Gentechnik-Urteil: Mutierte Ausnahme

Ein neues Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) klärt Ausnahmeregelungen für bestimmte gentechnische Verfahren. Die komplexe Regelung sorgt für Aufregung.

Der EuGH erlaubte am 7. Februar gewisse Ausnahmen in der Gentechnik-Richtlinie der EU. (Foto: CC BY-SA 4.0 Luxofluxo/Wikimedia)

Am 7. Februar urteilte der EuGH, dass Organismen, die durch zufällige in-vitro Mutagenese gewonnen werden, einer Ausnahmeregelung unterliegen. Sie müssen nicht wie andere gentechnisch veränderte Organismen (GVO) genehmigt und gekennzeichnet werden. Eine generelle Ausnahme für alle Organismen, die mittels Mutagenese gewonnen werden, verweigerte das Gericht jedoch.

Die Sache ist genauso kompliziert, wie sie klingt. Eigentlich unterliegen sämtliche GVO einer EU-Richtlinie von 2001, die festlegt, unter welchen Bedingungen sie freigesetzt oder auf den Markt gebracht werden können. Ausnahmen gibt es jedoch für manche Verfahren, die schon wesentlich länger eingesetzt werden. Eins dieser Verfahren ist die Mutagenese, die seit den 1950er-Jahren angewandt wird: Mithilfe von Strahlung oder Chemikalien werden bei Pflanzensamen Mutationen im Erbgut angeregt. Entstehen dabei Pflanzen, die gewünschte Eigenschaften haben, werden diese mittels konventioneller Zuchtmethoden weitergezüchtet.

Neuere gentechnische Verfahren wie etwa die sogenannte „Genschere“ CRISPR/Cas werden als „ortsspezifische Mutagenese“ bezeichnet. In einem Urteil von 2018 entschied der EuGH, dass die Ausnahmeregelung bei Organismen, die mit dieser Technik entstehen, nicht gilt. Nur Mutagenese-Techniken, die „traditionell für verschiedene Anwendungen eingesetzt werden und deren Sicherheit seit langem nachgewiesen ist“, könnten von der Ausnahmeregelung profitieren.

Das Urteil ging auf eine Klage der französischen Landwirtschaftsvereinigung Confédération paysanne (CP) zurück. Der französische Staatsrat interpretierte das Urteil so, dass keine Mutagenese-Technik, die nach Inkrafttreten der Gentechnik-Richtlinie entwickelt wurde, unter die Ausnahme fallen würde. Er trug der Regierung auf, diese GVO zu regulieren. Dementsprechende Gesetzesentwürfe wurden zwar ausgearbeitet, jedoch nie rechtskräftig. Die CP und acht andere Umweltverbände klagten abermals, der Staatsrat bat den EuGH um ein Urteil.

Traditionelle Gentechnik

Spezifisch ging es um die in-vitro Mutagenese, bei der nicht das Erbgut einer ganzen Pflanze oder eines Samens (in-vivo) verändert wird, sondern lediglich das einer Pflanzenzelle. Der EuGH entschied nun, dass die Ausnahme nur dann nicht gelte, wenn man nachweisen kann, dass die Genveränderungen sich von denen der herkömmlichen Mutagenese unterscheiden. Eine Unterscheidung zwischen in-vitro und in-vivo ist laut dem EuGH nicht angebracht. Eine allgemeine Ausnahme wäre jedoch nicht im Sinne des EU-Rechts, das Mensch und Umwelt vor unerwünschten Auswirkungen von GVO schützen soll.

Die CP ist erbost: Der EuGH habe vor multinationalen Saatgutkonzernen und der EU-Kommission „kapituliert“, heißt es in einer Pressemitteilung vom Mittwoch. Da die Verfahren zur in-vitro Mutagenese patentierbar seien, handele es sich ganz klar nicht um „traditionelle“ Verfahren und sie produzierten GVO im Sinne der EU-Richtlinie. Die CP kündigte an, erneut beim französischen Staatsrat Klage einzureichen. Derweil plant die EU-Kommission eine neue Regulierung sogenannter neuer gentechnischer Verfahren. Ein Vorschlag, der auch Regeln zur gerichteten, also nicht zufälligen Mutagenese enthalten soll, wird voraussichtlich Ende des ersten Quartals 2023 präsentiert.


Cet article vous a plu ?
Nous offrons gratuitement nos articles avec leur regard résolument écologique, féministe et progressiste sur le monde. Sans pub ni offre premium ou paywall. Nous avons en effet la conviction que l’accès à l’information doit rester libre. Afin de pouvoir garantir qu’à l’avenir nos articles seront accessibles à quiconque s’y intéresse, nous avons besoin de votre soutien – à travers un abonnement ou un don : woxx.lu/support.

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Wir stellen unsere Artikel mit unserem einzigartigen, ökologischen, feministischen, gesellschaftskritischen und linkem Blick auf die Welt allen kostenlos zur Verfügung – ohne Werbung, ohne „Plus“-, „Premium“-Angebot oder eine Paywall. Denn wir sind der Meinung, dass der Zugang zu Informationen frei sein sollte. Um das auch in Zukunft gewährleisten zu können, benötigen wir Ihre Unterstützung; mit einem Abonnement oder einer Spende: woxx.lu/support.
Tagged .Speichere in deinen Favoriten diesen permalink.

Kommentare sind geschlossen.