moniert derweil die finanzielle Intransparenz der ASBL. Im „Registre de commerce et des sociétés“ ist de facto keine Jahresbilanz hinterlegt. Die woxx forderte das Dokument zweimal erfolglos bei den Verantwortlichen an. Die rezente Begründung: Die Jahresbilanz müsse im Zuge der Generalversammlung validiert werden und würde anschließend publiziert.

Richtung22 kritisierte im Dezember unter anderem, dass frEsch die halbe Million des Kulturministeriums nicht zur Förderung der Kulturschaffenden, sondern für Umbauarbeiten des Bâtiment 4, des Bridderhaus und der Konschthal nutze. Noch dazu fließe nur eine Hälfte dieser Gelder in die Sanierung, der Rest versinke „in den Abgründen der ASBL“ und Esch selbst gebe „keinen Cent für die Künstler*innen“ aus. Ralph Waltmans versucht in einer Mail an die woxx für Klarheit zu sorgen, bestätigt mit seinen Aussagen aber am Ende nur die Befürchtungen des Kollektivs: Die Zuschüsse, die frEsch dieses Jahr vom Kulturministerium erhält, werden in den laufenden Betrieb des Bâtiment 4, des Bridderhaus und der Konschthal investiert. Waltmans betont in seinem Schreiben, die Konvention mit dem Kulturministerium sei noch nicht unterzeichnet. Faktisch gesehen gibt es keinen Grund zu Annahme, dass der Deal platzt: Zum einen bestätigte das Kulturministerium der woxx bereits Ende 2022, dass ein entsprechendes Abkommen mit frEsch auf dem Tisch liege, zum anderen schrieb Kulturministerin Sam Tanson (Déi Gréng) rezent in ihrer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage ihrer Parteikollegin Djuna Bernard zum Erbe von Esch2022: „(…) Le Bâtiment 4, la Konschthal, le Bridderhaus, ou encore la nouvelle salle de théâtre au sein de l’Ariston continueront à être soutenus du côté ministériel par le biais de nouvelles conventions (frEsch asbl).“

Waltmans rechtfertigt die Nutzung der Gelder, neben der Absprache mit dem Kulturministerium, auch mit den individuellen Konventionen, die die Kulturakteur*innen mit dem Staat abgeschlossen hätten. „Uns wurde erklärt, dass die Projektträger, die eine post-2022-Finanzierung beantragt haben, eine Konvention in Höhe von über 150.000 Euro mit dem Kulturministerium vereinbart haben“, schreibt Waltmans. Das trifft auch auf Richtung22 zu. Der Escher Kulturbeauftragte unterstreicht im Anschluss erneut, dass die halbe Million, die das Kulturministerium in frEsch steckt, demnach allein der Aufrechterhaltung der drei zuvor genannten Institutionen zustehe. Die Gelder würden nicht für die Leuchtturmprojekte der Stadt, die „Nuit de la culture“ und das Festival „Francofolies“, genutzt. Zwar hätten die Kulturverantwortlichen der Stadt Esch finanzielle Unterstützung für diese Veranstaltungen beim Kulturministerium beantragt, dem sei jedoch nicht stattgegeben worden.

Die genannten Großveranstaltungen sollen in den kommenden Jahren zum kulturellen Höhepunkt der Escher Gemeinde werden. Im Gemeindebudget sind für die „Nuit de la culture“ 1,9 Millionen vorgesehen, für die „Francofolies“ sind es 1,6 Millionen. Hinzu kommen voraussichtlich Personal- und Mietkosten aus dem Budget von frEsch, die in die Events eingebunden ist. Richtung22 schätzt, dass am Ende allein in die „Nuit de la culture“, die im September 2023 in einer kleineren Ausgabe stattfinden soll, über 3 Millionen fließen. Die Kunst komme hauptsächlich von der französischen Kompanie „La Machine“ anstelle von lokalen Akteur*innen. Das Kollektiv findet es absurd, dass ausgerechnet die lokalen Projekte von der Presse und Esch2022 als Höhepunkt des Kulturjahres gelobt worden seien. „Und jetzt drohen genau diese Projekte nicht weitergeführt zu werden und ins Wasser zu fallen“, warnte Richtung22 deshalb 2022. Es ist tatsächlich auffällig, dass die Gemeinde in ihrem Jahresbudget auf den Erhalt von Konventionen setzt, statt nach Esch2022 neue Kulturakteur*innen an Land zu ziehen.

Foto: Ville d’Esch

Im September letzten Jahres hatte sich Richtung22 eigener Aussage nach mit Ralph Waltmans und Pim Knaff getroffen, um über eine mögliche Konvention mit der Gemeinde Esch zu verhandeln. Richtung22 forderte einen Zuschuss von 175.000 Euro, um die eigenen Aktivitäten weiterzuführen. Den Künstler*innen soll in dieser Versammlung versichert worden sein, dass es mehrere Optionen zur finanziellen Unterstützung gebe. Die beantragte Summe sei hoch, aber berechtigt und eine Bewilligung nicht unmöglich. Anschließend geriet das Dossier ins Stocken, mit der Begründung des unklaren Gemeindebudgets. Waltmans schildert die Situation der woxx gegenüber anders: „Niemand hat ausdrücklich eine Konvention mit der Gemeinde beantragt, sondern nur Gelder für 2023, teilweise auch darüber hinaus.“ Eine Konvention mit der Gemeinde abzuschließen, sei eine langwierige Prozedur. Die Idee, dieses Jahr zunächst Konventionen über frEsch abzuschließen, sei „im Inte-
resse der Kreativen, um ihnen schnell entgegenzukommen.“ Es sei nicht ausgeschlossen, dass langfristig individuelle Konventionen mit der Gemeinde daraus hervorgehen könnten.

Für neue Akteur*innen auf dem Terrain heißt es demnach: abwarten. Dass die Situation für alteingesessene Kulturorganisationen entspannter ist, lässt Jill Christophe von „Independent Little Lies“ (ILL) im Gespräch mit der woxx durchblicken. Das ILL sei schon lange in Esch verankert, die bestehende Konvention mit der Escher Gemeinde sei 2023 sogar erhöht worden. Das Kollektiv erhält dieses Jahr 120.000 Euro von der Escher Gemeinde, was einem Anstieg um 10.000 Euro entspricht. Auch das nationale kulturelle Exportbüro Kultur | lx wird höher bezuschusst, genau wie die Escher Kulturfabrik oder die bereits genannte ASBL frEsch. Die Situation neuer Kulturakteur*innen, die sich erst im Zuge von Esch2022 in Esch engagiert hätten, sei hingegen schwieriger, so Christophe.

Richtung22 zog schon im Dezember daraus seine Schlussfolgerung: „Es ist eine Lüge zu behaupten, das Kulturjahr sei nachhaltig, denn durch die bestehenden Umstände treibt es die Kulturschaffenden auf lange Sicht aus der Region. Es entwickelt sich zum feindlichen Terrain.“ Doch was tut die Escher Gemeinde, um dies zu verhindern? Oder anders gefragt: Was ist der konkrete Plan, um lokale Kulturakteur*innen allgemein über Esch2022 hinaus zu unterstützen? Waltmans antwortet mit Auszügen aus Connexions 2.0 auf diese Frage, wie auch der Schöffenrat im Zuge seiner Bilanz zu Esch2022: Unter dem Punkt „L’après Esch2022 et prévisions“ wurde aus dem städtischen Kulturplan zitiert, der die Route für die Escher Kulturentwicklung bis 2027 markiert. In der Pressemitteilung zur Esch2022-Bilanz werden fünf Zielsetzungen daraus hervorgehoben, nur eine der genannten Maßnahmen wirkt sich unmittelbar auf den Alltag der Kunstschaffenden aus. Darunter fällt beispielsweise die präzise Definition des Kunstschaffens, seiner optimalen Rahmenbedingungen, der Erarbeitung von Unterstützungsmöglichkeiten und deren Umsetzung.

Waltmans erwähnt in seinem Schreiben drei Etappen, nach denen der Plan strukturiert ist. Aktuell befinde man sich in der dritten und somit in der vorläufigen Schlussphase: „prendre de la distance, apprendre, pérenniser“. Derzeit arbeite eine „Task Force“ an der Ausführung der überarbeiteten Version des Connexions 2.0, die im Oktober verabschiedet wurde. Die Einsatzgruppe besteht aus der städtischen Kulturabteilung, dem Conseil de gouvernance culturel (CG) der Stadt Esch und internationalen Expert*innen. Der CG setzt sich dauerhaft aus Vertreter*innen der Escher Kulturszene, Mitarbeiter*innen des städtischen „service culturel“ sowie aus Vertreter*innen der Kulturkommission und dem*der amtierende*n Kulturschöff*in zusammen. Organisationsmitglieder von Esch2022 ergänzen den Rat noch mindestens bis zum Jahresende. Auch freischaffende Künstler*innen können dem CG auf Anfrage beitreten.

Die Idee, dieses Jahr zunächst Konventionen über frEsch abzuschließen, sei „im Interesse der Kreativen, um ihnen schnell entgegenzukommen.“

Die Einsatzgruppe bemühe sich derzeit alle nötigen Informationen der Esch2022-Projektträger*innen ein-
zuholen, die ihre Arbeit weiterführen möchten. Insgesamt sind hierfür 250.000 Euro vorgesehen. „Darüber hinaus können sich Interessenten weiterhin bei der Nuit de la culture einbringen, wodurch punktuelle Projekte mitfinanziert werden können“, so Waltmans. Bisher lägen elf Anträge vor; wie viele am Ende zurückbehalten werden, kann Waltmans zu diesem Zeitpunkt nicht abschätzen. Das hänge mit der endgültigen Bewerbungsanzahl, den eingeforderten Budgets und nicht zuletzt von der Entscheidung der Jury ab. Diese steht noch nicht, soll jedoch ausschließlich aus externen, unabhängigen Expert*innen bestehen. Mögliche Namen nennt Waltmans nicht, die Jurymitglieder sollen auf Empfehlung des CG anonym bleiben. Diese Jury trifft eine Vorauswahl, die sie dem CG präsentiert „qui choisira lesquels seront pérennisés en 2023 et potentiellement à plus long terme“, wie es im Kulturentwicklungsplan steht. Wie unabhängig das Auswahlverfahren demnach sein wird, sei dahingestellt – immerhin sitzen im CG zahlreiche Vertreter*innen der Gemeinde, die klare Ziele verfolgt.

Das zeigt sich bei den Kriterien, nach denen potenzielle Projekte ausgewählt werden sollen: „La ville soutient les projets qui (…) la portent. Le projet doit donc bénéficier (…) à la ville et à son développement. Une bonne connaissance d’Esch, de ses atouts mais aussi de ses faiblesses sont des prérequis essentiels pour une proposition (…) adaptée à la ville.“ Ferner wird auf die Leitsätze aus Connexions 2.0 verwiesen, nach denen die Kulturszene die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt unterstützen sowie das Image von Esch „à l’extérieur et aux yeux des eschois-es“ aufwerten soll. Ob gesellschaftskritische Kunst wie etwa die von Richtung22 dem gerecht wird? Das Kollektiv besetzte im Zuge von Esch2022 unter anderem die Escher Place de la Résistance und prangerte in seinen Produktionen die Gentrifizierung der Stadt an. Generell erinnern die Auswahlkriterien an die Einbindung der luxemburgischen Kulturszene bei der Weltausstellung in Dubai (2021-2022) und verleitet erneut zur Diskussion über die Instrumentalisierung von Kultur durch Wirtschaft und Politik.

Auf dem Papier war die Auswahlprozedur ab Oktober 2022 angedacht. Heute geht Waltmans von Mitte März aus. „Um allen Projektträgern die Chance zu geben in Ruhe ein komplettes Dossier einzureichen, haben wir noch keine genaue Abgabefrist kommuniziert“, erklärt er. „Wir stehen im individuellen Austausch mit den Interessenten. Viele von ihnen haben das Projekt Esch2022 noch nicht abgeschlossen, da wollen wir sie nicht noch zusätzlich unter Druck setzen.“ Für Richtung22, das nach Eigenangabe noch mit der kleinteiligen und zeitraubenden Bilanzierung des Kulturjahres beschäftigt ist, dürfte das nur ein schwacher Trost sein.

Das Kollektiv bestätigt der woxx gegenüber den Kontakt zu den Kulturbeauftragten der Stadt Esch. Richtung22 sei eine „Carte blanche“ in Aussicht gestellt worden, auf die es sich bewerben könne. Die Höhe der Fördergelder sei jedoch unklar, genauso wie die Abgabefrist. Richtung22 fiele es deswegen schwer, langfristig weitere Projekte zu planen. Neben der Unsicherheit in Bezug auf die Fördergelder, hänge ein weiteres Damoklesschwert über ihnen: die Zukunft des Bâtiment4, in dem das Kollektiv ansässig ist. Arcelor Mittal hatte Esch das Gebäude 2020 für drei Jahre zur Verfügung gestellt, der Mietvertrag läuft Ende Mai aus. Waltmans gibt hier zumindest kurzfristig Entwarnung, auch wenn diese aufgrund fehlender Verträge mit Vorsicht zu genießen ist: „Wir haben eine mündliche Zusage von Arcelor Mittal, dass der Mietvertrag um ein Jahr verlängert wird, um allen betroffenen Parteien mehr Zeit zu geben, über die langfristige Nutzung des Gebäudes zu verhandeln.“


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