Großdemo bei Lützerath: Auch friedlicher Protest

Während am Wochenende in Lützerath die letzten Aktivist*innen geräumt wurden, versammelten sich geschätzte 35.000 Menschen nicht weit davon entfernt bei dem von RWE Power betriebenen Braunkohle-Tagebau Garzweiler, um für Klimaschutz zu demonstrieren. Die woxx war vor Ort, um sich ein Bild zu machen.

Am Aachener Hauptbahnhof bekommt man am Samstag Morgen einen ersten Eindruck der vielen Menschen, die an der Demonstration  bei Lützerath teilnehmen wollen: Kurz vor zehn Uhr stehen vor dem Gebäude mehrere Aktivist*innen-Gruppen – an selbstgebastelten Schildern und wasserfester Kleidung gut erkennbar.

Der Zug, der um 10:20 Uhr zum 40 Minuten entfernten Bahnhof in Erkelenz fährt, ist bis auf den letzten Platz besetzt. War es vor der Abfahrt noch trocken, so fängt im Laufe der Fahrt der Regen an, sich zu dem ohnehin schon starken Wind zu gesellen. Die App, die genau dieses Wetter für den gesamten Tag voraussagt hat, scheinen längst nicht alle Demonstrant*innen zur Kenntnis genommen zu haben : Manche tragen Allstars, andere kapuzenlose Lederjacken. Auch K-Way- oder Skihosen tragen längst nicht alle.

Bereits am Bahnhof in Erkelenz wird die optimistische Kleiderwahl auf die Probe gestellt: Von den auf der Internetseite alle-doerfer-bleiben.de angekündigten Shuttlebussen fehlt um 11 Uhr jede Spur. Bis nach Keyenberg, also jenem Ort an dem der Demozug um 12 Uhr losgehen soll, sind es 10 Kilometer, zusammen mit den hunderten weiteren Demonstrant*innen vor dem Bahnhof in Erkelenz abzuwarten, erscheint da zunächst wie die bessere Alternative.

Die Shuttlebusse kommen dann auch irgendwann, es sind deren allerdings nur drei. Und so hat sich nach einer Stunde Wartezeit die mittlerweile völlig durchnässte Menschenmasse vor dem Erkelenzer Bahnhof nur unwesentlich reduziert. Um 12:15 dann die Ansage durchs Megafon: Die Busse stünden im Stau, einer sei ausgefallen, es werde dazu geraten, sich zu Fuß nach Keyenberg zu begeben. Wenn man schnell gehe, sei das Dorf innerhalb einer Stunde zu erreichen. Nicht wissend, ob an der Landstraße ein Gehweg entlang geht, zögern viele Demonstrant*innen zunächst. Nach und nach schlagen jedoch immer mehr den Fußweg nach Keyenberg ein.

Kurz vor 14 Uhr ist das vorläufige Ziel, eine Bühne, auf welcher gerade der Rapper Conny zu hören ist, von weitem zu sehen. Ein Mann schreit den Vorbeiziehenden aus seinem Vorgarten zu, dass der Zug, mit dem sie angereist seien, doch auch Energie verbrauche. Die Laune verdirbt er den Adressat*innen seines Ärgers damit aber allen Anscheins nicht.

Je näher man an die Bühne gelangt, die genau zwischen Keyenberg und Lützerath aufgebaut wurde, desto deutlicher werden die Dimensionen dieses Geländes, das vertraglich dem Energiekonzern RWE gehört. Vom Tagebau selbst ist zunächst noch überhaupt nichts zu sehen: So weit das Auge reicht nur Wiesen und Schlamm. Von allen Seiten strömen Menschen über die wenigen Asphalt- oder Sandwege: zur Bühne hin, von der Bühne weg, in alle Himmelsrichtungen, immer wieder muss Platz gemacht werden für anfahrende Krankenwagen.

Als kurz nach 14 Uhr die Klimaaktivistin Greta Thunberg angekündigt wird, wird die Menschenansammlung vor der Bühne noch etwas dichter. Aktuellen Schätzen zufolge, so Thunbergs erste Worte an die jubelnden Massen, befänden sich zurzeit rund 35.000 Demonstrant*innen auf dem Gelände. „This is unbelievable“, ruft sie ins Mikrofon. „A very special thank you to everyone for being here today. You are the change and you are the hope.“ In ihrer fünfminütigen Rede spricht die schwedische Aktivistin über die Gründe, um gegen den Abriss von Lützerath zu demonstrieren. „The science is very clear: The carbon needs to stay in the ground. We need to stop the current destruction of our planet and sacrificing people to benefit the short term economic growth and corporate greed.“

Etwa 250 Meter von der Bühne entfernt, wird das, wovon Thunberg spricht, greifbar. Der 40 Meter tiefe Tagebau ist so groß, dass man von einem Ende nicht bis zum nächsten sieht: 48 Quadratkilometer. An der Abrisskante stehen Menschen, um sich das Ganze anzuschauen. Der riesige Schaufelradbagger am Boden des Kraters wird von ein paar Dutzend Menschen mit gelben Westen bewacht. Was sie genau ausrichten sollen, sollten die Demonstrant*innen beginnen, den Tagebau zu stürmen, ist unklar.

Am Abend wird es in Medienberichten heißen, einige Demonstrant*innen hätten sich in Lebensgefahr begeben, indem sie bis auf wenige Zentimeter an die Abbruchkante herantraten. An jenem Nachmittag ist die Stimmung jedoch gelassen: Der Fokus liegt einzig darauf, sich ein Bild von der Zerstörung zu machen, nicht, durch ein Herantreten an die Kante bewusst zu provozieren. Ohnehin darf man nie zu lange auf der Stelle stehen bleiben: Ansonsten droht man im Matsch zu versinken. Dennoch hätte der völlig durchweichte Boden durchaus abbrechen und dabei jemand zu Schaden kommen können – schleierhaft also, weshalb die Kante nicht abgesichert war.

Abgesehen von der Bühne und dem Tagebau gibt es auf dem Gelände wenige Anhaltspunkte. In welche Richtung genau Lützerath liegt, lässt sich zunächst nur per Online-Kartendienst herauszufinden. Ist man aber erst mal ein paar hundert Meter in diese Richtung gelaufen, erkennt man zunehmend an den vielen Polizist*innen, dass man sich an den Rand des begehbaren Territoriums bewegt.

Gegen 16 Uhr bilden ein paar Dutzend eine Menschenkette vor den Barrikaden der Polizei. Von einem Demozug, der sich von dort aus in einer koordinierten Aktion nach Lützerath bewegt – wie im Nachhinein von der Polizei beschrieben – ist weit und breit nichts zu erkennen und das wird auch für den Rest des Nachmittags so bleiben. Vielmehr spazieren tausende Menschen über das Gelände, immer wieder ändern Polizist*innen ihre Position; dass sie damit auf die Demonstrant*innen reagieren, ist allerdings nicht erkennbar.

Später wird es im Podcast „Themen des Tages“ des NDR heißen, die gemäßigteren Demonstrant*inne, „die einfach mal in Anführungszeichen gucken wollten“, hätten sich bereits am späten Nachmittag auf den Nachhauseweg begeben. Diese Menschen jedoch auf Schaulustige zu reduzieren, geht an der Realität vorbei: Von den Barrikaden der Polizei bis zum Bahnhof in Erkelenz sind es mehr als eineinhalb Stunden Fußweg. Wer also das nächstgelegene Dorf erreichen wollte, bevor es dunkel wurde, musste spätestens um 16:30 Uhr aufbrechen.

Am Sonntag redet aber schon niemand mehr von diesen tausenden, gemäßigten Demonstrant*innen. Ganz so, als sei Protest nur dann eine Meldung wert, wenn sich mit Videos und Fotos von gewalttätigen Menschen möglichst hohe Klickzahlen generieren lassen. Dabei zählen auch diejenigen, die bereits am späten Nachmittag gingen: Sie zeigen, dass der Protest gegen RWE auf breite gesellschaftliche Zustimmung stößt.


Cet article vous a plu ?
Nous offrons gratuitement nos articles avec leur regard résolument écologique, féministe et progressiste sur le monde. Sans pub ni offre premium ou paywall. Nous avons en effet la conviction que l’accès à l’information doit rester libre. Afin de pouvoir garantir qu’à l’avenir nos articles seront accessibles à quiconque s’y intéresse, nous avons besoin de votre soutien – à travers un abonnement ou un don : woxx.lu/support.

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Wir stellen unsere Artikel mit unserem einzigartigen, ökologischen, feministischen, gesellschaftskritischen und linkem Blick auf die Welt allen kostenlos zur Verfügung – ohne Werbung, ohne „Plus“-, „Premium“-Angebot oder eine Paywall. Denn wir sind der Meinung, dass der Zugang zu Informationen frei sein sollte. Um das auch in Zukunft gewährleisten zu können, benötigen wir Ihre Unterstützung; mit einem Abonnement oder einer Spende: woxx.lu/support.
Tagged , , .Speichere in deinen Favoriten diesen permalink.

Kommentare sind geschlossen.