Beim Luxembourg City Filmfestival feierte der Thriller „Greta“ Vorpremiere. Eine Moderatorin pries ihn vor Filmbeginn als großartig an. Doch er entpuppte sich als Flop. Immerhin gibt es ein paar gute Ansätze.
Stellen Sie sich vor, Sie finden eine Handtasche in einer New Yorker U-Bahn. Darin befinden sich unter anderem der Ausweis einer Mittfünfzigerin und Tabletten. Was tun Sie? Wahrscheinlich dasselbe wie die Protagonistin Frances: Sie suchen das Fundbüro auf. Das ist aber geschlossen. Frances besucht die Besitzerin der Tasche deswegen persönlich – und bleibt auf einen Kaffee.
So beginnt eine interessante Geschichte über das Verhältnis zweier Frauen, die beide unter dem Verlust von Familienmitgliedern leiden. Die junge Frances hat kürzlich ihre Mutter verloren, Greta ihren Ehemann. Ihre einzige Tochter, Nicola, lebt angeblich – im Verlauf der Erzählung stellt sich heraus, dass sie dort nie gewesen ist – im weit enfernten Paris. Der Dekor ist charmant: Greta wohnt in einem klassisch-schick eingerichteten Backsteinhaus mit Klavier und massiven Holzmöbeln in einem New Yorker Hinterhof. Im Kontrast dazu steht Frances Wohngemeinschaft in einem modernen Loft im Industrie-Style. Greta spielt Frances Klavierstücke vor, zusammen spazieren sie durch den Park und retten einen Hund aus dem Tierheim vor der Einschläferung. Frances schießt ein Foto von den beiden im Park, das Greta ihr abends per MMS zuschickt. Kurz gesagt: Die Frauen freunden sich an.
Das Setting ist angenehm, die Atmosphäre von den Drehbuchautoren Neil Jordan und Ryan Wright schön inszeniert. Auch der Erzählstrang, der darbietet, wie bereichernd eine Freundschaft zwischen Generationen sein kann, ist gut umgesetzt. „Greta“ illustriert gekonnt, dass Gefühle wie Einsamkeit, Verlust und die Suche nach Nähe kein Alter kennen.
Zu schnell, zu aufdringlich
Nur wandelt sich die Geschichte zu schnell und unvermittelt. Die Stimmung kippt bei einem gemeinsamen Abendessen in Gretas Haus: Frances ist auf der Suche nach Kerzen und stößt dabei auf eine Reihe Handtaschen, die mit jener identisch sind, die sie in der U-Bahn gefunden hat. Auf ihrer Rückseite kleben Post-its mit Frauennamen und Handynummern. Sie täuscht Unwohlsein vor und verlässt verstört, verängstigt das Haus. Das interessante Zusammentreffen zwischen Greta und ihr entwickelt sich rasant zum Horrorszenario, das die Autoren mit humoristischen Splatter-Szenen versetzen. Für Horrorfilme charakteristische Soundeffekts werden inflationär genutzt – nach dem gefühlt hundertsten Einsatz verfehlen sie ihre Wirkung.
Der Film enttäuscht durch seine Dialoge und durch die schauspielerische Leistungen der Darsteller*innen. Die Dialoge wirken gestelzt und unnatürlich. Die Protagonist*innen tragen ihre Rollen wenig überzeugend vor. Noch dazu sind die Reaktionen der Einzeldarsteller*innen mäßig bis gar nicht nachvollziehbar. Das ist deshalb schade, weil die Handlungen der Protagonist*innen zu Beginn authentisch wirken: Natürlich bringt man eine Handtasche zurück, klar schenkt man einer Person Aufmerksamkeit, die einem freundlich begegnet und die sich einsam, verlassen, zerbrechlich und um Freundschaft bemüht gibt. Später machen die Aktionen der Darsteller*innen – vor allem die von Frances – aber nur noch wenig Sinn.
Ähnlich misslungen ist die inkohärente Zusammensetzung einzelner Filmgenres (Splatter-Film, Drama, Psycho-Thriller). Gegen die Kombination ist per se nichts einzuwenden, wenn die Einzelteile gut ausgeführt werden. Das ist aber hier leider nicht der Fall. Die Splatter-Szenen sind einfallslos, der Psycho-Thriller-Aspekt kommt am Ende zu kurz. Die Produktionsfirma (Sidney Kimmel Entertainment, Lawrence Bender Productions) ordnet den Film dem Thrillergenre zu, was das narrative Gemisch allerdings unzulänglich beschreibt.
Mischmasch mit Potenzial
Dabei hätte die Erzählung an und für sich Potenzial: Sie stellt eine Form von Missbrauch dar, die selten auf der großen Leinwand zu sehen ist. Sie bricht mit dem öfter dargebotenen Bild der Täter*innen, die sexuelles oder finanzielles Interesse an ihrem Opfer haben – und thematisiert im entferntesten Sinne das Münchausen-Syndrom: Eine Art Mutterfigur übersteigert das Unwohlsein ihrer Ziehtochter, um sie aufopferungsvoll und mit brutalsten Mitteln zu „umsorgen“, was für sie Stalking und Folter miteinschließt. Gleichzeitig ist sie eine abgeklärte, psychisch labile Wiederholungstäterin, die mehrere Menschen- und Tierleben auf dem Gewissen hat.
Im Subtext übt der Film Kritik an der Justiz, wirft Schuldfragen auf, porträtiert eine Gesellschaft, in der ein konstruiertes Leben durch digitale Kommunikation möglich und tiefste Einsamkeit in Millionenstädten fast eine Normalität ist. „Greta“ spielt mit verschiedenen Meta-Ebenen, die den Zuschauer*innen durchaus anregende Interpretationsspielräume öffnen. Witzige, narrative Gimmicks sind auch vereinzelte überraschende Wendungen. Empfehlenswert ist der Film unterm Strich aber nicht: Weder Form noch Inhalt überzeugen. Es scheint als hätte man gleich mehrere Filmideen in die Spielzeitlänge von 98 Minuten packen wollen, letzten Endes aber keine durchzogen.
Wer trotzdem wissen will, was es mit den Handtaschen und Paris auf sich hat, sollte den offiziellen Filmstart diesen Monat (genaue Spielzeiten und Daten noch unbekannt) nicht verpassen.