In „Us“ packt Jordan Peele zu viel auf einmal in einen Film. Dank fabelhafter Schauspieler*innen und einer unvergesslichen Bildsprache ist der Horrorstreifen dennoch sehenswert.
Es kann nicht leicht sein, nach einem enorm erfolgreichen Erstlingswerk den selbst gesetzten Ansprüchen weiterhin gerecht zu werden. Einen solchen Druck muss Jordan Peele zweifelsohne nach „Get Out“ (2017) verspürt haben. Da war wohl einerseits die Herausforderung, einen Film von vergleichbarer künstlerischer und soziopolitischer Relevanz zu drehen. Andererseits aber auch die, etwas derart anderes zu machen, dass es nicht wie das Gleiche in neuem Gewand daherkommt. Herausgekommen ist ein Horrorfilm, von dem man halten mag, was man will: Langweilig wird einem während dessen 116 Minuten Laufzeit sicherlich nicht.
Dadurch, dass Peele in „Us“ zwei zentralen Aspekten von „Get Out“ – Horrorgenre und schwarze Protagonist*innen – treu geblieben ist, macht er es dem Publikum schier unmöglich, keine Vergleiche zwischen beiden Filmen zu ziehen. Gleichzeitig bringt diese Ausgangssituation ganz bestimmte Erwartungen mit sich. Allen voran wohl die, dass auch „Us“ eine Analogie für Rassismus in unserer Gesellschaft darstellen soll. Peele war sich dieser Erwartungshaltung sicherlich bewusst, weshalb er eine der Figuren recht früh im Film erklären lässt, dass es in „Us“ um etwas anderes geht.
In den vollen Genuss der zahlreichen Überraschungsmomente kommt nur, wer im Vorfeld so wenig wie möglich über den Film weiß. Deshalb lediglich so viel zur Handlung: Adelaide (Lupita Nyong’o), ihr Mann Gabe (Duke Winston) und deren Kinder (Shahadi Wright Joseph und Evan Alex) machen Urlaub in einer Ferienwohnung in der Nähe von Santa Cruz. Eines Nachts wird die Familie von Eindringlingen besucht. Es stellt sich heraus, dass es sich bei den vier mit roten Overalls bekleideten und mit Goldscheren bewaffneten Personen um detailgenaue Kopien ihrer selbst handelt.
Peele greift manche Charakteristiken des Hausinvasionsgenres auf: die Kritik kleinbürgerlicher Normen und die Fragilität jedes Gefühls von Geborgenheit und Sicherheit. Andere Charakteristiken stellt er dagegen auf den Kopf. In „Us“ ist das Böse nichts Fremdes, das ins Familiäre eindringt. Während „Get Out“ ein klares Täter-Opfer-Verhältnis bot, geht es in „Us“ um kollektive Schuld. Nicht mehr die Rassendiskriminierung steht im Fokus; vielmehr geht es um die Unterdrückung bestimmter Bevölkerungsgruppen insgesamt. Wer als „us“ und wer als „them“ angesehen wird, so legt es uns die Filmhandlung nahe, ist immer eine Frage der Perspektive und der gesellschaftlichen Positionierung. Peeles Gesellschaftskritik scheint – wie der Titel andeutet, der auch als „U.S.“ gelesen werden kann – in erster Linie an die Vereinigten Staaten von Amerika gerichtet.
„Us“ enthält alle Zutaten für einen hervorragenden Horrorfilm – meisterhafte technische Umsetzung, gruselige Atmosphäre, tolle Schauspieler*innen – doch ergibt der Film leider kein kohärentes Ganzes. Statt darauf zu vertrauen, dass das, was er uns in der ersten Stunde präsentiert, gut genug ist, um den Rest des Films zu tragen, setzt Peele nämlich mit jeder weiteren Szene noch eins drauf. Das hat unter anderem zur Konsequenz, dass er manchmal, nur um der Überraschung willen, mit Regeln bricht, die er zuvor selbst für diese Welt aufgestellt hat. Mit fortschreitender Laufzeit wird immer undurchsichtiger, worauf Peele eigentlich hinaus will. Doppelgänger, Hausinvasionen, weiße Kaninchen und Parallelwelten können für sich genommen starke Analogien darstellen, kombiniert man diese jedoch, heben sich die jeweiligen Effekte gegenseitig auf.
Dies soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass „Us“ ein sehenswerter Film ist. Peele hat eine Bildsprache geschaffen, die man so schnell nicht mehr aus dem Kopf bekommt. Wer sich über das Gesehene nicht allzu viel den Kopf zerbricht, wird ohne Zweifel auf seine Kosten kommen.
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Bewertung der woxx : XX