John Krasinski
: Ich sehe was, 
was die nicht sehen


John Krasinskis „A Quiet Place“ entwirft eine Welt, in der nur überlebt, wer keine Geräusche von sich gibt. Resultat ist ein Horror-Streifen mit vielen Schwächen.

Wer in „A Quiet Place“ ein Geräusch von sich gibt, begibt sich in Lebensgefahr. (Foto: outnow.ch)

Die erste Sequenz von „A Quiet Place“ bietet eine ungewohnte Situation: Eine fünfköpfige Familie bewegt sich durch einen Kaufladen, dabei ist jedoch kein einziges Geräusch zu hören. Kein Dialog, keine Hintergrundmusik, nichts. Kommuniziert wird dennoch, mittels Mimik, Gestik und Gebärdensprache. Den Zuschauer*innen erschließt sich schnell, dass die älteste Tochter, Regan (Millicent Simmonds), taub ist. Der Grund für die Stille ist jedoch ein anderer: Die Erde ist von bestialischen Wesen besetzt, die zwar blind sind, jedoch über ein hervorragendes Hörvermögen verfügen. Will man also nicht aufgefressen werden, ist ein geräuschloser Tagesablauf unablässig.

Innerhalb weniger Szenen gelingt es John Krasinski, der für „A Quiet Place“ sowohl Regie führte als auch am Drehbuch mitschrieb, nicht nur die Grundzüge dieses postapokalyptischen Settings zu etablieren, sondern auch das Thema des Films zu entwickeln: der Überlebenskampf der Familie Abbott. Hauptinformationsquelle ist dabei nicht, wie üblicherweise der Fall, der Dialog oder das Voice-Over. Krasinski verlegt den Fokus vielmehr auf visuelle Indizien: Lee (John Krasinski), Evelyn (Emily Blunt) und deren Kinder bewegen sich auf Sandpfaden fort, in ihrer Wohnung wurden diejenigen Stellen am Boden markiert, wo das Holz nicht knarrt. In Anbetracht der Notlage mussten die Bewohner*innen dieser Welt kreativ werden. Unabhängig von der Gefahr, die von den Bestien ausgeht, vermitteln Krasinski und sein Team eindringlich den Horror einer Existenz in erzwungener Stille.

Trotz alledem fällt es schwer, über die Schwächen des Films hinwegzusehen. Denn auch ohne sich komplexen Analysen dieser postapokalyptischen Welt hinzugeben, springen einem nicht wenige Ungereimtheiten ins Auge. Da wären erstens die Monster an sich. Sie sind blind und reagieren auf Geräusche. Das wirft zum einen die Frage auf, wie sie sich so schnell fortbewegen können, ohne ständig gegen Bäume zu prallen oder über Wurzeln zu stolpern.

Zum anderen bleibt bis zuletzt unklar, weshalb die Wesen auf manche Geräusche reagieren, auf andere jedoch nicht. Wieso auf Fußtritte, nicht aber auf das konstante Zirpen der Grillen oder das Rauschen eines Wasserfalls? Selbst ein und dasselbe Geräusch wird, je nach Verursacher, unterschiedlich bewertet: Knarrendes Holz etwa scheint die Bestien sehr viel eher anzulocken, wenn es von Menschen verursacht wird als vom Wind. Irgendwann im Laufe des Films fragt man sich: Warum locken die Figuren die Monster nicht einfach mit einer Lärmquelle an einen bestimmten Ort und lassen sie dort in eine Falle tappen, oder, falls kein Weg daran vorbeiführt, bringen sie in irgendeiner Weise um?

Damit wären wir bei der zweiten Quelle der Ungereimtheiten: die Menschen. In Anbetracht dessen, dass der Großteil des Films sich über ein Jahr nach Beginn des Monstereinfalls abspielt, ist wenig nachvollziehbar, weshalb dessen Protagonisten immer noch auf einem derart begrenzten Wissensstand sind. Wie Jack‘s Whiteboard zu entnehmen ist, scheinen seine Informationen über die Monster nach all dieser Zeit nicht über „blind“ und „attack sound“ hinauszugehen. Auch machen die einzelnen Charaktere immer wieder Fehler, die sie mittlerweile eigentlich nicht mehr machen dürften. Man fragt sich fast schon, wie sie überhaupt so lange überleben konnten.

Natürlich kommt dadurch überhaupt erst Spannung auf: Würde die Familie keine Geräusche machen, wären im Film keine lebensbedrohlichen Monster zu sehen. Aber genau hieran wird die größte Schwäche von „A Quiet Place“ deutlich: Alles wird zu jedem Moment so zurechtgebogen, dass es dem Spannungsaufbau dient. Je nach Situation sind die verschiedenen Figuren sehr raffiniert oder aber sehr leichtsinnig. Als Beispiel für letzteres könnte man Evelyns und Lees Entscheidung nehmen, in einer solchen Welt ein weiteres Kind zu bekommen. Falls diese Schwangerschaft ungewollt war, wird dies mit keinem Wort erwähnt.

Zu all diesen Ungereimtheiten gesellen sich recht konservative Geschlechterrollen: Evelyn kümmert sich um den Haushalt, während Lee für den Schutz der Familie zuständig ist und auf die Jagd geht. An einer Stelle bricht er mit seinem Sohn in die Wildnis auf, um ihm Überlebenstricks beizubringen. Dies, obwohl die ältere Tochter ihn viel lieber begleitet hätte. Doch nein, die muss zuhause bei ihrer Mutter bleiben.

„A Quiet Place“ ist kein gänzlich enttäuschendes Kinoerlebnis. Der Film ist technisch einwandfrei umgesetzt und die Schauspieler*innen sind überzeugend. Auch ist Krasinski mit seinem Team der eine oder andere äußerst spannende Moment gelungen. Doch man wird das Gefühl nicht los, dass es dem Film gutgetan hätte, sich weniger ernst zu nehmen.

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