Neu definieren, was musikalisch „Heaviness“ bedeutet: Die diesjährige Edition des Roadburn-Festivals ist dieser Mission treu geblieben, hat sie jedoch in gewisser Weise auch mit einer Rückkehr zu den Wurzeln erfüllt.
Legendär ist das Roadburn-Festival schon lang: Wegen der exquisiten Bandauswahl und exklusiven Auftritte, doch immer mehr auch dank der dort repräsentierten musikalischen Vielseitigkeit. Die ist so groß, dass jede Person, die es besucht, sich ein völlig individuelles Festivalerlebnis zusammenstellen kann.
So lässt sich typischerweise als „heavy“ identifizierte Musik inzwischen weitgehend vermeiden, wenn man möchte. Wer es aber darauf anlegt, kann seinen Besuch wie eh und je auf laute Gitarren und einen brutalen Sound reduzieren. Das ist noch immer möglich, obwohl die Festivalmacher*innen seit einigen Jahren unter dem Motto „Redefining Heaviness“ bemüht sind, „heavy music“ gerade nicht mehr auf die vorgenannten Merkmale und Genres wie Stoner Rock, Doom Metal oder Heavy Psych zu reduzieren (siehe dazu unser Interview mit dem künstlerischen Leiter des Festivals, Walter Hoeijmakers, „Wir wollen Grenzen verschieben“ in woxx 1727). Immer mehr kommen daher auch zartere und experimentellere Klänge zum Tragen, und mit dem Anspruch gesellschaftliche Diversität zu fördern und zu repräsentieren, wird das viertägige Musikfest unter der Hand zugleich politischer.
Vom 18. bis 21. April waren wieder mehrere Tausend Menschen ins niederländische Tilburg geströmt, um dem alljährlich im Frühjahr stattfindenden Happening beizuwohnen, das am Mittwochabend mit einem Warm-Up-Konzert begann, um ab Donnerstagmittag in die Vollen zu gehen.
Damit sich das Publikum am Donnerstag zeitig einfinden möge, wurde gleich für den Auftakt ein für viele wohl als Highlight vorgemerktes Konzert angesetzt. Die Gruppe „Hexvessel“, die ihren Sound als „okkulte Klänge aus den Wäldern Finnlands“ charakterisiert, präsentierte ihr neuestes Album „Polar Veil“, und zwar in voller Länge. Es ist eines der Markenzeichen des Festivals, dass Bands eingeladen werden, alle Songs eines Albums in der dort festgelegten Abfolge zu präsentieren. Das kann auch eine schon ältere, als Klassiker geltende Platte sein. Hexvessel präsentierten ihr im vergangenen September erschienenes neues Opus, taten das eher geschäftsmäßig und konnten auf eine ansehnliche Fanbasis zählen, die mit den einzelnen Liedern längst gut vertraut war.
Wie die finnischen Okkult-Rocker spielten wenige Stunden später auch „Inter Arma“ im „Terminal“ der „Koepelhal“, dem neben der Hauptbühne des „013“ größten Venue des Festivals. Sie präsentierten ebenfalls ihr neues Album (siehe „Trost in der Trostlosigkeit“ in woxx 1780), wobei dieses erst am heutigen Freitag erscheint. Dennoch hatten auch sie den vollbesetzten Saal umgehend in der Hand, obwohl die Anwesenden die Stücke noch gar nicht kannten und der Opener „New Heaven“, das Titelstück des neuen Albums, mit seinen vertrackten Gitarrenriffs nicht gerade als eingängig bezeichnet werden kann.
Möglicherweise war der Saal für Inter Arma ein kleines bisschen zu groß, um die Wucht der unmittelbaren Präsenz der Band auch bis in die hintersten Reihen zu entfalten, dennoch sollte das Konzert für viele auch nach Festivalende noch den Status eines der absoluten Höhepunkte behalten. Das lag nicht zuletzt an den stimmlichen Fähigkeiten von Sänger Mike Paparo, der mal grölt, mal keift, mal klare Gesangslinien anstimmt und dabei gefühlt immer um sein Leben singt. „Es ist eine Performance“, hatte Schlagzeuger T.J. Childers vor einigen Wochen im woxx-Interview über die Liveshows von Inter Arma gesagt („I’m there for the riff“, online exklusiv) – aber was für eine Performance!
Wer es zwischen diesen beiden Bands etwas ruhiger angehen wollte, war mit „Arms and Sleepers“ aus den USA gut bedient. Für diesen Auftritt hatte sich Trip-Hop/Ambient-Solokünstler Mirza Ramic eine Band organisiert, die sich allerdings auf Keyboard, Synth-Instrumente und Schlagzeug reduzierte und viele Elemente vom Band verwendete. Die Konzertsituation zu einem Sound, der eigentlich sehr zum Tanzen einlädt, wirkte daher etwas bemüht, was natürlich auch ein wenig an der Haltung des Publikums lag, das auf der diesjährigen Ausgabe des Festivals allgemein einen tendenziell bewegungsfaulen Eindruck machte.
Eine Band, deren Auftritt die woxx verpasste, waren die Post-Metaller „White Ward“ aus der Ukraine. Bereits 2020 war die Gruppe fürs Roadburn Festival gebucht worden, das dann wegen der Pandemie nicht stattgefunden hat. Im vergangenen Jahr konnte die Band entgegen der Planung ebenfalls nicht kommen, weil die ukrainische Regierung die Ausreisebestimmungen kurzfristig verschärft hatte; einige Künstler*innen waren nach Auftritten außerhalb der Ukraine nicht mehr dorthin zurückgekehrt. In diesem Jahr klappte es endlich; allerdings präsentierte sich das Quintett nur zu viert, da der Fünfte im Bunde, Saxophonist Dima, inzwischen Soldat geworden ist. Lange vor dem – Anwesenden zufolge großartigen – Konzert der Band bildete sich vor dem relativ überschaubaren „Engine Room“ eine endlos wirkende Schlange, die jeden Versuch, noch später in den Saal zu gelangen, erfolglos erscheinen ließ.
Auch das kurz darauf stattfindende Konzert von „Chelsea Wolfe“ auf der „Main Stage“ des 013 war sehr gut gefüllt. Seit den Tagen von „Apokalypsis“ (2011 veröffentlicht) scheint die 1983 geborene US-amerikanische Künstlerin etwas ruhiger geworden zu sein; wo früher Doom, Drone und Gothic Rock die Akzente setzten, behielten bei diesem Konzert die ätherisch-entrückten Momente gegenüber den gewaltsamen und kantigen Elementen die Oberhand. Dem Publikum schien es aber an nichts zu fehlen, zumindest wurde jedes der Stücke eifrig beklatscht.
Das galt ebenfalls für die Band „Royal Thunder“, die zu fortgeschrittener Stunde auf der wesentlich kleineren „Next Stage“ des 013 vor allem Stücke der ersten beiden ihrer insgesamt fünf Studioalben präsentierte. Seit dem grandiosen Album „Wick“ mit nachfolgender Europatour 2017 war es sehr ruhig um die Gruppe aus Atlanta, Georgia, geworden, die ihre „rauwe Rockmuziek“, wie es ein holländischer Festivalgast gegenüber einem Freund charakterisierte, mittlerweile als Trio präsentiert. Grund dafür waren nicht zuletzt persönliche Probleme im Umfeld der Band, auch in Folge der Corona-Pandemie; darunter die Drogensucht von Sängerin und Bassistin MIny Parsonz, über die sie in Interviews sehr offen spricht.
Mit dem im Sommer vergangenen Jahres veröffentlichten Album „Rebuilding The Mountain“ ist der Band um Parsonz nicht nur die Rückkehr auf die Bühne, sondern auch aus der persönlichen Misere gelungen. Zwar hat die fantastische Platte bei weitem nicht die Aufmerksamkeit erhalten, die sie verdient hätte, immerhin jedoch zählte sie in den vergangenen Monaten zu den meistgespielten Alben von Walter Hoeijmakers. Der künstlerische Leiter des Roadburn Festivals ließ es sich daher nicht nehmen, die Band gleich für zwei Auftritte zu buchen.
Vor der ersten Show wirkte MIny Parsonz ebenso erwartungsvoll wie nervös und angespannt. Es mag an technischen Problemen oder an ihrer Aufregung gelegen haben, dass ihre tolle „rauwe“ Stimme erst im letzten Drittel des Konzertes besser zur Geltung kam. Jedenfalls gab das Trio alles. Während des letzten Songs sprang Parsonz mit ihrem Bass ins Publikum, spielte dort weiter und legte am Ende den Bass beiseite, um zahlreiche der Umstehenden zu umarmen. Einen Tag später sollte die Band dann, wiederum recht spät, selbst auf der großen Main Stage stehen. Hier zeigte sich, dass die Band noch nicht den Status hat, der ihr entspricht, denn der Saal war allenfalls zur Hälfte gefüllt. Parsonz, Gitarrist Josh Weaver und Schlagzeuger Evan Diprima kümmerten sich allerdings wenig darum. Souverän spielten sie ihr neuestes Album herunter; allerdings fehlte ein wenig die Intimität des Konzerts vom Abend zuvor.
Ebenfalls wieder zu Gast war die als she/it sich vorstellende sambisch-kanadische Rapperin „Backxwash“, deren Auftritt schon im Vorjahr von vielen als sensationell wahrgenommen worden war. Ganz so neu ist der genreübergreifende Mix aus Hardcore-Rap, toughen Vocals und gesampelten Metalriffs zwar nicht, aber die Haltung, mit der die an diesem Tag in ein weißes Rüschenkleid gehüllte Musikerin sich auch jenseits der Texte präsentiert, machte klar, dass man eine sich als politisch verstehende Künstlerin vor sich hat, der es nicht nur um wohlfeil anbiedernde Bekenntnisse geht.
In ähnlicher Intensität ging es auch an den Folgetagen weiter. Mit Spannung wurde unter anderem von vielen ein Auftritt des niederländischen Black Metal-Duos „Fluisteraars“ erwartet. Die 2009 gegründete Gruppe hat mit ihren zahlreichen Veröffentlichungen längst einen Kultstatus erlangt, war bislang aber erst einmal aufgetreten, auf einem Festival in Island im vergangenen Jahr. Das liegt nicht zuletzt daran, dass einer der beiden Musiker, Mink Koops, auf den Platten alle Instrumente einspielt, während Bob Mollema den Gesang besorgt.
Nun waren auf dem Roadburn gleich zwei Konzerte angekündigt. Das erste davon präsentierte die Band am vergangenen Freitag jedoch auf eine Weise, die man von den bisher veröffentlichten Alben nicht kennt. Es handelte sich dabei um einen zwar elektronischen Sound, aber nicht etwa mit Stromgitarre und Bass, sondern mit Synthesizern und ähnlichen klangevozierenden Geräten. Die Bühne stand mit allerlei Apparaten voll, und um die alle zu bedienen, hatte man sich Verstärkung durch den Klangbastler Simon Claessen geholt.
„Manifestaties van de Ontworteling”, „Erscheinungsformen der Entwurzelung“, nannte sich, was von der Band als Ambient bezeichnet wird und im Grunde eine klangliche Erkundung ist. Dabei bewegte man sich zwar nicht unmittelbar soundmäßig, aber doch phänomenologisch auf ähnlichen Pfaden wie die Black Metal-Version der Band: In beiden Fällen geht es viel um das Verhältnis des Menschen zur Natur und wie ersterer sich, obgleich Teil der Natur, im Zuge des Zivilisationsprozesses von dieser entfernt. Der Blick von Fluisteraars richtet sich dabei nicht einmal so sehr auf die damit einhergehende Zerstörung, sondern vielmehr auf das, was in diesem Prozess an menschlichem Erleben unwiederbringlich verloren geht.
Die Musik des Duos ist also weniger ein mystizistisch verbrämter Versuch der Restitution von Unmittelbarkeit, auch wenn Mystizismus darin durchaus eine Rolle spielt. Es geht eher um die bewusste Annäherung an diese Getrenntheit und diesen Verlust, die sich ausschließlich elektronischer, also „artifizieller“ Hilfsmittel bedient. Assoziative Klangstrukturen ahmen vorsichtiges Tasten nach, ähnlich dem kindlichen Blick, der bei der Betrachtung eines unscheinbaren Stücks Baumrinde oder in der Struktur des Asphalts, auf dem es spielt, alle Möglichkeiten der Welt erkennt. „Manifestaties van de Ontworteling“ – bereits vor diesem Konzert hat die Band eine Platte gleichen Titels aufgenommen, die ebenfalls am heutigen Freitag erscheinen wird.
Auf eine Art sehr ähnlich, doch aufgrund der aufwühlenden Intensität dann doch auch sehr verschieden, ließ sich zwei Tage später das Black Metal-Konzert der Gruppe erleben. Zu diesem Anlass hatten sich die beiden Stammmusiker unter anderem die Verstärkung von Omar Kleiss geholt, der sonst bei „Dool“ Gitarre spielt und auch mit seinem Solo-Projekt „Iskandr“ von sich reden macht.
Bereits eine Dreiviertelstunde vor Konzertbeginn war die Halle gut gefüllt und sogar der Soundcheck wurde von den hungrigen Anwesenden bejubelt, die Lieder aus den verschiedenen Schaffensphasen wiedererkannten und kurz davor standen, diese endlich einmal live zu erleben. Als es dann losging, entlud sich eine unglaubliche Spannung im Publikum und auf der Bühne. Mink Koops jagte eines seiner wunderschönen Gitarrenriffs nach dem anderen durch den Verstärker, sekundiert von Omar Kleiss, der zum Teil völlig entrückt wirkend wie um sein Leben spielte. Im Kontrast dazu der kontrolliert wirkende Bob Mollema, der seinen Schreigesang immer wieder durch spitze Schreie unterbrach und mit absichtlich überzeichneten theatralischen Gesten begleitete. Einen Song nach dem anderen spielte das Quintett, gönnte sich dabei keine Pause und es war beinahe herzzerreißend zu sehen, wie sehr Kernduo und Gastmusiker in der Leidenschaft für die gespielten Stücke eine Einheit bildeten. Den Kern bilden Koops’ melancholische, mal verhaltene, mal ungestüme Gitarrenriffs, getragen von Sehnsucht und Trauer über den Verlust einer Vergangenheit, die es so vielleicht nie gegeben hat.
Ein ganz ähnliches „Doppelkonzert“ spielte übrigens die aus Denver, Colorado, stammende Death Metal-Band „Blood Incantation“. Die hatte vor zwei Jahren zum Schock vieler ihrer puristischen Fans mit „Timewave Zero“ ebenfalls ein reines Ambient-Album herausgebracht. Dieses wurde auf dem Roadburn erstmals auf europäischem Boden in Gänze präsentiert, wofür die vier Musiker der Band Bass, Schlagzeug und Gitarre allesamt durch Keyboards ersetzten. Das funktionierte, flankiert von einer passenden Lightshow, stimmungsmäßig sehr gut, zumal die Band auch all ihre Metal-Alben thematisch um extraterrestrische Lebensformen und die kalte Unwirtlichkeit des Weltalls gruppiert. Einen Tag später kamen dann auch die Purist*innen auf ihre Kosten, als die Band einige der längsten und daher live wohl eher selten gespielten Stücke ihrer Karriere zum Besten gab. So emotional aufgeladen wie bei Fluisteraars war das nicht – zum Glück, wie man sagen möchte; denn solche intensiven musikalischen Erlebnisse gehen auch für die Hörer*innen an die Substanz. Eine Vollbedienung lieferten Blood Incantation aber auch, nur wirkte ihr technisch versierter, groovig-aggressiver Death Metal insgesamt eher ähnlich meditativ wie das Ambient-Konzert.
Eher enttäuschend waren in diesem Jahr die sogenannten „commissioned“, also von den Veranstalter*innen in Auftrag gegebenen und kofinanzierten Konzerte. Das von den Musiker*innen um Hexvessel-Mastermind Mat McNerney zusammengestellte Programm mit dem Titel „Music for Gloaming: A Nocturne by the Hexvessel Folk Assembly“ hörte sich wie eine uninspirierte Fortsetzung des jüngsten Albums der Gruppe an, ohne eigene Akzente zu setzen.
Auch das von dem britisch-iranischen Komponisten und Multiinstrumentalisten Kavus Torabi präsentierte Programm ging über psychedelischen Rock mit einigen experimentellen Elementen nicht hinaus. So konnte man beispielsweise nicht heraushören, weshalb die zwei Schlagzeuge jenseits des optischen Effekts auf der Bühne aus klanglicher Perspektive nötig waren.
Am interessantesten hier noch der Beitrag von Sebastian Lee Philipp und dessen atmosphärisch-minimalistischem elektronischem Musikprojekt „Die wilde Jagd“. Gemeinsam mit dem niederländischen Jazz- und Poporchester „Metropole Orkest“ brachte er Lux Tenera – A Rite To Joy“ zur Aufführung, konnte damit aber nur teilweise überzeugen. Mehrfach schienen seine Kompositionen von den Möglichkeiten überwältigt, die sich durch das begleitende Orchester boten, ohne dass deutlich wurde, woraus die orchestrale Umsetzung des jeweiligen musikalischen Motivs formal resultierte; das endete dann tendenziell in bombastischer Wuchtigkeit. Gelingend war die Aufführung immer dann, wenn sich der stark auf Rhythmik basierend Kern von „Die wilde Jagd“ in der orchestralen Darbietung wiederfand – dann wurde man, wie so oft bei dieser Gruppe, schlicht zum Tanzen animiert.
Eines der bestbesuchten Konzerte war sicher auch jenes der niederländischen Rocker „Dool“. Just zu dessen Release-Tag stellten sie erstmals auf der Bühne die Stücke ihres neuen Albums „The Shape of Fluidity” vor und wurden dabei gehörig gefeiert. Das war umso schöner, als die für das Roadburn Festival 2020 geplante Releaseparty des Vorgängeralbums „Summerland“ coronabedingt ins Wasser gefallen war. Nun konnte endlich nachgeholt werden, was der Band vor vier Jahren versagt geblieben war; kein Wunder also, dass sich der Auftritt stellenweise regelrecht triumphal gestaltete. Unbestritten steht dabei die charismatische inter* Person (Gitarre/Gesang) Raven van Dorst im Mittelpunkt. Hatte van Dorst noch 2020 in einem Interview mit der woxx („Ich war ein sehr wütender Mensch“ in woxx 1575) anlässlich des damaligen Albums eher nur widerwillig über die eigenen Erfahrungen als inter* Person gesprochen, um die Aufmerksamkeit nicht von der Band als Einheit wegzulenken, kann das neue Album des Quintetts geradezu als Feier der Fluidität von Identitäten begriffen werden.
Ebenfalls ein Höhepunkt für viele war das Konzert der US-Drone-Doom-Band „Khanate“. Allein die Ankündigung, dass die sagenumwobene Supergruppe, die 17 Jahre lang nicht mehr auf der Bühne gestanden war, in Tilburg auftreten würde, hat für nicht wenige wohl ausgereicht, um sich umgehend ein Ticket zu besorgen. Was man über die Musik der Band zu lesen bekommt, hört sich zumeist regelrecht furchterregend an. Oft werden dabei Attribute wie „depressiv“, „bedrückend“ oder „vollendet hoffnungslos“ bemüht. Das mag stimmen, doch gerade für die Fans stellt die kompromisslos vorgetragene minimalistische Essenz musikalischer Negativität mit Sicherheit auch eine Form von Katharsis dar. Mit einer solchen wurde man von der Gruppe um Sänger Alan Dubin auch 75 Minuten lang gnadenlos bedient. Dubin schien sich das Mikrofon vor jeder gesanglichen Eruption geradezu selbstmörderisch in den Rachen rammen zu wollen, nur um sich dann doch ein ums andere Mal für das heißere Keifen einer weiteren Textzeile zu entscheiden: „I feel dead – now you’re boiling like my blood – let’s all die – lets die – lets all…“
Demgegenüber waren es ausgerechnet die um Düsterkeit in ihrer Musik ebenfalls nicht verlegenen Inter Arma, die bei einem ganz kurzfristig angekündigten „Geheimkonzert“ in kleinem Rahmen ausschließlich Coverversionen spielten und damit ausnahmslos alle Anwesenden in Partylaune brachten. Klassiker wie Neil Young‘s „Rockin‘ in the Free World” und „Southern Man“ wurden auf ebenjene punkig-wütende, dem Irrsinn nahe Weise intoniert, wie sie dem Quintett aus Richmond, Virginia, eigentümlich ist. Die Band hatte dabei nicht weniger Spaß als das Publikum; es floss reichlich Bier und zumindest auf der Bühne, eigentlich eine Skateboard-Rampe, auch ordentlich Bourbon Whisky.
Natürlich gab es auch in diesem Jahr noch viele weitere Bands zu entdecken, die man eigentlich erwähnen müsste, darunter die hippieeske Black Metal-Band „Agriculture“ aus Los Angeles, das belgische Sludge/Doom-Duo „Pruillip“ mit Louis Evrard an der Gitarre und Annelies Van Dinter an Schlagzeug und Gesang, sowie die ungestüme junge niederländische Hardcore-Band „Second Guessing“ aus Utrecht, die alle beeindruckende Auftritte hingelegt haben.
Letztlich waren es so die „normalen“ Konzerte, die das Festival getragen haben, und nicht die extra in Auftrag gegebenen Produktionen. Und auch das Konzept, bestimmte Musiker*innen als Kurator*innen des Festivals zu bestellen, damit diese einen Teil des Festivalprogramms gestalten, wurde in diesem Jahr nicht weiterverfolgt.
So ist das Roadburn Festival in den vergangenen Jahren zwar in der Tat vielseitiger geworden, hat sich jedoch zugleich umso stärker an seinen Wurzeln orientiert. Präziser lässt sich es sich eigentlich gar nicht zusammenfassen als die niederländische Tageszeitung „de Volkskrant“ es tat: „Egal wie vielfältig Roadburn geworden ist und wie sehr es sich in den letzten Jahren weiterentwickelt hat, es bleibt ein Festival des herausgeschrienen Schmerzes.“