Fotoausstellung: Iran zwischen den Zeiten

Das Wort „Iran“ weckt zuverlässig viele Assoziationen. Vielleicht schließen Sie einmal kurz die Augen und schauen, welche Bilder hochkommen? Oder Sie besuchen die Fotoausstellung „Iran Between Times“ im Musée national d’histoire et d’art.

Isfahan: Der Fluss an der berühmten Si-o-Se-Brücke liegt trocken. Das Wasser wurde für die Landwirtschaft abgezweigt.

Der österreichische Fotograf Alfred Seiland hat den Iran 2017 und 2019 bereist und mit seinem ganz eigenen Blick betrachtet. 2014 war er im Musée national d‘histoire et d‘art (MNHA) bereits mit dem Projekt „Imperium Romanum“ zu sehen. Dabei regte er anhand großformatiger Fotografien der heutigen Ruinenstätten des ehemaligen Römischen Reiches die Besucher*innen dazu an, über die Verflechtungen zwischen Antike und Moderne und deren Bedeutung nachzudenken. In seiner kürzlich erneut im MNHA eröffneten Ausstellung „Iran zwischen den Zeiten“ knüpft Seiland wieder an die Idee des Zusammenspiels von Vergangenheit und Gegenwart an.

Bei seinen Reisen faszinierte ihn das Interagieren der Menschen mit ihrem reichen historischen Erbe. „Hochkulturen hinterlassen ja meistens nicht nur sichtbare Denkmäler, sondern man spürt es sehr oft indirekt auch bei den Menschen. Die Iraner sind trotz der steigenden Armut durchaus gebildet und sehr stolz auf ihre Geschichte“, sagte er 2020 in einem Interview mit dem MNHA. Die Ausstellung zeigt erstmalig eine Auswahl von 60 seiner Fotos aus fast allen Regionen dieses riesigen Landes. Mit Ausnahme von vier Innenansichten dominiert aber der Blick von außen auf Landschaft und Gebäude.

In seinen Landschaftsbildern, welche die komplexe Geschichte des Irans illustrieren, finden sich fast immer auch Menschen, die sich in unverfälschten Alltagsmomenten befinden. Im Gegenteil zum Klischee bedrohlich radikalisierter Menschenmassen auf Demonstrationen, das die Medien oft transportieren, empfindet man hier als Betrachter*in oft die Einsamkeit des Individuums – gegenüber einem meist unsichtbaren Regime. So bei der wohl faszinierendsten Aufnahme eines abendlichen Motorradfahrers in einer zerstörten Wüstenstadt aus Lehmbauten. Das Licht seiner Lampe beleuchtet eine Hausecke, die durch Stützpfosten vor dem Umfallen bewahrt werden soll. Die Szene wirkt surreal, selbst wenn man den „Arg“ der Stadt Bam erkennt. Das Bauwerk ist schon seit Jahrhunderten nicht mehr belebt, existierte aber als sanierte Altstadt neben der modernen Stadt als eine Touristenattraktion weiter, bevor sie 2003 durch ein verheerendes Erdbeben zerstört wurde. Der Mann ist aber eben nicht ein Dorfbewohner, der abends in eine prekäre Wohnsituation heimkehrt, sondern wohl eher ein Aufsichtsbeamter, der checkt, ob sich vor dem Schließen der Tore noch Besucher*innen auf dem Gelände befinden.

Ganz ähnlich beim ebenso surrealen Bild eines Fußballtores mitten in der Wüste. Weiß man nicht, dass Shahdad in der Wüste Dascht-e Lut ein beliebtes Ausflugsziel von Bustouren für junge Leute ist, die den Kontaktbeschränkungen des Regimes für unverheiratete junge Leute entkommen wollen, würde man denken, dass sich hinter der Kamera ein Dorf befindet. Dem ist aber nicht so. Die Ausstellung verlangt von den Besucher*innen, den sehr guten Prospekt zur Hand zu nehmen und zu vielen Bildern die Beschreibung zu lesen, ohne die deren Aussage nicht verständlich wäre. In diesem speziellen Fall versagt der Paratext freilich, weil er auf die politische Ebene abhebt: Hinter der bizarren Poesie der Szene wird nicht dieser versteckte Hintergrund verstanden, sondern abgehoben auf den Profifußball der Großstädte und die in Stadien geltenden Restriktionen bezüglich der Beteiligung von Frauen. Ein delikates und politisch aufgeladenes Thema, welches in westlichen Medien gerne aufgegriffen wird, um ein vorgeprägtes Bild des Regimes zu bestätigen.

Entgegen der Klischees

Ein Bauer kehrt vom Feld zurück? Nein: ein Beamter kurz vor Dienstschluss …

Bei wohl kaum einem anderen Land ist der Unterschied zwischen dem oft stereotypen Blick von außen und der Realität vor Ort so eklatant groß, wie im Falle dieser Regionalmacht und uralten Hochkultur. Seit dem Sturz des Schahs 1979 und der Etablierung einer islamischen Republik hat sich außerhalb des Landes ein Bild ausgeprägt, das von radikalen, finster durch ihren Vollbart blickenden Mullahs, unterdrückten und gesichtslosen Frauen im schwarzen Tschador, einer anfangs durchaus bewunderten Abkehr vom amerikagläubigen Kapitalismus und Imperialismus, sowie Krieg und aggressivem außenpolitischen Gebaren geprägt ist. „Mit seinem Projekt über den Iran verhilft der Fotograf den Betrachter*innen zu neuen Denkanstößen und fordert sie dazu auf, das von westlichen Medien leider noch oft von Vorurteilen und Klischees belastete Bild des ehemaligen persischen Reiches zu hinterfragen“, so Lis Hausemer, Assistentin des Kurators Ruud Priem.

Kein einziges Bild zeigt oder suggeriert die Unterdrückung der weiblichen Selbstbestimmung. Dazu muss Seiland nicht wirklich etwas ausblenden, im Gegenteil. Er zeigt sich fasziniert von Frauen, die Stärke ausstrahlen. In der Nasir al-Molk Moschee von Schiraz steht eine junge, barfüßige Frau, die in einer befreienden Geste ein sie weiß umhüllendes, durchsichtiges Tuch vor dem Hintergrund bunter Glasfenster hebt. Ähnlich wirken zwei Schönheiten, die vor der Palastanlage von Persepolis voller Selbstvertrauen für ein Selfie posieren. Und bei genauer Betrachtung der einzigen arrangierten Aufnahme – sie zeigt eine Großfamilie auf dem heimischen Sofa – wirkt das Geschlechterverhältnis ausgeglichen. Szenen mit Männern zeigen diese eher als Opfer schwieriger ökonomischer Bedingungen. Der hohe Wert der Familie für das Individuum wurde durch das Regime noch verstärkt.

Häufige weitere Motive, die zum Teil als Serie nebeneinander, zum Teil auf verschiedensten Aufnahmen erscheinen, sind Schauplätze des achtjährigen Kriegs gegen den Irak, der riesige Märtyrerfriedhof „Behescht-e Zahra“, der mit über 1,3 Millionen Bestatteten der größte Friedhof des Irans ist, und die seit der Revolution nach der Besetzung leerstehende US-Botschaft. Abgesehen von letzteren wird bei diesen Bildern häufig auch der Blick auf die dort agierenden Menschen gelenkt, insbesondere auf Familien bei Freizeitaktivitäten und Händler*innen in prekärer Selbstständigkeit, die ihnen etwas verkaufen wollen. Oft finden sich diese Szenen in der Nähe von Gewässern, die in einem Wüstenland sehr anziehend sind: Tretboote oder ein improvisierter Tee- und Kaffeestand am Ufer eines Flusses.

Die zum Teil ergreifend schönen Fotos, auch von Straßen- oder Basarszenen zeigen viele Aspekte des heutigen Lebens vor einem meist grandiosen landschaftlichen oder historischen Hintergrund. Aber insgesamt wirkt die Serie unvollendet. Es fehlt nicht nur das Leben im Innenraum, sondern auch das bäuerliche Leben, wie das Gedränge im Zentrum der Metropolen. Teheran wird nur als wuchernde Stadt aus der Aufsicht eines Turmes oder einer Seilbahnstation gezeigt. Wie wirken diese Einblicke, wenn man das Land nicht kennt?

Schwer wiegt, dass das eigentliche privat-kulturelle Leben in der Fixierung Seilands auf Monumente kein authentisches Bild des wahren Lebens zeigt, oder dieses zumindest recht stark verzerrt. Zumal sich die Menschen – wie so oft in Diktaturen – in den sicheren privaten Raum zurückziehen und dort doch recht frei von den aufoktroyierten Dogmen wenn auch nicht entfalten, so doch zurückziehen können. Zur Ausstellung sind komplementär sechs Begleitveranstaltungen geplant, unter anderem Vorträge und ein Tag der Offenen Tür am 12. März, an dem Aktivitäten wie ein Kalligraphie-Workshop, musikalische Darbietungen, Tanzvorführungen und persische Gerichte geboten werden.

Während des Rundgangs begleitet eine Verantwortliche des MNHA eine iranische Familie und spricht über das Begleitprogramm. Man habe kaum Kontakt zur hiesigen Community, sagt sie und ist froh, als ihr der Mann versichert, man werde etwas auf die Beine stellen, „as ambassadors of our culture“. Auf die Frage nach der bisherigen Resonanz merkt die iranischstämmige Aufsicht an, dass manche Besucher*innen enttäuscht seien. Sie hätten sich „schönere“ Bilder erwartet. Das war freilich nicht das Ansinnen von Seiland. Die Ausstellung entstand schließlich nicht im Auftrag des iranischen Tourismusministeriums.

Iran Between Times. Bis zum 11. September im Musée national d’histoire et d’art.

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