Kryptowährungen können mehr als reines Spekulationsobjekt sein – aber lässt sich mit ihnen der Klimawandel bekämpfen?
In Island wird gegenwärtig mehr Strom für das „Minen“ von Bitcoins aufgewendet als für den Betrieb elektrischer Geräte in Haushalten. Der Energiehunger der Kryptowährung ist spätestens seit dem rasanten Kursanstieg Ende des letzten Jahres ein mediales Thema. In manchen Pressemeldungen hieß es, Bitcoin-Transaktionen verbrauchten so viel Elektrizität wie Dänemark oder Irland. Ob diese Einschätzungen stimmen, ist schwer zu überprüfen, da es bei einer dezentralen Währung keine Informationen darüber gibt, wieviel Energie die einzelnen Teilnehmer*innen verbrauchen. Fest steht aber, dass die Zahl irgendwo zwischen 0,05 und 0,15 Prozent des globalen Energieverbrauches liegt – und das für ein System, das nur wenige Menschen tatsächlich nutzen. Wenn die kryptografischen Berechnungen, die für Bitcoin-Transaktionen nötig sind, in Island durchgeführt werden, hat das zumindest den Vorteil, dass die dortige Energie zum größten Teil aus erneuerbaren Quellen kommt.
Die CO2-Bilanz der Kryptowährung ist dennoch bedenklich: Der Footprint von Bitcoin sei so hoch wie der von Costa Rica, berichtete Riyong Kim Bakkegaard, Forscherin an der Technischen Universität von Dänemark. Die Alternative Etherum, die gemeinhin als weniger energiehungrig angesehen wird, verursacht ebenfalls keinen geringen Ausstoß von Treibhausgasen: Er entspricht dem des afrikanischen Namibia. Wie die woxx in der vorherigen Nummer schrieb, basieren sehr viele Blockchain-Anwendungen auf dem Modell von Etherum. Auch jene Vorhaben, die die Investmentfondsindustrie des luxemburgischen Finanzplatzes revolutionieren wollen.
Die Münze zum Überleben
In der Fülle der Projekte, die sich an dem Hype um Blockchain und Kryptowährungen beteiligen und sich via „Initial Coin Offering“ finanzieren wollen, finden sich auch immer wieder solche, die angeben, mithilfe der Technologie den Klimawandel zu bekämpfen. Angesichts der hohen Energiekosten, die Blockchain-Anwendungen mit sich bringen, ein ambitioniertes Unterfangen.
Ein solches Projekt soll schon bald in Luxemburg starten. Letztes Jahr hatte die Œuvre nationale de secours Grande Duchesse Charlotte zum zweiten Mal nach 2014 im Rahmen der Initiative „Yes We Care“ dazu aufgerufen, Projektvorschläge zur Treibhausgasreduktion einzureichen. Unter den zehn Antragsteller*innen, die eine Förderung erhalten haben, ist auch die „Climate Action Blockchain asbl“.
Der Verein will eine eigene Kryptowährung ausgeben, den „Survcoin“, eine Abkürzung von „Survival Coin“, Überlebensmünze. Die Idee dahinter ist recht simpel: Für Aktionen, die Treibhausgase einsparen, sollen die Nutzer*innen mit digitalem Geld belohnt werden, das sie dann wiederum für nachhaltige Produkte oder Dienstleistungen verwenden könnten. Der Kopf hinter Survcoin ist Jean Lasar, der bisher in der Kommunikationsabteilung von Luxair und davor beim Stahlgiganten Arcelor Mittal gearbeitet hat – beides Unternehmen, die nicht wenig zum Klimawandel beitragen. Mit „Zuerst kam der Klimawandel, dann die Blockchain! Das ist ein Thema, das mich seit langem umtreibt“, erklärt er, wie die Idee entstanden ist.
Er habe nicht etwa nach einer Anwendung für die Blockchain gesucht, sondern nach einem Mittel gegen den Klimawandel. „Es gibt einen kleinen Teil der Bevölkerung, der sich des Problems bewusst ist. Viele von uns neigen aber dazu, den Klimawandel zu ignorieren – die will ich dazu kriegen, umzudenken und ihre Gewohnheiten zu ändern.“ Noch ist das Zukunftsmusik, denn Lasar muss erst ein Team aufstellen und Partner*innen finden, die seine Idee unterstützen. Mit den 120.000 Euro, die ihm die „Œuvre“ über den Zeitraum von drei Jahren zur Verfügung stellen wird, kann das Projekt allerdings schon mal starten. Und die Finanzierung bringt noch andere Vorteile: Dass die Projektidee neben Reparatur-Cafes, Experimentierkästen für Schüler*innen und einem Kompost-Forschungsprojekt im Weinbau ausgewählt wurde, verleiht dem Survcoin eine gewisse Seriosität.
„Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, dass man Survcoin erhält, wenn man Sondermüll zur ‚Superdréckskëscht‘ bringt. Mit den Survcoin könnte man dann zum Beispiel die kommunalen Abfallgebühren bezahlen“, erläutert Lasar sein Konzept. Er will Gemeinden mit ins Boot holen, weil er hofft, dadurch auch jene Bürger*innen zu erreichen, bzw. deren Aktivitäten auf die Auswirkungen aufs Klima zu durchleuchten, die vielleicht nicht sonderlich ökologisch denken. Mit den monetären Anreizen und einer Art Gamification, also der Aktivierung des Spiel- und Sammeltriebs, sollen auch zum Beispiel Autofans zur Benutzung des öffentlichen Transports oder des Fahrrads motiviert werden.
Kryptowährung ohne Mine
„Mir ist bewusst, dass Bitcoin und auch andere Kryptowährungen aktuell einen hohen Energieverbrauch haben. Das ist aber ein technisches Problem, das sich meiner Meinung nach lösen lässt. Ich will einen ‚Proof of Stake‘-Ansatz statt des bisherigen ‚Proof of Work‘-Ansatzes verwenden; damit sollte eine Transaktion sehr viel weniger Strom verbrauchen. Außerdem muss man sich dann überlegen, ab welcher Menge eingespartem CO2 es sich lohnt, Survcoin auszuzahlen“, erläutert Lasar seine Vorstellung davon, wie mit dem Dilemma, dass Kryptowährungen aktuell einen hohen Energieverbrauch haben, umgegangen werden könnte.
Proof of Stake bedeutet, dass die Teilnehmer*innen an einer Transaktion lediglich nachweisen müssen, einen bestimmten Teil der Kryptowährung zu besitzen – die komplexen kryptografischen Rechnungen wie bei Bitcoin fallen damit weg, statt des zufälligen „Minens“ von neuen Einheiten der Kryptowährung wird bei diesem System ganz einfach eine Transaktionsgebühr bezahlt.
Üblicherweise werden ökonomische Anreize in der Klimapolitik eher andersherum gesetzt: Wer verschmutzt, muss zahlen. Das gilt aber sowieso eher für große Konzerne, die Verschmutzungsrechte am Emissionsmarkt handeln können – die Entscheidungen von Einzelpersonen werden zum größten Teil nicht erfasst. Sollte tatsächlich irgendwann eine CO2-Steuer eingeführt werden, die zum Beispiel Benzin oder Diesel stärker besteuert, könnte sich das ändern. Survcoin soll aber nicht bestrafen, sondern lediglich klimagerechtes Verhalten belohnen. Um Nutzer*innen einzubinden, die nicht technikaffin sind, will Lasar echte Münzen einsetzen, die mit RFID-Chips versehen sind.
„Es wird nicht jede Aktion komplett genau berechnet werden können, sondern wir müssen mit Durchschnittswerten arbeiten“, betont Lasar. Das Ziel sei nicht, auf das Gramm CO2 genau Emissionen auszurechnen, sondern Menschen zu einem bewussteren Verhalten zu bewegen. Sollte der Wert des Survcoins gegenüber dem Euro im Laufe der Zeit steigen, wären die Reduktionen von heute in Zukunft mehr wert. Das bildet eine unangenehme Wahrheit des Klimawandels ab: Je länger wir warten, umso teurer und unangenehmer werden die Einsparungen.
Das „Crypto Valley“ rettet die Welt
Survcoin steht aber keineswegs allein mit seinem Versuch, das Klima mit der Blockchain retten zu wollen. Ein Projekt, das bereits gestartet ist, ist „Climatecoin“. Die Initiative aus der Schweiz verspricht, ihre Kryptowährung an CO2-Zertifikate zu binden, sodass jede*r am Zertifikathandel teilnehmen könne, wodurch es leichter sei, die eigenen Emissionen durch die Einsparungen anderer zu kompensieren. Auf den Krytpowährungsbörsen, an denen Climatecoin gehandelt wird, stößt das Projekt bisher auf wenig Interesse. Das Konzept klingt zuerst spannend, das Whitepaper, in dem die Währung erklärt wird, liest sich allerdings wie das eines x-beliebigen ICO-finanzierten Projekts, das vor allem eins will: Geld machen. Worin genau der Vorteil dabei liegt, Einheiten einer Kryptowährung statt direkt Zertifikate zu kaufen, wird nicht ganz klar.
Ebenfalls aus der Schweiz – dort wird bereits vom „Crypto Valley“, analog zum „Silicon Valley“, gesprochen – stammt „Poseidon“. Das Projekt scheint ähnliche, wenn nicht identische Ziele zu verfolgen wie Climatecoin: Kund*innen sollen mit der Kryptowährung unkompliziert und nachvollziehbar CO2-Zertifikate handeln können. Informationen, wie das genau funktionieren soll, sucht man hier vergebens. Dafür ist schon ein Datum für das Crowdfunding angekündigt: Ab April dieses Jahres will Poseidon Geld einsammeln.
Auch bei der UN ist man sich der Möglichkeiten, die die Blockchain im Bereich der Bekämpfung des Klimawandels bieten könnte, durchaus bewusst. Bei der COP23, die Ende letzten Jahres in Bonn stattfand, wurde als sogenanntes Side-Event ein Hackathon, also ein Hacking-Ideenwettbewerb zum Thema Blockchain veranstaltet. Die Ideen, die dabei entstanden sind, klingen durchaus interessant: Zertifikathandel, Energiehandel für Kleinproduzent*innen (also alle, die eine Photovoltaikanlage auf dem Dach haben), Analyse des CO2-Rucksacks von Supermarktprodukten per App oder Landnutzungsfragen. Konkrete Projekte sind allerdings noch nicht zu finden.
Blockchain-Technologie könnte durchaus eine Rolle bei der Bekämpfung des Klimawandels spielen. Ob es allerdings private Akteur*innen sein werden, die die eine Blockchain entwickeln, in der sich alle weltweiten Emissionen und Einsparungen ablesen lassen, ist eher fraglich. Im Gegensatz zu den Kryptowährungen, die als reine Spekulationsobjekte dienen, und den Blockchains der Fonds- industrie, die Arbeitsplätze abbauen wollen, haben Projekte wie Survcoin aber immerhin den Sympathiebonus, die Welt retten zu wollen.