Am Freitagabend wird sich ein Träumer im Gudde Wëllen fallen lassen und alle um sich herum mit in die Tiefe reißen. Angst braucht man dennoch nicht zu haben. Denn auch er hat keine mehr. Sein Name ist Peter Michel (aka Hibou).
„Bijou, Caillou, Chou, Genou, Hibou, Joujou, Pou“. Sogar bei den lernresistentesten (und mittlerweile etwas betagteren) Schüler*innen kann das Langzeitgedächtnis eben diese Wortfolge noch zutage fördern – auch wenn sie vielleicht nicht mehr genau wissen, was es damit auf sich hat. Während die für den Französischunterricht gepaukte Aufzählung eigentlich dazu diente, sich zu merken, welche französischen Wörter im Plural auf -x und nicht etwa auf -s enden, besteht nun die Möglichkeit, die einzelnen Begriffe mit neuen Gedanken zu verknüpfen.
Ohne jemandem vorgreifen zu wollen, darf als wahres immaterielles Schmuckstück ja wohl gute Musik gelten und mit „hibou“ kann man fortan nicht nur das Tier, sondern eben auch den amerikanischen Dream-Popmusiker Peter Michel verbinden. Der Künstlername bleibt denn auch bewusst im Singular stehen, denn während der junge Musiker im Alter von 17 Jahren noch als Drummer der „Craft Spells“ fast ein Jahr auf Tour war, präsentiert er sich dem Publikum derweil als Solokünstler.
Der mittlerweile Mittezwanziger Digital Native wirft auf seinem nunmehr dritten Album „Halve“ Fragen auf, die gerade seine Generation durch die Möglichkeit der multimedialen – teils absolut realitätsfernen – Selbstinszenierung anders bewältigen muss, als ihre Vorgängerinnen. Selbst- und Fremdwahrnehmung sowie Oberflächlichkeit und die Angst vor Tiefe werden hier seziert, ergeben aber laut Hibou kein Ganzes, wenn man sie wieder zusammensetzen möchte: „half of you wants the truth / But where you’d never look / half of you is the truth” heißt es in dem Song „Keeping Still“.
Michel kokettiert hier aber nicht nur metaphorisch mit Angst und dem Gefühl, nicht ganz bei sich und er selbst zu sein. Seinem Profil auf der Internetpräsenz des Labels Barsuk ist klar zu entnehmen, dass ein ständiger Begleiter in seinem Leben ein sogenanntes „dissociative depersonalization disorder“ ist, also eine Störung, die tatsächlich den Eindruck beim Betroffenen entstehen lässt, zumindest in Teilen vom eigenen Körper sowie mentalen Prozessen losgelöst zu sein. Statt diesen Teil von sich der Tabuzone zu überlassen, verarbeitet er seine Erfahrungen diesbezüglich kreativ und vermittelt alles andere als Hoffnungslosigkeit. Der zuvor erwähnte Track fährt mit der Zeile fort: „We’ll walk together to find.”
In „When the Season Ends” prognostiziert er, dass wenn die (nicht näher definierte) Jahreszeit endet, „you‘ll see what we want”. Es ist nicht ganz klar, ob er damit seine Kindheit respektive seine Jugend meint, die in seinen Texten immer wieder besungen werden, oder ob Hibou schlicht suggeriert, dass durch übermäßiges Zer-Denken zu viel Zeit vergeht. Zeit, die benötigt wurde, um eine Entscheidung zu fällen, die erst fällt, wenn das Leben schon vorbei st. Aber auch in diesem Song gibt er sich der Apathie nicht gänzlich hin und verspricht seinem Gegenüber, dass er da sein wird, wenn „(you) walk to see the outside of you”. Die harte Konfrontation mit sich selbst muss also nicht allein ausgestanden werden. Wer sich kritisch hinterfragt, hat es laut Michel nicht verdient, einsam zu sein.
Die eher melancholischen Texte kommen düsterer daher als die Musik, die sie umhüllt. Fast möchte man behaupten, dass man den Songs jene Räume anhört, in denen sie aufgenommen wurden. Peter Michel begab sich für das Album „Hibou“ (2015) nämlich in sein eigenes Zimmer oder wahlweise auch in den begehbaren Kleiderschrank seiner Eltern. Die Kategorisierung seines Sounds in Dream Pop kommt somit nicht von ungefähr. Mit seiner hohen sanften Stimme scheint er sich selbst Schlaflieder zu singen, um dann in luzide Träume zu verfallen, in denen er den Takt angibt. So manche Klangfläche erinnert an Deckenhöhlen, die man sich als Kinder baute, um der Außenwelt zu entrinnen. Auch wenn das neue Album in einem professionellen Studio entstand, so bleibt der zuvor geschaffene Klangraum erhalten.
Obwohl dem Genre für gewöhnlich auch Bezüge zu bewusstseinserweiternden Drogen nachgesagt werden, können Sittenwächter*innen hier getrost aufatmen, denn Hibous Songs haben dann doch schon eher etwas von einem gut dosierten CBD-Joint.