Homo- und Trans*phobie: Die Grenzen der Akzeptanz

2002 wurde das Cigale von Rosa Lëtzebuerg asbl ins Leben gerufen. Das Zentrum richtet sich an Personen, die bezüglich Geschlecht und sexueller Orientierung Fragen haben oder Hilfestellung benötigen. Im Gespräch mit der woxx erzählt die Soziologin Enrica Pianaro von ihrer Arbeit beim Cigale.

Seit Januar 2016 leistet Enrica Pianaro Sensibilisierungs- und Aufklärungsarbeit beim Cigale. (Fotos: Privat)

Ist Homophobie in Luxemburg noch ein Problem?


Das hängt davon ab, von welcher Art von Homophobie die Rede ist. Im Vergleich zu anderen Ländern existiert in Luxemburg auf gesetzlicher Ebene keine Homophobie mehr. Hierzulande wird ja zum Beispiel niemand wegen seiner sexuellen Orientierung verfolgt. Wenn es aber um latente Homophobie geht, ist die Antwort ganz klar: ja. Es gibt allerdings keinen Datenbestand für Luxemburg in puncto Homophobie, sodass uns nur individuelle Erfahrungsberichte zur Verfügung stehen. Ob ein Gewaltakt homophob motiviert war oder nicht, lässt sich aber oft nicht feststellen. Außerdem stellt es sich auch als sehr schwierig dar, eine Gewalttat als homophoben Akt nachzuweisen. Diskriminierung wird oft nicht als solche wahrgenommen. Den meisten Menschen sind nämlich nur die Formen von Homophobie bekannt, mit denen sie in den Medien konfrontiert werden: Verfolgung und gewalttätige Übergriffe auf der Straße. Dabei gibt es auch implizite Formen von Homophobie.

Auf legaler Ebene ist die Gleichstellung von homosexuellen Menschen hierzulande also gewährleistet?


Was das Ehe- und Adoptionsrecht betrifft, ja. Bei der Procréation médicalement assistée (PMA) allerdings besteht zur Zeit noch keine ausreichende Gesetzesgrundlage. Wenn ein lesbisches Paar ein Kind bekommt, wird, anders als in Belgien beispielsweise, die nicht-biologischen Mutter nicht automatisch gesetzlich als Elternteil anerkannt. Dazu muss sie das Kind erst adoptieren. Es gibt noch andere Mängel auf institutioneller Ebene, weshalb Luxemburg auf einer im Jahr 2016 von der International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (Ilga) veröffentlichten Skala bei 50% liegt.

Besonders was die Rechte von Trans*personen anbelangt, ist noch vieles ungeklärt. Momentan wird über einen Gesetzesvorschlag für die Änderung des Geschlechtseintrags diskutiert.


Genau. Der CSV-Vorschlag sieht vor, dass Trans*personen ihren Geschlechtseintrag ändern lassen können, ohne sich davor einer geschlechtsangleichenden Operation unterzogen haben zu müssen. Die Diskussionen rund um dieses Gesetz sind in letzter Zeit wegen des Gutachtens des Staatsrats wieder intensiver geworden. Laut dem Gesetzesentwurf wären betroffene Personen zwar nicht mehr zu einer Operation gezwungen, müssten aber dennoch ihre Trans*geschlechtlichkeit anhand eines ärztlichen Attests nachweisen. Der Staatsrat kritisiert, dass dadurch immer noch Pathologisierung praktiziert wird. Meiner Meinung nach ist eine Änderung in der Tat sehr wichtig, denn auch bei der Pathologisierung handelt es sich um einen Gewaltakt. Es muss allerdings verhindert werden, dass als Folge einer Depathologisierung zusätzlich eine Entmedikalisierung stattfindet, sodass die Kosten für geschlechtsangleichende Operationen nicht mehr von der Krankenkasse übernommen werden.

Verhindert eine Nicht-Anerkennung und Pathologisierung auf gesetzlicher Ebene letztlich eine wirkliche Akzeptanz innerhalb der Gesellschaft?


Einerseits ist eine gute Gesetzeslage nicht immer ein Garant dafür, dass eine Gesellschaft fortschrittlich ist. Andererseits kann es durchaus Fortschritte ohne gesetzliche Grundlage geben. Das sieht man zum Beispiel an einer Vielzahl von kollektiven und individuellen Initiativen. Die gegenteilige Sichtweise würde den Bemühungen der Menschen, die sich in diesem Feld engagieren, nicht gerecht werden. Gesetze gewährleisten natürlich Schutz und Gewissheit, aber in manchen Fällen ist es wenig sinnvoll, erst auf eine rechtliche Anerkennung zu warten. Um noch einmal auf die PMA zurückzukommen: Es gibt ja durchaus heute schon homosexuelle Paare, die Kinder bekommen, ohne dass es dafür einen gesetzlichen Rahmen gibt. Man darf also nicht aus den Augen verlieren, dass es durchaus Fortschritte ohne entsprechende Gesetze geben kann.

Enrica Pianaro (rechts) und Christa Brömmel (links) auf einer Marche silencieuse anlässlich des Idahot 2016.

Und wie gesagt ist eine progressive Gesetzgebung nicht notwendigerweise ein Garant für gesellschaftliche Akzeptanz.


Aus genau diesem Grund ist eines unserer Hauptanliegen, Personen aller Generationen die eigene Geschichte in Erinnerung zu rufen. Es ist wichtig, Errungenschaften in puncto Frauen- und LGBT*-Rechten nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Immer wieder wird die Notwendigkeit des Gaymat, also des alljährlichen Gay Pride in Luxemburg, in Zweifel gezogen. Unsere Hauptforderungen seien doch mittlerweile alle erfüllt. Es darf aber nicht vergessen werden, dass die bestehenden Rechte hart erkämpft werden mussten und dass sie auch wieder verlorengehen können. Ebenso muss man sich der Tatsache bewusst sein, dass Errungenschaften wie das Eherecht für gleichgeschlechtliche Paare oder das Adoptionsrecht vor allem im Interesse der Mittelschicht sind. Dabei gibt es auch heute noch Personen, die dafür kämpfen müssen, als BürgerInnen anerkannt zu werden, wie zum Beispiel Menschen ohne legale Aufenthaltsgenehmigung oder solche, die Benachteiligungen erfahren, weil sie auch innerhalb der LGBT*-Community nicht einer gewissen Norm entsprechen.

Auf welche Weise setzt sich das 
Centre d’information gay et lesbien (Cigale) gegen Homo- und Trans*phobie ein?


Ein wesentlicher Teil unserer Arbeit besteht in der Sensibilisierung und Aufklärung aller Altersgruppen. Da geht es einmal darum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, welche Wörter und Akte diskriminierend sind, und die Menschen dazu anzuregen, sich mit Heterosexismus auseinanderzusetzen. In diesem Zusammenhang spielt auch die Thematisierung von Geschlechterstereotypen eine zentrale Rolle. Bei der Diskriminierung aufgrund von Geschlecht oder Sexualität gibt es viele Überschneidungen, das lässt sich nicht getrennt voneinander behandeln.

„Man darf nicht aus den Augen verlieren, dass es durchaus Fortschritte ohne entsprechende Gesetze geben kann.“

Konkret machen wir unter anderem Aufklärungsarbeit in Schulklassen. Manche Anfragen erreichen uns beispielweise, weil SchülerInnen Opfer homophober Wortattacken wurden. Wir bieten aber auch Workshops im Rahmen von sogenannten „Diversity Weeks“ oder „Antidiskriminierungswochen“ an. Hier wird dann beispielsweise über Begrifflichkeiten gesprochen und klargestellt, dass es zwar gewisse Bezeichnungen gibt, dass sich aber nicht jedeR im selben Maße mit diesen identifiziert. Ein anderer wichtiger Themenbereich, über den wir informieren, ist das Coming out und die Tatsache, dass es sich dabei um einen lebenslangen Prozess handelt. So besteht in der Schule, auf dem Arbeitsplatz und im Privatleben immer wieder die Notwendigkeit, sich neuen Bekanntschaften gegenüber zu outen. Wir thematisieren auch die Probleme, die mit dem Coming out einhergehen, und auch die, die daraus resultieren, dass eine Person sich nicht outen will. Andererseits bietet das Cigale auch Fortbildungen für Lehrkräfte oder für das Personal von Flüchtlingsheimen an. Diese sind ganz praxisorientiert, sodass Fragen gestellt werden können, für die dann gemeinsam nach Lösungen und Antworten gesucht wird. Auf politischer Ebene fordern wir schon seit Jahren die Integration von Aspekten der LGBT*-Problematik in den Lehrplan. Im Sprachunterricht kann eine solche Thematisierung anhand ausgewählter Literatur stattfinden, im Geschichtsunterricht könnte auf die luxemburgische LGBT*-Geschichte eingegangen werden. Bei einer einmaligen schulischen Intervention bleibt der Effekt leider immer sehr beschränkt, weshalb wir uns längerfristige Maßnahmen wünschen. Auch bei der Ausbildung von Lehrkräften und SozialarbeiterInnen fordern wir Lernangebote zu Gender- und LGBT*-Thematiken.

(Bildquelle: Pixabay)

Welche Personengruppen wenden sich an das Cigale, und aus welchen Gründen?


Generell kann zwischen individuellen und kollektiven Anfragen unterschieden werden. In der Hauptsache treten Menschen aus dem LGBT*-Spektrum an uns heran. Auch in Zeiten des bestehenden Ehe- und Adoptionsrechts für homosexuelle Paare suchen immer noch viele Rat bei uns zum Thema Coming out. Eine weitere Gruppe besteht aus Eltern und Lehrpersonal. Das Cigale verfügt über eine große Auswahl an Büchern und Berichten, die hier ausgeliehen werden können.

In der Folge mehrerer homo- und trans*phober Gewaltakte in Flüchtlingsheimen wurden in manchen Städten, wie beispielsweise Berlin oder Nürnberg, Einrichtungen für LGBT*-Personen geschaffen. Besteht auch in Luxemburg ein Bedarf hieran?


Aufgrund von Anfragen von Geflüchteten und Personal und durch im Ausland durchgeführte Studien wissen wir, dass in puncto Homo- und Trans*phobie in Flüchtlingsheimen auch hierzulande Handlungsbedarf besteht. Es sind in der Tat Geflüchtete an uns herangetreten mit dem Anliegen, zwar nicht unbedingt in ein queeres, aber doch in ein anderes Flüchtlingsheim überstellt zu werden. Solche Anfragen werden momentan vom OLAI bearbeitet. 
Auch wenn die Anzahl der Betroffenen in Luxemburg zu gering ist, um die Einrichtung eines queeren Heims zu rechtfertigen, so könnte man doch für LGBT*-Geflüchtete spezielle Wohnräume vorsehen. Es ist in jedem Falle wichtig, die Bedürfnisse der Betroffenen zu berücksichtigen. Eine Person, die regelmäßig Angebote des Cigale in Anspruch nimmt, sollte zum Beispiel eher in der Hauptstadt als in Wiltz untergebracht werden.

„Es darf nicht vergessen werden, dass die bestehenden Rechte hart erkämpft werden mussten und dass sie auch wieder verlorengehen können.“

Welche Projekte sind zurzeit in Planung?


Am 17. Mai findet der Idahot (International Day Against Homophobia & Transphobia) statt, der sich dieses Jahr um das Thema Family Equality dreht. Wir haben zwei Events geplant: Am 13. Mai werden im Cigale von 14-18 Uhr mehrere Veranstaltungen angeboten. Am 17. selbst werden wir zusammen mit der ASTI ab 10 Uhr in der Grand Rue eine öffentliche Veranstaltung zum Thema LGBT*-Refugees durchführen. Die diesbezügliche Lage ist zwar einigermaßen ruhig, doch werden wir immer noch von Betroffenen kontaktiert, die sich auf individueller oder auch institutioneller Ebene bezüglich ihrer sexuellen Orientierung, ihres Geschlechtsausdrucks und ihrer Geschlechtsidentität diskriminiert fühlen.
Darüber hinaus wollen wir künftig unser Angebot auf den Bereich der sexuellen Gesundheit ausweiten. Im Moment sind wir dabei, eine Broschüre zum Thema Frauen, die Sex mit Frauen haben, auszuarbeiten. Im Rahmen des internationalen Tages des Coming out am 11. Oktober planen wir eine szenische Lesung in der Abtei Neumünster. Im Rahmen dieses Projekts werden am 14. und 15. Oktober Coming out-Geschichten von in Luxemburg lebenden Menschen jeweils von drei SchauspielerInnen vorgetragen.

Weitere Informationen unter: 
www.cigale.lu
, www.ilga-europe.org/resources/rainbow-europe/2016
, dayagainsthomophobia.org

Überblick der Aktivitäten von Cigale und Rosa Lëtzebuerg:


Donnerstags von 12 bis 14 Uhr: Gratis und anonym vom Team des Dispositif d’Intervention Mobile pour la Promotion de la Santé sexuelle (Dimps) durchgeführte Schnelltests für sexuell übertragbare Infektionen und HIV.
Donnerstags von 16 bis 18 Uhr: Treffen für LSBT*[1]-Geflüchtete.
Jeden 2. Freitag im Monat ab 20 Uhr: „Pink Ladies“-Stammtisch im Chocolate House Nathalie Bonn.

[1] LGBT* ist ein aus dem englischen Sprachraum kommender Akronym, der für lesbian, gay, bisexual und trans* steht. Mit Trans* sind alle Menschen gemeint, deren Geschlechtsidentität nicht (bzw. nicht vollständig oder dauerhaft) mit dem bei ihrer Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt.

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